Ampel:FDP macht klare Ansage an die SPD – Krisenrunden im Kanzleramt

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Berlin: Olaf Scholz im Gespräch mit Christian Lindner im Büro des Kanzlers im Bundeskanzleramt am Sonntagabend. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Fraktionschef Dürr warnt, die SPD-Spitze verkenne den Ernst der Lage. Nach dem Nein zu Forderungen des Finanzministers steht die Regierung vor einem heiklen Koalitionsgipfel. Im Kanzleramt laufen die Krisenberatungen.

Von Bastian Brinkmann, Georg Ismar, Vivien Timmler, Berlin

Nach dem Aufruhr um das Papier von Finanzminister Christian Lindner mit neuen Forderungen versucht die FDP, die Kanzlerpartei in die Pflicht zu nehmen. „Sollten sich die SPD-Chefs nicht gesprächsoffen über unsere Vorschläge zur Wirtschaftspolitik zeigen, verkennen sie den Ernst der Lage“, sagte Christian Dürr, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, der Süddeutschen Zeitung. Zuvor war am Freitag ein Papier von Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner bekannt geworden. Er stellt darin eine Reihe von neuen Bedingungen im Haushaltsstreit: zusätzliche Wirtschaftsreformen, Einschnitte in der Sozialpolitik und den Verzicht auf geplante Gesetze, die die FDP für zu bürokratisch hält.

Die SPD-Parteiführung hat Lindners Plan am Wochenende entschieden abgelehnt. „Durch die Bank sind diese Punkte, die er dort aufgezählt hat, in der Koalition nicht zu verwirklichen“, sagte die Vorsitzende Saskia Esken bei einer SPD-Konferenz in Hamburg. „In der Koalition, das ist nicht von der Hand zu weisen, brennt gerade die Hütte.“ Ihr Co-Chef Lars Klingbeil äußerte sich ebenfalls ablehnend. Auch bei den Grünen trifft Lindners Plan auf heftigen Widerstand. Ein Entgegenkommen signalisiert dort niemand. Lindner wolle ein Platzen der Koalition provozieren, heißt es bei den Grünen.

Lindner habe ein „ernsthaftes Angebot“ vorgelegt, sagt dagegen FDP-Fraktionschef Dürr. „Es kommt nun auf die Bereitschaft unserer Koalitionspartner an.“ In der FDP gibt es die Erwartung, dass die öffentliche Meinung sie unterstützt, um SPD und Grüne zu überzeugen. Unternehmensverbände und bekannte Ökonomen wie Clemens Fuest äußerten sich positiv zum Lindner-Papier. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) lobte das Konzept: „Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung.“

Offen ist noch, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Lindners Papier reagiert. Am Sonntagabend traf sich Scholz nach SZ-Informationen mit der SPD-Spitze zu einem Krisengespräch im Kanzleramt. Daran nahmen die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, Generalsekretär Matthias Miersch und Fraktionschef Rolf Mützenich teil. Am späteren Abend kam es dann zu einer Unterredung von Scholz und Lindner im Kanzleramt.

Montagmittag kamen Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Kanzleramt zusammen, um einen Ausweg zu suchen. Insgesamt wird es nun vor allem darauf ankommen, ob die Ampelparteien noch Schnittmengen für ein gemeinsames Programm zur Belebung der Konjunktur finden – oder eben nicht. Und als wäre das allein nicht schon schwierig genug, muss zugleich im Bundeshaushalt 2025 noch eine Lücke im hohen einstelligen Milliardenbereich geschlossen werden.

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Am Mittwoch soll der Koalitionsausschuss tagen – zum ersten Mal seit Monaten

Mit Nervosität wird nun auf den ersten Koalitionsausschuss der Spitzen von SPD, Grünen und FDP seit Monaten geblickt, der für diesen Mittwochabend geplant ist. Die vorherigen Dreier-Gespräche von Scholz, Lindner und Habeck sollen bis dahin Vorschläge zur Lösung der Koalitionskrise erarbeiten. Ob es hier zu einem Bruch der Koalition kommen könnte, wenn es kein Entgegenkommen zu den Vorschlägen von Lindner gibt, wird intern als spekulativ bezeichnet. SPD-Chef Klingbeil sagte der Augsburger Allgemeinen, man müsse wegkommen von diesen Spekulationen: „Genau das ist es, was die Menschen in diesem Land nervt. Mich übrigens auch.“

Das Lindner-Papier schlägt vor, für den kommenden Haushalt zehn Milliarden Euro Subventionen zu verwenden, die ursprünglich für eine Chipfabrik von Intel bei Magdeburg eingeplant waren, die vorerst nicht gebaut werden soll. Zudem lässt sich laut Lindner viel im Haushalt sparen bei Rente und Bürgergeld. Er will das Rentenniveau anders berechnen und höhere Abschläge einbehalten lassen, wenn Menschen vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen. Beim Bürgergeld schlägt Lindner vor, den Satz von derzeit 563 Euro zu kürzen, weil die Inflation niedriger ausgefallen ist als gedacht. Außerdem sollen die Ausgaben für Bürgergeldempfänger sinken, indem nicht mehr ihre volle Miete übernommen wird. Nur noch eine Pauschale soll ausgezahlt werden, deren Höhe von der Region abhängig ist. Von dem gesparten Geld will Lindner die Körperschaftsteuer für Firmen und den Solidaritätszuschlag senken, um das Wachstum zu fördern.

Anders als 1982, als ein Reformpapier des liberalen Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff zum Bruch der SPD/FDP-Koalition und zur Bildung einer Koalition von Union und FDP unter Führung von Kanzler Helmut Kohl führte, kann die FDP heute nicht allein mit der Union regieren. Denkbar wären bei einem Bruch oder nach einer Entlassung der FDP-Minister durch Kanzler Scholz entweder rasche Neuwahlen oder übergangsweise eine rot-grüne Minderheitsregierung. Letztere sieht man gerade bei den Grünen kritisch – zumal ohne verabschiedeten Bundeshaushalt der Handlungsspielraum sehr eng wäre.

Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Dienstag stattfindende US-Wahl noch eine weitere Dynamik entstehen könnte, sollte der Republikaner Donald Trump gegen die Demokratin Kamala Harris gewinnen. Zugleich wird von manchen intern betont, dass ein Sieg Trumps mit absehbar weiterer internationaler Instabilität die Koalitionäre noch einmal stärker zusammenschweißen könnte.

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