Amtssitz von US-Präsident Obama:Eindringling lief im Weißen Haus herum

Amtssitz von US-Präsident Obama: Ein Wagen des Secret Service parkt vor dem Weißen Haus in Washington.

Ein Wagen des Secret Service parkt vor dem Weißen Haus in Washington.

(Foto: AFP)

Er hatte ein Messer und sprang einfach über den Zaun: Der "Washington Post" zufolge ist ein Mann bis in die Empfangsräume des Weißen Hauses vorgedrungen. Dort überwältigte er einen Agenten, erst dann wurde er gefasst. Mindestens ein Alarmsystem hat versagt.

Von Matthias Kolb, Washington

Eigentlich sollte kein Ort besser geschützt sein als das Weiße Haus in Washington. Hier arbeitet der US-Präsident und hier lebt er auch mit seiner Familie. Seit mit Barack Obama Anfang 2009 der erste Schwarze ins Weiße Haus eingezogen ist, hat sich die Zahl der Todesdrohungen verdreifacht. Dennoch ist es vor eineinhalb Wochen einem Bericht der Washington Post zufolge einem Mann gelungen, einfach über den Zaun zu springen, zum Gebäude zu rennen, die Tür des Weißen Hauses zu öffnen und bis in die Empfangsräume zu gelangen.

Der Irak-Veteran Omar J. Gonzalez ist demnach weitaus tiefer in das Gebäude vorgedrungen, als bislang bekannt war. Zunächst hatte es geheißen, der 42-Jährige sei am vorvergangenen Freitag bereits am Eingangsbereich aufgehalten worden. Nun meldet die Washington Post unter Berufung auf Whistleblower, der mit einem Messer bewaffnete Mann habe es bis in den East Room geschafft und auf dem Weg dorthin einen Agenten überwältigt. Der East Room wird oftmals für offizielle Empfänge oder Pressekonferenzen genutzt. An der Türschwelle zum Green Room wurde er gefasst.

Die jüngste Enthüllung macht deutlich, dass mehrere Sicherheitsmaßnahmen bei dem Vorfall versagt haben. So hatten Zivilfahnder außerhalb des Geländes nicht erkannt, dass Gonzalez beabsichtigte, über den Zaun springen. Zudem war weder der Eingang wie vorgesehen von einem Wachmann gesichert gewesen, noch wurden die für den Ernstfall ausgebildeten Hunde eingesetzt. Der Hundeführer hatte offenbar Angst, das Tier könnte nicht den Eindringling, sondern einen der Agenten attackieren. Auch die Scharfschützen seien aus ungeklärten Gründen abwesend gewesen, berichtete die Zeitung.

Hausangestellte hatten sich über Lärm des Alarmsystems beschwert

Noch peinlicher ist die Tatsache, dass das Alarmsystem in der Nähe der Eingangstür des Weißen Hauses nicht funktioniert hat. Sobald ein Agent des Secret Service einen Eindringling sieht, soll er den roten Knopf auf der am nächsten gelegenen Vorrichtung (crash box) drücken, um die anderen Agenten zu informieren. Außerdem sollte die Tür von innen verriegelt werden. Laut Washington Post war der Alarm jedoch auf stumm gestellt, weil sich die Hausangestellten regelmäßig über den Lärm und angebliche Fehlalarme beschwert hätten.

Die Zeitung stützt ihren Bericht auf mehrere Informanten, die sich auch an den Abgeordneten Jason Chaffetz gewendet haben. Der Republikaner leitet im Repräsentantenhaus einen Unterausschuss zur nationalen Sicherheit. In seinen Augen geht es nicht mehr darum, "mehr Zäune und mehr Leute" für den Personenschutz zu beschaffen. Das Argument fehlender Ressourcen überzeugt Chaffetz nicht: Er beklagt "Führungsversagen" im Secret Service.

Der Republikaner kündigte an, an diesem Dienstag äußerst kritische Fragen an Julia Pierson, die Chefin des Secret Service, zu richten: "Die Behörde muss erklären, welche Botschaft sie an die Agenten sendet, die den Präsidenten beschützen, wenn ihren Vorgesetzten Sicherheit weniger wichtig ist als die oberflächlichen Bedenken des Hauspersonals."

Neue Details über den Eindringling - und weitere Fehler des Secret Service

Zuletzt hatten US-Medien über zahlreiche weitere Pannen berichtet. So wurde in Virginia gegen den Irak-Veteranen Omar Gonzalez bereits wegen illegalen Besitzes einer abgesägten Schrotflinte ermittelt. Bei der damaligen Festnahme hatte die Polizei elf Waffen in seinem Auto gefunden, darunter vier Gewehre mit Zielfernrohren, wie sie Scharfschützen verwenden.

