Amtseinführung von Barack Obama:Ein Mann, ein Versprechen

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Washington zelebriert eine neue Zeit: Eine Million Menschen feiert vor dem Kapitol ihren ersten schwarzen Präsidenten. Barack Obama schwört die Nation auf den Aufbruch ein.

R. Klüver und C. Wernicke, Washington

Einen Blizzard in der Nacht hat es nicht gegeben. Aber bitterkalt ist es, genauso wie damals, als vor fast einem halben Jahrhundert die Nation das letzte Mal einem so jugendlich wirkenden Mann auf den Marmorstufen des Kapitols so erwartungsfroh entgegenfieberte. Viel, viel mehr Menschen sind es als damals bei John F. Kennedy, als Schnee die Straßen blockierte.

Barack Obama spricht zu seinem Volk. (Foto: Foto: AFP)

Eine unglaubliche Kulisse ist es. Mehr als eine Million Menschen stehen auf dem braunen Rasen der Mall, drängen sich auf der schmalen Parkschneise, die sich von hier aus drei Kilometer weit gen Westen erstreckt. Sie jubeln, brüllen, lachen, klatschen, soweit das hier oben am Kapitol zu hören und zu sehen ist.

Ein Meer an Menschen. Ein Meer an Sympathie und Hoffnung. Und nur die schwarzen Silhouetten der Scharfschützen auf den gewaltigen weißen Museumsgebäuden entlang der Mall und der Kuppel des Kapitols erinnern daran, wie stets präsent die Furcht ist, dass das Freudenfest der Nation ein jähes Ende finden könnte.

Direkt unterhalb der Tribüne, auf dem Rasen vor dem Kapitol, mitten im Blickfeld des Redners, hat eine dick vermummte Frau der Anti-Kriegs-Bewegung Code Pink ein rosafarbenes Plakat ausgebreitet: "Yes, we can end the war now", und niemand nimmt daran Anstoß.

Ein anderer drückt die Stimmung der Massen mit einem selbstgemachten Poster aus: "We have overcome", hat er in roten Klebestreifen auf den Karton gepappt - wir haben es geschafft.

Erst Raunen, dann Jubel

Um kurz vor elf Uhr Ortszeit geht erst ein Raunen, dann ein Jubel durch die Massen, als auf den gigantischen Bildschirmen, die entlang der Mall aufgestellt sind, eine lange Kolonne schwarzer Limousinen und Geländewagen zu sehen ist, die aus Richtung Weißem Haus die abgesperrte Pennsylvania Avenue zum Kapitol hinauffährt:

Es ist die Kolonne des Präsidenten, des alten und des neuen. Und wie auf Kommando winken Tausende, ja Hunderttausende mit Fähnchen, mit kleinen Sternenbannern - wie eine Welle breitet sich ein rotes Farbenmeer über die Mall aus. So hat die Nation lange nicht mehr gefeiert. So hat sie sich lange nicht mehr gefeiert.

Die Menschen jubeln, und es ist egal, ob sie das nun aus Erleichterung tun, nach acht Jahren endlich George W. Bush los zu sein, oder aus Freude über den neuen Mann, der strahlend und so gelassen wirkend wie immer um Viertel vor zwölf die Bühne betritt.

Reden zum Amtsantritt
:"Frag nicht, was dein Land für dich tun kann"

Große Worte, jubelnde Massen und erfrorene Kanarienvögel: Ein Rückblick auf die Amtsantritte wichtiger US-Präsidenten in Zitaten und Bildern. Von Barbara Vorsamer

Was ist das für ein Unterschied. Sechs Minuten vorher ist der noch amtierende Präsident ins Freie getreten. Und kaum eine Hand hat sich gerührt. Nicht einmal aus Anstand. Und nun jauchzen die rot gewandeten Kinder des Schulchores aus San Francisco oben auf der Balustrade, die vorhin "America, the beautiful" gesungen haben. Und die geladenen Gäste auf dem Rasen direkt vor dem Kapitol springen auf und stimmen Obama-Sprechchöre an.

Obama: Bilder von der Vereidigung
:"I do solemnly swear ..."

Atemlose Spannung, und dann jubelt Amerika. Barack Obama wird als 44. US-Präsident vereidigt - und hat nur beim Amtseid einen kleinen Aussetzer. Ein weiteres Ereignis trübt die Stimmung. Bilder aus Washington

Als President-Elect, wie sie es nennen, als der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten betritt Barack Obama, 47 Jahre alt, dieses eierschalenweiß lackierte Podium unterhalb des mächtigen, marmorweißen Kuppelkolosses des Kapitols.

Reichlich Pomp

Rosetten haben sie über die Brüstung gehängt, in den Farben der Nation Blau-Weiß-Rot. Einen blauen Ledersessel haben sie für ihn bereitgestellt, erste Reihe ganz rechts, hinter ihm sind seine Frau und die beiden Mädchen, Malia und Sasha, platziert. Als Präsidentenfamilie werden sie die Szenerie verlassen.

Es ist ein hoch feierlicher Akt mit reichlich Pomp. Oben auf der steinernen Balustrade des Kapitols sind 14 Trompeter und zwei Trommler der Army, den Kopf in blaue Pelzmützen gehüllt, um Obama mit einer schmetternden Fanfare zu begrüßen.

Amerika feiert sich und den neuen Mann im Weißen Haus, der sich nun anschickt, dem Land zu erklären, warum es nicht nur auf ihn, den 44. Präsidenten der USA, ankommt, den ersten schwarzen Vormann der Nation. Sondern dass sie alle, dass alle Amerikaner in der Verantwortung stehen - und dass er sie in die Verantwortung nehmen will.

Zuvor aber, um 12.04 Uhr, schwört er den Amtseid. "Ich gelobe feierlich", sagt Barack Obama, "dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich verwalten und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften erhalten, schützen und verteidigen will - so wahr mir Gott helfe."

Als Obama zum Eid antritt, ist er genau genommen bereits Präsident. Denn die so penibel geplante Krönungs-Prozedur hinkt vier Minuten hinterher - und die Verfassung schreibt vor, dass die Republik exakt High Noon ihren Machtwechsel vollzieht.

Vielleicht liegt es daran, dass der Oberste Verfassungsrichter John Roberts, der Obama den Eid abnimmt, nun nervös wird und - da er dem Präsidenten sein Ehrenwort vorliest - sehr eigenmächtig das Wörtchen "feierlich" an die falsche Stelle stellt. Obama, im zivilen Beruf immerhin Dozent für Verfassungsrecht, stockt, lächelt irritiert - aber mit einem gemeinsamen Grinsen überwinden der Richter und sein Präsident schließlich die Klippe.

Präsident Obama
:Amerikas Agenda

Krisen, Kriege und Reformen: Mit Barack Obamas Amtsantritt verknüpfen sich enorme Erwartungen - in den USA und in der Welt. Wie bewerten Sie seine Tatkraft: Stimmen Sie ab.

Als der Eid gesprochen ist, bricht die Menschenmenge vor dem Kapitol, ja die ganze Nation in Jubelschreie aus, die fast noch lauter sind als die 21 Salutschüsse, die die kalte Winterluft in Washington erzittern lassen. Dann geht der neue Präsident Barack Obama nach vorn zum Rednerpult, blickt über die Menge und spricht zu ihnen, zu den "fellow citizens", den lieben Mitbürgern.

Er hält eine mutige, ja fast anmaßend kühne Rede. Denn Barack Obama benennt nicht nur die Probleme, vor denen die Nation und die Welt stehen - Amerikas Kriege und seine wirtschaftliche Krise, den globalen Klimawandel oder die weltweite Armut. Nein, dieser noch so junge Präsident steht da im gleißenden Sonnenlicht und bietet sich als die Kraft an, an der sich die Nation aufrichten kann:

"An diesem Tag sind wir zusammengekommen, weil wir die Hoffnung über die Furcht gestellt haben, die gemeinsame Willenskraft über Streit und Zwietracht." Er ist es, der Mut macht: "Von heute an müssen wir uns aufrichten, den Staub abschütteln und wieder damit beginnen, Amerika zu erneuern."

Kurz sind die Passagen, da Obamas Prosa abgleitet in politische Progammsprache - aber das sind die Stellen, wo er handfest sagt, was er tun will. Und worum sie im Kongress gleich hinter ihm ja schon seit zwei Wochen hinter verschlossenen Türen streiten:

"Wir werden Straßen und Brücken bauen, elektrische Netze und digitale Leitungen, die unseren Handel voranbringen und uns verbinden." Wissenschaft, Technologie, Krankenversicherung, Sonnen- und Windenergie, Öko-Autos und Schulen - alle Stichworte presst er in einen Absatz, um dann wie sein Vorbild, der Tatmensch Franklin D. Roosevelt, hinzuzufügen: "Das alles können wir tun. Und wir werden es tun."

Obama greift sogar Roosevelts Schlüsselwort auf - fear, die Furcht. Er spricht von der "nagenden Furcht, dass der Abstieg Amerikas unausweichlich ist und dass die nächste Generation ihre Erwartungen herunterschrauben muss".

Ja, all diese Herausforderungen gebe es wirklich, und doch verheißt Obama mit fester Stimme und heißem Atem in der Kälte: "Sie werden nicht leicht oder in kurzer Zeit zu bewältigen sein. Aber, Amerika, du musst wissen: Sie werden bewältigt."

Klar, dass alle seine Worte nun gewogen werden, gemessen an den Ansprachen seiner Vorgänger. 55 Reden waren es. Und viele gab es da, die als zu leicht befunden wurden, über die zu Recht der wohltätige Mantel des Vergessens gebreitet wurde.

William Henry Harrison, der neunte Präsident etwa, sprach fast zwei Stunden lang, bei Regen und kaltem Wind - vier Wochen später war er tot, Lungenentzündung. Und was hat noch gleich William Jefferson Clinton gesagt, der letzte demokratische Präsident? Dem Gedächtnis ist es wohl nicht zu Unrecht entschwunden.

Aber ein paar der Reden haben doch die Zeiten überdauert. Abraham Lincolns zweite Inaugurationsrede, kurz vor Ende des Bürgerkriegs, war ganz knapp. Exakt 703 Wörter hat sie umfasst. Sie sind im Lincoln Memorial am Ende der Mall, genau gegenüber vom Kapitol, in den Stein gemeißelt. Die Worte etwa, dass nun die Zeit gekommen sei, "die Wunden der Nation zu binden". Und

Obama hat sich diese Worte dort vor zehn Tagen selbst noch einmal angeschaut. Das war natürlich alles andere als ein Zufall. Oder Roosevelts Furcht-Ansprache an die hoffende, darbende Nation. Und John F. Kennedys Rede, die sich, wie bei Obama nun, durch ihre Kürze und Prägnanz auszeichnete. Keine 14 Minuten sprach damals der Senator aus Massachusetts.

Bilder von der Inaugurationsparade
:Obama steigt aus

Triumphzug zum Weißen Haus: Schwer gepanzerte Limousinen gleiten die Pennsylvania Avenue hinunter - doch der neue Präsident lässt stoppen und geht zu Fuß. Bilder aus Washington D.C.

Und am Dienstag klingt Obama auch wie JFK - wie jener Präsident, der am 20.Januar 1961 wie er heute den Aufbruch einer neuen Generation verkörperte und dennoch alte Wahrheiten und Tugenden predigte: "Unsere Herausforderungen mögen neue sein", spricht Obama und blickt streng ins Volk, "doch die Werte, von denen unser Erfolg abhängt - harte Arbeit und Aufrichtigkeit, Mut und Fairness, Toleranz und Neugierde, Loyalität und Patriotismus -, sie sind alt.

Welch enormer Druck muss auf ihm gelastet haben. Gezeigt hat er es aber nicht. Dabei sind es nicht nur die Worte, es sind die Umstände, die auf den Schultern des großen - Obama misst 1,87 Meter -, aber doch irgendwie schmächtig wirkenden Mannes ruhen: die Kriege, die Wirtschaft, das Klima.

Und es ist gewiss kein Zufall, dass genau dies in seiner Antrittsrede ganz am Anfang steht. All diese gewaltigen Aufgaben und den Appell, sie gemeinsam zu lösen, hat er in dieser einen Rede zusammengeschmiedet. Und die Kreise schließen sich.

Hier, am Fuße des Kapitols, holt den 44. Präsidenten das Erbe der ersten Präsidenten ein, jenes Kapitel von Amerikas Geschichte, über das der schwarze Mann im Wahlkampf so merkwürdig selten reden wollte: die Sünde der Sklaverei, die jahrhundertelange Schande der Rassentrennung. Jetzt aber, da die schneeweißen Marmorquader den dunklen Teint Obamas noch einen Hauch mehr hervorheben mögen, sprechen die Steine.

Denn dieses Fundament von Amerikas Demokratie legten einst rechtlose Leibeigene. Ungefähr 400 der insgesamt 600 Männer, die vor mehr als 200 Jahren hier Fels beschlugen, Trägerbalken sägten oder das sumpfige Erdreich am Potomac trockenlegten, waren Sklaven.

Ziemlich genau dort, wo an diesem kalten Dienstag im Januar 2009 Tausende geladener Ehrengäste auf den beigebraunen Klappstühlen der säkularen Krönungsmesse beiwohnen, standen damals lumpige Zelte als Behausung für die Afro-Amerikaner. Und nur eine Straße weiter, wo nun der klassizistische Tempel des U.S. Supreme Court in den Himmel ragt, florierte Washingtons Sklavenmarkt.

Und das Gespenst der Sklaverei wird Obama, dem angeblich "post-rassischen Präsidenten", überall in der Hauptstadt auflauern. In seinem neuen Heim an der Pennsylvania Avenue zumal, das ebenfalls auf einem Fundament sklavischer Plackerei steht.

Abraham Lincoln ist der älteste unter den drei Amts-Ahnen, auf deren Schultern der neue Präsident stehen will. Hier schließt sich der erste Kreis. Lincoln, der Republikaner, hielt die Union im Bürgerkrieg zusammen, und per Proklamation erklärte der Hüne zum 1. Januar 1863 alle Sklaven in den rebellischen Südstaaten für befreit.

Obamas Wahlkampagne zelebrierte vom ersten Tag an die Nähe zu Lincoln, und die Kette der Lincoln-Symbole reißt bis Dienstag nicht ab. Auch beim heiligsten Akt, dem Eid auf die Verfassung, ist der Altvater der Republik gegenwärtig: Auf exakt jene Bibel in Michelle Obamas Händen, auf die ihr Ehemann Barack am Mittag seine Linke legt, hatte 1861 auch schon Ol' Abe geschworen.

Reden zum Amtsantritt
:"Frag nicht, was dein Land für dich tun kann"

Große Worte, jubelnde Massen und erfrorene Kanarienvögel: Ein Rückblick auf die Amtsantritte wichtiger US-Präsidenten in Zitaten und Bildern. Von Barbara Vorsamer

Lincoln - genauer sein marmornes Memorial am Westende der Mall - ist auch das Bindeglied zu Martin Luther King. Hier hatte der Prediger 1963 jene gewaltige Rede vom Traum von der Gleichheit und Versöhnung der Rassen gehalten, deren Versprechen nun Obama mit seiner Kür zum US-König auf Zeit einlöst.

Und sie sind wahr." Wohlgemerkt, da spricht jener Demokrat, dem die Republikaner noch vor drei Monaten vorhielten, er sei laut Analyse seines Wahlverhaltens der linkeste aller hundert US-Senatoren.

Ausgerechnet dieser Mann verlangt nun die Rückkehr zu alten Wahrheiten. Und eine fast urchristliche Umkehr, als Anlauf für den Marsch zu neuen Ufern: "Was von uns verlangt wird, ist eine neue Ära der Verantwortung. Alle Amerikaner müssen erkennen, dass sie Pflichten für sich selbst, für die Nation und für die Welt erfüllen müssen."

Sogar den berühmtesten aller Kennedy-Sätze zitiert er. Nicht wörtlich, aber per politischer Allegorie. Vor 48 Jahren hatte JFK die Nation aufgerufen: ,,Und so, meine Landsleute, fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann - fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können.

Obama intonierte dies nun so: "Was immer auch die Regierung tun kann und tun muss - am Ende sind es Treue und Entschlossenheit des amerikanischen Volkes, worauf diese Nation angewiesen ist.

Nur einmal, kurz vor Schluss, zeigt Obama eine Schwäche. Oder ist selbst diese Sekunde offenbarer Verwundbarkeit Teil seiner Inszenierung? Jedenfalls schluckt Obama, als er an seinen schwarzen Vater aus Kenia erinnert, der "vor weniger als 60 Jahren hier in einem Restaurant um die Ecke wohl nicht bedient worden wäre."

Der Sohn stockt, schweigt so lange, dass dem alten Bürgerrechtler John Lewis hinter ihm genug Zeit bleibt, sich zu erheben und zu applaudieren. Aber dann ist der Augenblick auch schon wieder vorbei, da diesen Barack Obama die eigene Geschichte zu überwältigen scheint.

Kings Traum und die edelsten Zeilen der Unabhängigkeitserklärung

Obama zitiert in seiner Rede nicht nur die edelsten Zeilen der Unabhängigkeitserklärung, sondern eben auch Kings Traum, da er Amerikas Kern und "seine noble Idee" beschreibt: "das gottgegebene Versprechen, dass alle gleich sind, alle frei sind und alle die Chance verdient haben, das Glück in vollem Maße zu ergreifen."

Der 44. Präsident spürt die Last dieses Auftrags, und selbst seine Töchter Malia, 10, und Sasha, 7, erinnern ihn an diese Mission. Vorige Woche, als die Obama-Familie das Memorial besichtigte und auf der Rückwand Lincolns von Trauer um die Kriegstoten durchdrungene Rede zu seiner Wiederwahl entdeckte, da wollte Sasha wissen, ob ihr Daddy nun ein ähnliches Traktat abliefern müsse.

