Süddeutsche Zeitung

Amtssprache in Israel:Lieber jüdisch als demokratisch

  • Nach dem Willen von Israels Premier Benjamin Netanjahu soll Arabisch seinen Status als zweite Amtssprache verlieren.
  • Hinter dem Gesetzvorstoß Netanjahus steckt politisches Kalkül.
  • Minderheiten in Israel fühlen sich schon jetzt weiter an den Rand gedrängt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Regierung in Jerusalem hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Israel als "Nationalstaat des jüdischen Volkes" definiert. Was auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit klingt - schließlich spricht ja schon der UN-Teilungsplan von 1947 ebenso wie die israelische Unabhängigkeitserklärung von 1948 von einem "jüdischen Staat" - ist in Wirklichkeit selbst in Israel ein so hoch umstrittenes Thema, dass darüber nun sogar die Regierungskoalition auseinanderbrechen könnte.

Kritiker bezeichnen das Gesetz als anti-demokratisch, ja rassistisch, und befürchten, dass damit in der ohnehin angespannten Lage der Konflikt mit der arabischen Minderheit in Israel und den Palästinensern weiter verschärft wird. Ein Streit ist entbrannt, der an die Grundfesten der Gesellschaft geht - und zugleich zeigt, wie in der Ära Netanjahu Politik mit doppeltem und dreifachem Boden betrieben wird.

Nach langem, kurvenreichem Vorlauf wurde in der Kabinettssitzung vom Sonntag eine Version des Nationalitäten-Gesetzes zur Abstimmung gestellt, die vom rechten Rand der Koalition stammt. Der Entwurf des Likud-Abgeordneten Zeev Elkin sieht vor, dass die Wahrung der jüdischen Identität des Staates Vorrang hat vor seinem demokratischen Charakter. Arabisch soll demnach auch nicht mehr wie bisher als zweite offizielle Landessprache gelten.

Netanjahu hat längst andere Pläne

Mit 14 zu 6 Stimmen hat das Kabinett die Vorlage ans Parlament weitergeleitet. Doch jenseits der aktuellen Aufwallung erwartet niemand, dass der Entwurf in dieser Form Gesetz wird. Denn zum einen hat bereits Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein, der als Rechtsberater der Regierung fungiert, lautstark Einspruch eingelegt. Er sieht darin eine "Bedrohung für Israels Demokratie". Am Ende könnte also das Oberste Gericht ein solches Gesetz kassieren. Zum andern hat Premier Benjamin Netanjahu längst ganz andere Pläne.

Zwar hat der Regierungschef selbst nach mehreren Volten nun das Votum über den radikalen Entwurf auf die Tagesordnung gesetzt. Aber dahinter steckt ein sehr kompliziertes Kalkül.

Zunächst einmal hat er nun den Ultrarechten in seiner Partei und seiner Koalition einen kräftigen Paukenschlag ermöglicht. Das werden sie ihm danken. Medienberichten zufolge ist allerdings bereits abgesprochen, dass Netanjahu im Laufe des parlamentarischen Verfahrens noch einen abgemilderten Kompromissentwurf vorlegen wird. Es ist also das altbewährte Muster: Der Brandstifter profiliert sich als Feuerwehrmann. Und nebenbei kann er auch noch die Liberalen im Kabinett nach seiner Pfeife tanzen lassen - und sie bei Bedarf sogar vor die Tür setzen.

Fürs Erste ist das Kalkül schon aufgegangen. In der Kabinettssitzung vom Sonntag kam es zum lautstarken Streit zwischen Netanjahu auf der einen und Justizministerin Tzipi Livni sowie Finanzminister Yair Lapid auf der anderen Seite. Beide stimmten gegen das Nationalitäten-Gesetz und versichern, dass sie ihre Meinung auch bei einer Abstimmung im Parlament nicht ändern würden.

Lapid argumentiert, dass gewiss auch Staatsgründer David Ben-Gurion gegen ein solches Gesetz zu Felde gezogen wäre. Livni kündigt an, "ich werde es nicht zulassen, dass nationalistische Extremisten das jüdische und demokratische Israel übernehmen". Sie befürchtet, dass aus Israels Demokratie eine "Theokratie" werden könnte.

Spekulation um Neuwahlen

Wenn Livni und Lapid samt ihren Gefolgsleuten tatsächlich der eigenen Regierung im Parlament eine Niederlage bereiten, wäre das wohl das Ende der Koalition. "Du willst ja, dass wir dagegen stimmen, damit du uns feuern kannst", soll Livni der Zeitung Haaretz zufolge Netanjahu im Kabinett entgegengeschleudert haben. Dass der Premier mit Neuwahlen liebäugelt, darüber wird seit Längerem schon spekuliert. In jedem Fall sichert er sich so ein paar Trümpfe in der Hand.

Die zunächst für diese Woche geplante Knesset-Abstimmung wurde am Montag um eine Woche verschoben. So wird Zeit gewonnen. Doch wie auch immer das komplizierte Ringen ausgehen wird - ein Schaden ist bereits angerichtet. Die israelischen Minderheiten, die mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, fühlen sich noch weiter an den Rand gedrängt.

Ein solches Nationalitäten-Gesetz setze "die Unterdrückung und Diskriminierung der Araber in Israel" fort, klagt der arabische Knesset-Abgeordnete Ahmed Tibi. Auch im Lager der Drusen wachsen die Sorgen. Auf deren Loyalität kann Israel stets vertrauen, sie dienen in der Armee, und ein junger drusischer Polizist namens Zidan Seif zählte vorige Woche zu den Todesopfern des Jerusalemer Synagogen-Anschlags. Nun meldete sich sein Onkel Mahmud Seif im Armee-Radio zu den Nationalitäten-Plänen zu Wort: "Dies ist ein Gesetz nur für die Juden", sagte er, "und es wird den Terror nur noch schlimmer machen."

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SZ vom 25.11.2014/fie
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