Außerdem sei der Mann im Besitz einer Karte gewesen, die den Weg zum Weißen Haus beschrieben und einen Freimaurertempel in der Nähe von Washington vermerkt hatte. Nach der Festnahme fanden die Ermittler in Gonzalez' Auto, das unweit des Amtssitzes des US-Präsidenten geparkt war, 800 Schuss Munition sowie zwei Beile und eine Machete.

Nachbarn aus der Kleinstadt Copperas Cove in Texas beschrieben den Irak-Veteranen als einen freundlichen und hilfsbereiten Mann, der Kinder Geschichten vorgelesen und stets seine Hilfe angeboten habe. Allerdings habe sich Gonzalez zuletzt seltsam verhalten. So sei er überzeugt gewesen, dass die Regierung sein Haus verwanzen wolle, um ihn abzuhören. Aus Angst vor Überwachung habe er sein Mobiltelefon in der Mikrowelle aufbewahrt (Details bei der New York Times). Schließlich sei er in die Nähe der Hauptstadt Washington gezogen, wo er keinen festen Wohnsitz hatte. Bei seiner Festnahme habe er erklärt, er habe Obama warnen wollen, dass die Erdatmosphäre bald zusammenbrechen werde.

Sieben Schüsse auf das Weiße Haus

Bereits am Wochenende hatte die Washington Post mit einem anderen Exklusivbericht für Aufsehen gesorgt. Demnach feuerte ein 21-Jähriger an einem Abend im November 2011 von seinem Auto aus sieben Schüsse auf das Weiße Haus. Der Zeitung zufolge wurden die Knallgeräusche gehört, aber ein Secret-Service-Vorgesetzter dachte, dass der Lärm von einer nahe gelegenen Baustelle stamme. Deshalb seien Beamte, die das Weiße Haus bewachten, angewiesen worden, sich zurückzuhalten.

Der Schütze, ein Mann namens Oscar Ortega-Hernandez, konnte mit seinem Wagen davonrasen. Er ließ das Auto mitsamt der Tatwaffe nach einem Unfall zurück und flüchtete zu Fuß. Ortega, der zuvor angekündigt hatte, den Präsidenten "stoppen" zu müssen, wurde erst zwei Tage später in einem Motel in Pennsylvania verhaftet.

Dass der Secret Service schließlich herausfand, dass das Weiße Haus von Kugeln getroffen worden war, lag an einer Haushälterin. Diese fand Scherben auf dem Truman-Balkon, was die Ermittlungen in Gang setzte. Auch in diesem Fall wurden zahlreiche Pannen und Unaufmerksamkeiten entdeckt. Präsident Obama und seine Frau hielten sich zum Zeitpunkt der Schüsse nicht im Weißen Haus auf, aber ihre jüngere Tochter Sasha und die Mutter der First Lady. Als die Obamas von dem Vorfall erfuhren, zitierten sie den damaligen Secret-Service-Direktor Mark Sullivan zu einem Treffen und machten ihrem Zorn Luft.

Familie Obama vertraut Secret Service - und ist trotzdem besorgt

In Washington wird nun darüber spekuliert, wie wütend das First Couple auf Sullivans Nachfolgerin Julia Pierson ist. Über seinen Sprecher Josh Earnest lässt der US-Präsident erklären, dass er "volles Vertrauen" in die Chefin des Secret Service habe. Aber natürlich seien die jüngsten Vorfälle für die Familie Obama "ein Grund zur Sorge". Unterdessen melden sich bereits erste Experten zu Wort, die das Weiße Haus künftig vom Militär bewachen lassen wollen.

Eine interne Untersuchung soll nun klären, wie der Schutz von Präsident Barack Obama und seiner Familie verbessert werden kann. Pierson, die vor 18 Monaten an die Spitze des Secret Service gerückt war, will bei ihrer Anhörung im Kongress offenbar argumentieren, dass die genauen Sicherheitspläne nicht öffentlich debattiert werden - damit potenzielle Attentäter keine Informationen bekommen.

Dem ohnehin schlechten Ruf der Behörde, die neben dem Personenschutz vor allem für die Bekämpfung von Finanzkriminalität zuständig ist, helfen die jüngsten Enthüllungen natürlich wenig. Bei Twitter wird schon eifrig gespottet, was der "Über-den-Zaun-Springer" alles gemacht haben könnte, bevor er endlich gefasst wurde. Die Vorschläge reichen von einem Spaziergang mit Obamas Hund Bo nach einem kurzen Nickerchen über Staubsaugen und Keksebacken.

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