Es kann durchaus von Vorteil sein, dass man die Bürde der Macht in der Regel auf den Schultern trägt. Eine Hand hätte Angela Merkel nämlich damals nicht mehr frei gehabt. Am späten Nachmittag des 22. November 2005 übergab ihr Gerhard Schröder das Kanzleramt. Merkel erhielt von den Mitarbeitern des Hauses einen Blumenstrauß zur Begrüßung, Schröder einen zum Abschied, den er aber gleich an seine Nachfolgerin weiterreichte. Zwei Hände, zwei Sträuße.
Schröder fuhr in einer Limousine davon, Merkel im Aufzug in den siebten Stock. Zum ersten Mal betrat sie als Kanzlerin das Kanzlerbüro. Ein Zeuge erinnert sich, dass sie nur kurz den Blick durch den Raum schweifen ließ. Kein Probesitzen. Merkel blieb beim ersten Mal nicht lang. Aber lange ist sie seit dem ersten Mal geblieben.
An diesem Dienstag ist Merkel 2584 Tage im Amt. Einen Tag länger als Gerhard Schröder. Sie ist damit die am viertlängsten regierende Kanzlerin hinter Helmut Kohl (16 Jahre), Konrad Adenauer (14 Jahre) und Helmut Schmidt (achteinhalb Jahre). Aber natürlich könnte man auch sagen, dass sie die am fünftkürzesten amtierende Regierungschefin ist, nur denkbar knapp vor Schröder sowie vor Willy Brandt (viereinhalb), Ludwig Erhard (drei) und Kurt Georg Kiesinger (knapp drei Jahre). Es liegt im Auge des Betrachters.
Die Wiederwahl als Beweis
Das Kanzlerbüro hat 142,51 Quadratmeter. Gemütlich geht anders, aber die Sicht auf Reichstag und Tiergarten ist sehr schön. Ein funktional eingerichteter Raum, abgesehen von einigen Skulpturen auf dem Fensterbrett, darunter eine Oase mit goldenen Kamelen und Wasser aus Kristallen - ein Geschenk des Königs von Saudi-Arabien. Gehört natürlich nicht Merkel, sondern dem Staat. Ansonsten kann man wenig kaputt machen in diesem Büro, es sei denn man tritt auf das Handy, das die Kanzlerin während des Ladevorgangs an der Steckdose schon mal auf dem Teppichboden liegen lässt.
Merkel hatte schon Geschichte geschrieben, als sie an jenem 22. November noch im Fahrstuhl fuhr: Erste Frau, erste Ostdeutsche. Eine Überraschung ihrer Kanzlerschaft war, dass sie es überhaupt wurde, eine zweite, dass sie ihren Titel 2009 verteidigte. Ihr selbst bedeutet die Wiederwahl besonders viel. Für jeden Regierungschef ist die Wiederwahl wie der Beweis, dass es sich beim ersten Mal nicht nur um einen Irrtum der Geschichte handelte. Für Schröder war außerdem von Bedeutung gewesen, dass er länger Kanzler war als die SPD-Ikone Willy Brandt - auch wenn er damit Merkel erst möglich machte.
Denn sie wäre wohl nie Kanzlerin geworden, wenn Schröder drei Jahre zuvor gegen Edmund Stoiber nicht knapp gewonnen hätte. Und sie wäre es ganz sicher nicht mehr geworden, wenn Gerhard Schröder zwei Monate zuvor gegen sie nicht sehr knapp verloren hätte. "Glauben Sie im Ernst", so Schröder am Wahlabend in der legendären TV-Elefantenrunde, "dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden. Also, ich meine, wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen."