Kanzler Olaf Scholz (SPD) mahnt seine Koalition zur Überwindung ihrer Differenzen. Er bestehe darauf, dass die Regierung ihre Arbeit zu machen habe und Pragmatismus dafür die richtige Maßgabe sei, sagte er in Berlin nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte. „Wir haben dafür eine Grundlage. Das ist der Koalitionsvertrag. Der ist verhandelt“, unterstrich Scholz und betonte: „Ich bin der Kanzler. Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderungen bewältigen, vor denen wir stehen. Es geht um Wirtschaft und Arbeitsplätze. Es geht um Pragmatismus und nicht um Ideologie.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fordert die Ampel zu einer „großen Kraftanstrengung“ auf, um die Krise der Koalition zu überwinden. Habeck sagte in Berlin, die Regierung sei einem schweren Fahrwasser. Zugleich sagte er: „Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert.“ Der Vizekanzler verwies auf die Lage in der Ukraine, die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA sowie die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland.
„Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland und sie haben nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in die Bundesregierung zu stärken“, sagte der Minister. „Ich verstehe alle Bürgerinnen und Bürger, die mit Kopfschütteln auf das Regierungstreiben schauen.“ Habeck machte deutlich, er halte eine Einigung über den Bundeshaushalt 2025 für möglich. Die Regierung muss noch Milliardenlücken schließen. Die freigewordenen Intel-Milliarden, die eigentlich im Klima- und Transformationsfonds vorgesehen seien, könnten einen Beitrag leisten, um die Haushaltslücke zu reduzieren, so Habeck.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schloss einen Kollaps der Ampelregierung dagegen nicht aus. Auf die Frage, ob mit dem Koalitionsausschuss am Mittwoch Schluss sein könnte, sagte er am Montag: „Das wird man sehen.“ FDP-Fraktionschef Christian Dürr sieht die Ampelkoalition in der Pflicht, zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes auf den Weg zu bringen: „Es müssen jetzt Ergebnisse geliefert werden“, so der Fraktionschef.
Scholz spricht mit Lindner und Habeck
Die Beratungen im festgefahrenen Streit der Regierung laufen derzeit auf Hochtouren. Am Montag beriet der engste Führungskreis der Ampelkoalition: Kanzler Scholz, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kamen dafür mittags im Kanzleramt in Berlin zusammen. Thema waren die Auseinandersetzungen über die Wirtschaftspolitik und den Bundeshaushalt fürs kommende Jahr.
Auch in weiteren Gesprächen diese Woche wollen sich die drei Spitzenpolitiker laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit vertraulich abstimmen. Am Sonntagabend hatte sich Scholz nach SZ-Informationen mit der SPD-Spitze zu einem Krisengespräch im Kanzleramt getroffen, mit dabei waren die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, Generalsekretär Matthias Miersch und Fraktionschef Rolf Mützenich. Am späteren Abend kam der Kanzler zu einem Gespräch mit FDP-Chef Lindner zusammen. Für Mittwoch ist ein Koalitionsausschuss geplant.
Die Frage bei den Gesprächen ist, ob die Ampelparteien noch Schnittmengen für ein gemeinsames Programm zur Belebung der Konjunktur finden. Außerdem muss im Bundeshaushalt 2025 eine Lücke im hohen einstelligen Milliardenbereich geschlossen werden.
Am Zeitpunkt der Diskussion gibt es Kritik
Der Streit innerhalb der Koalition hatte sich zuletzt durch Habecks Vorschlag für einen staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds verschärft – und durch ein Papier von Linder mit Ideen für eine wirtschaftspolitische Kehrtwende. Darin fordert der FDP-Chef eine „Wirtschaftswende“ mit einer „teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“. Konkret ist von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Weiter heißt es, als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag für alle entfallen, und nationale Klimaziele müssten durch europäische ersetzt werden.
Ampel:FDP macht klare Ansage an die SPD – Krisenrunden im Kanzleramt
Fraktionschef Dürr warnt, die SPD-Spitze verkenne den Ernst der Lage. Nach dem Nein zu Forderungen des Finanzministers steht die Regierung vor einem heiklen Koalitionsgipfel. Im Kanzleramt laufen die Krisenberatungen.
Lindner beklagte „Indiskretion“, nachdem das Papier vergangenen Freitag öffentlich wurde. Am Sonntag sagte er, die Koalitionspartner würden nun miteinander die unterschiedlichen Konzepte ansehen. „Meine, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch“, und er warte jetzt „auf die Vorschläge von anderen“. In der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ erklärte Lindner, Deutschland brauche angesichts der aktuellen Herausforderungen und auch mit Blick auf die Zeit nach der US-Wahl „eine Regierung, die einen klaren Kurs hat“. Nicht öffentlich bekannt ist bislang, wie der Bundeskanzler auf Lindners Papier reagiert.
Die CDU forderte wegen der Diskussionen in der Koalition erneut ein rasches Ende der Koalition. „Die Ampel muss jetzt staatspolitische Verantwortung übernehmen, nämlich die Sache zu beenden“, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien am Montag. Deutschland brauche einen Neustart, es müsse so schnell wie möglich zu einer Neuwahl kommen.
Am Zeitpunkt der koalitionsinternen Diskussionen gab es indes Kritik. SPD- und Grünen-Politiker ermahnten Lindner angesichts der Weltlage, sich am Riemen zu reißen. SPD-Chef Klingbeil sagte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“: „Wir haben eine internationale Situation, die an vielen Stellen wirklich herausfordernd ist. Wir wissen nicht, was am Dienstag bei den Wahlen in den USA passiert.“ Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kritisierte den eskalierenden Streit. Alle Beteiligten sollten sich wegen der internationalen Entwicklungen und Herausforderungen auf ihre Aufgaben konzentrieren, sagte sie am Montag bei einer Pressekonferenz in Kiew.