Niederlande:Gewalt nicht nur von einer Seite

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Propalästinensische Demonstranten in der Nähe des Fußballstadions von Amsterdam. (Foto: RTL Nieuws/dpa)

Ein Bericht der Bürgermeisterin über die antisemitischen Ausschreitungen in Amsterdam zeichnet ein nuanciertes Bild. Demnach gingen auch von den israelischen Fans Aggressionen aus.

Von Thomas Kirchner

Jagd auf Juden, Antisemitismus, Pogrom. Das waren die Bewertungen, als es am Donnerstagabend in Amsterdam zu Angriffen auf Fans des israelischen Fußballvereins Maccabi Tel Aviv kam. Auf sozialen Medien waren Videos zu sehen, wonach überwiegend arabische Männer die israelischen Fans gezielt verfolgten, bedrohten und zum Teil auch misshandelten. Weltweit, nicht nur Israel, äußerten Politiker ihr Entsetzen über die Vorgänge. Femke Halsema, die grüne Bürgermeisterin von Amsterdam, sprach von einer „pechschwarzen Nacht“, für die sie sich schäme.

Inzwischen ist deutlich geworden, dass die Vorgänge nicht ganz so einfach zu bewerten sind, dass die Gewalt nicht nur von einer Seite ausging. Zum Teil war das schon den Äußerungen der Polizei am Freitagmittag zu entnehmen gewesen. Polizeichef Peter Holla bestätigte zwar weitgehend den Hergang, wie er von den meisten Medien dargestellt worden war. So hätten einzelne junge Männer zu Fuß und auf Motorrollern den Israelis nachgesetzt. Doch sei es auch vonseiten der Maccabi-Fans zu provozierenden Handlungen gekommen, sagte Holla, zum Teil schon am Vortag des Spiels. Sie hätten aggressive Gesänge von sich gegeben, ein Taxi angegriffen und an mehreren Orten der Stadt palästinensische Flaggen zerstört.

Halsema war wegen der Vorfälle stark kritisiert und sogar zum Rücktritt aufgefordert worden. In der Nacht zum Dienstag veröffentlichte die grüne Politikerin, auch im Namen der Justiz und der Polizei, einen Tatsachenbericht zu den Ereignissen, der dem Bekannten neue Nuancen hinzufügt. Demnach war der Stadt bewusst, dass es sich um ein heikles Spiel handeln würde, zu einem heiklen Zeitpunkt – am Vorabend des Jahrestags der Reichspogromnacht. Die Stadt holte beim Geheimdienst eine Einschätzung ein. Die Antwort habe gelautet, dass von einer konkreten Bedrohung der Fans oder Spieler keine Rede sein könne.

Maccabi-Fans zogen durch die Stadt, zerstörten eine Palästina-Flagge und beschädigten ein Taxi

Schon in den Tagen vor dem Spiel seien Spannungen spürbar gewesen. In Whatsapp- und Telegramgruppen habe man Drohungen gegen Maccabi-Fans und „viel Aggression und Aktionsbereitschaft“ festgestellt. Mittwochnacht zog eine Gruppe von 50 Maccabi-Fans durch die Innenstadt. Sie zerstörte eine palästinensische Flagge an einem Haus, einige zogen ihre Gürtel aus und beschädigten Taxis. Nicht im Bericht steht, dass angeblich auch islamophobe Parolen skandiert wurden und mit einer Eisenkette auf ein Taxi geschlagen wurde. Mehrere Taxifahrer folgten danach einem Online-Aufruf und fuhren zum Holland Casino, wo sich etwa 400 Maccabi-Fans befanden. Die Polizei konnte eine größere Konfrontation verhindern.

Angesichts der Lage habe man noch am Donnerstag erwogen, das Spiel abzusagen. Das sei aber juristisch nicht haltbar gewesen und hätte vermutlich für noch mehr Unruhe gesorgt. Donnerstagnacht kam es nach dem Spiel in der Innenstadt zu den erwähnten antisemitischen Szenen und Misshandlungen einzelner israelischer Fans. Fünf von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden, 20 bis 30 wurden leichter verletzt. Die Szenen sind auf Videos und Fotos dokumentiert. Ein Teil des Materials, so der Bericht, betreffe aber „weder Amsterdam noch den Zeitraum, in dem sich die Vorfälle abspielten“. Ein an die Agentur Reuters verkauftes Video, das angeblich eine solche Verfolgung zeigte und auch bei der Süddeutschen Zeitung zu sehen war, dokumentierte, wie die Urheberin Annet de Graaf erklärt hat, in Wahrheit eine Gruppe von Maccabi-Fans, die Personen in der Stadt attackierten.

„Giftiger Cocktail aus Antisemitismus, Hooliganismus und Wut über den Krieg“

Die Polizei nahm rund um das Spiel 62 Personen fest. 49 wohnen laut dem Bericht in den Niederlanden, zehn in Israel. Vier Personen im Alter von 16 bis 26 Jahren sitzen noch immer ein. Fünf weitere Verdächtige wurden seither mithilfe von Überwachungskameras identifiziert und festgenommen. Resümierend schreibt die Bürgermeisterin, die Vorfälle seien „das Ergebnis eines giftigen Cocktails aus Antisemitismus, Hooliganismus und Wut über den Krieg in Palästina und Israel sowie in anderen Ländern des Nahen Ostens“.

Halsemas Bericht diente auch als Basis für eine Debatte im Amsterdamer Stadtrat am Dienstag. Sheher Khan von der Partei Denk sagte, „Hauptursache“ der Spannungen sei die „extremrechte Regierung, die den Genozid in Gaza unterstützt“. Imane Nadif (Grünlinks) forderte Aufklärung über Berichte, wonach Maccabi-Fans in der Nähe des Hauptbahnhofs „Fuck the Arabs“ gesungen und sich gefreut hätten, dass es „keine Schulen und keine Kinder in Gaza mehr“ gebe. Das Parlament in Den Haag wird sich des Themas am Mittwoch ebenfalls annehmen. Eine unabhängige Untersuchung soll folgen.

Premier Dick Schoof sprach am Montag von einem „Integrationsproblem“. Die Täter gehörten einer Gruppe an, „die ein unangemessenes Verhalten an den Tag legt. Das passt in keiner Weise zu der offenen und toleranten Gesellschaft, die die Niederlande anstreben“. Es sei Jagd auf Juden gemacht worden, das sei „Antisemitismus in Reinkultur“.

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