Deutsche Panzer für die Ukraine? Die Frage, ob Deutschland dem von Russland angegriffenen Land auch mit schweren Waffen aushelfen soll, sorgt in Berlin für Streit in der Koalition. Einer der lautesten Kritiker des Kanzlers dabei: Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europa-Ausschusses. "Das Problem ist im Kanzleramt", sagte der Grüne in der Sendung "RTL Direkt". "Wir müssen jetzt endlich anfangen, der Ukraine das zu liefern, was sie braucht, und das sind auch schwere Waffen." Und Deutschland müsse aufhören, das Energieembargo insbesondere bei Öl und Kohle zu blockieren.
Scholz spreche von Zeitenwende, aber setze sie nicht ausreichend um, kritisierte Hofreiter. "Und da braucht's deutlich mehr Führung." Der Grünen-Politiker sagte, wenn man mit anderen europäischen Parlamentariern spreche, werde überall die Frage gestellt, wo eigentlich Deutschland bleibe. "Wir verlieren dort massiv Ansehen bei all unseren Nachbarn."
Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Politikerin attestierte dem Kanzler Führungsschwäche. "Er hat die Richtlinienkompetenz. Er muss jetzt klar sagen, was er will. Und dann können die Ministerien auch loyal im Kabinett abgestimmt handeln. Jetzt macht jeder so sein Ding. Und das geht natürlich nicht", sagte die FDP-Politikerin dem Fernsehsender Welt. Sie kritisierte, dass der Bundeskanzler unbedingt führen müsse, weil es zurzeit zwischen den verschiedenen Ministerien eine "komplexe Gemengelage" gebe. "Er muss jetzt klar sagen, was er will", so Strack-Zimmermann.
Der Führungsstil des Kanzlers erinnere sie an die Legislatur seiner Vorgängerin. Angela Merkel habe auch selten die Richtung vorgegeben, "sondern mal geguckt, wo die Meinung der Menschen hingeht, um sich dann an die Spitze der Bewegung zu setzen." Scholz hat die Lieferung schwerer Waffen bislang abgelehnt und äußert sich dazu oft vage.
Der Grünenchef stellt sich vor Scholz - und fordert zeitgleich mehr Waffen
Die Grünen-Spitze versucht den Spagat, der daraus besteht, einerseits den Kanzler zu schützen, andererseits aber auch die eigene Außenministerin Annalena Baerbock, die ebenfalls schweres Gerät für die Ukraine fordert. Zu Hofreiters Äußerung, das Problem sitze im Kanzleramt, sagte Parteichef Omid Nouripour, das sei "nicht die Linie von Bündnis90/Die Grünen". Die Koalition stehe sehr eng beieinander, um den immensen derzeitigen Herausforderungen gerecht zu werden. Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock sprächen gefühlt rund um die Uhr miteinander über den Krieg in der Ukraine. "Wir sind sehr dankbar für eine extrem enge Zusammenarbeit in dieser Bundesregierung in dieser Angelegenheit", sagte Nouripour. Die Lage sei zu ernst für parteipolitisches Denken, die Regierung stehe geschlossen. Nouripour sagt aber auch: Die Ukraine brauche schwere Waffen. "Das ist mehr als sichtbar." Es dürfe jetzt nicht um die Debatten der Vergangenheit gehen, sondern die Bedürfnisse von heute.
Der grüne Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler Robert Habeck stellt sich ebenfalls hinter den Regierungschef. Habeck sagte am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Kiel: "Eine Regierung arbeitet gemeinsam. In Zeiten wie diesen ist es extrem wichtig, dass Deutschland sich nicht auseinanderdividieren lässt." Insofern finde er Hofreiters Aussage falsch.
Hilfe bekommt Kanzler Scholz auch vom eigenen Fraktionsvorsitzenden. "Einfache Antworten, auch bei der Lieferung von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine, gibt es nicht. Wer das behauptet, handelt verantwortungslos", sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Die Bilder und Berichte über den Krieg in der Ukraine seien schrecklich und verstörend. Unter dem Eindruck von Besuchen vor Ort "bisher beispiellose Entscheidungen zu fordern, ohne sie selbst verantworten zu müssen, ist falsch - zumal diese weitgehende Konsequenzen für die Sicherheit unseres Landes und der Nato haben könnten", erklärte Mützenich.
Mit dem Verweis auf Besuche spielte Mützenich auf die Reise von Hofreiter, Strack-Zimmermann und Michael Roth, SPD-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, in die Ukraine an. Die drei Ampel-Vertreter hatten sich am Dienstag ein Bild von der Lage vor Ort gemacht und mit ukrainischen Abgeordneten unter anderem über deren Wunsch nach schweren deutschen Waffen ausgetauscht. "Wir brauchen pragmatische Lösungen, die wir natürlich auch mit unseren Partnern abstimmen. Aber es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir Bedenken vor uns hertragen, dass wir abweisend sind", sagte Roth danach.
Mit Material der Agenturen dpa und Reuters