"Na ja, das ist eigentlich nur eine Kurzfassung - aber ja, das werde ich tun." Da ging Malia, die ältere Schwester, dazwischen: "Erster afro-amerikanischer Präsident - hoffentlich wird das gut!" Wie einst Lincoln verspricht nun Obama, eine gespaltene Nation zu heilen.

Der zweite Kreis, den der neue Präsident an diesem Dienstag mit einem seiner Vorgänger schließt, ist der Bund mit FDR. Denn wie Franklin Delano Roosevelt drückt Obama aufs Tempo. Und wie Roosevelt in den dreißiger Jahren will er seine wichtigsten Reformprojekte binnen hundert Tagen auf den Weg bringen - ehe die Bedenkenträger im Kongress wieder Oberwasser bekommen.

Obama begreift die Krise, die gewaltige Wirtschaftskrise, in die das Land geschlittert ist, als Chance. So wie einst Franklin Roosevelt die Gelegenheit beim Schopf ergriff. Und so wie Roosevelt es als seine erste Pflicht ansah, den zweifelnden, den verzweifelnden Amerikanern die Grundtugend ihres Landes zurückzugeben, die Zuversicht, das Vertrauen auf eine bessere Zukunft, so verbreitet Obama unverdrossen und ansteckend Optimismus.

Und dann ist da natürlich noch Kennedy, bei dem sich der dritte Kreis schließt. Bis zum Klischee verkommen ist die Verbindung zum verehrten, jungen, unvollendeten Präsidenten - der schwarze Kennedy. Von Obama wurde das zweifelsohne nach Kräften befördert.

Ein millionenfach verstärkter Seufzer der Erleichterung

Tatsächlich haben die Amerikaner seit Kennedy keinem jüngeren Präsidenten die Führung der Nation anvertraut als nun Obama. Und keiner hat mehr Begeisterung hervorgerufen. Keine Familie mit zwei so jungen Kindern residierte seither im Weißen Haus. Und beflügelt der Chicagoer Chic der neuen First Lady nicht schon die Modespalten der Zeitungen und die einschlägigen Magazine so, wie es einst die moderne Eleganz Jackie Kennedys tat?

Doch ausgerechnet die Kennedys sind es, die ihm am ersten Tag seiner Präsidentschaft einen Schock versetzen werden. Beim festlichen Luncheon im Kapitol wird sich später die Nachricht verbreiten, dass JFKs jüngerer Bruder Ted Kennedy zusammengebrochen und unter Krämpfen ins Hospital gebracht worden ist. Jedermann weiß, dass Kennedy an Krebs leidet, trotz der erfolgreichen Gehirnoperation im vergangenen Juni.

In seiner Rede beruft Obama sich auf die Vorbilder und verknüpft das Erbe mit neuen Appellen. Doch bevor seine Botschaften Früchte tragen, bevor seinen Worten die Taten vieler folgen, wird es dauern. An diesem Dienstag aber lässt Obama keine Zeit verstreichen.

Kaum ist er zur vollen Mittagsstunde vereidigt, kaum hat er seine 20-minütige Rede gehalten und am Schluss in die Nationalhymne eingestimmt, da setzt sich eine Handvoll schwarzer Vans des Secret Service vom Kapitol aus auf direktem Weg in Richtung Weißes Haus in Bewegung - die Pennsylvania Avenue entlang, die am Nachmittag die Route ist für die große Parade.

In den Vans mit den getönten Scheiben sitzen die ersten von 20 engen Mitarbeitern Obamas, die sofort die Büros und Telefone im Weißen Haus in Beschlag nehmen sollen. Nach einem Mittagessen im Kapitol folgen weitere Mitarbeiter.

Der neue Präsident selbst begleitet derweil seinen Vorgänger George W. Bush durch die Korridore des Kapitols bis vor die Stufen an dessen Ostseite. Dort wartet ein Hubschrauber der Marines mit laufenden Motoren. Formationen aller Waffengattungen defilieren noch an den beiden Männern und ihren Stellvertretern, dem alten und dem neuen Vizepräsidenten, vorbei, angeführt von der US Army Band.

Zum Schluss kommt eine Abteilung Pfeifer, sie spielen den Yankee Doodle, eine alte patriotische Weise aus der Zeit der Gründerväter. Dann steigt der Hubschrauber in einer großen, eleganten Linkskurve auf und fliegt über die Köpfe der Massen hinweg gen Westen, die Mall entlang, George W. Bush aus der Stadt hinaus. Und noch einmal brandet unbändiger Jubel auf, geradezu ein millionenfach verstärkter Seufzer der Erleichterung. Das Ende einer Ära. Der Beginn einer neuen Zeit.

© SZ vom 21.1.2009/bavo/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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