Das Entsetzen der Ampelparteien in Berlin über den Absturz bei den Landtagswahlen am Sonntag in Ostdeutschland ist immer noch greifbar. Nun will die Regierungskoalition durch Korrekturen und neue Akzente in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Vertrauen zurückgewinnen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte am Mittwoch an, dass das Bürgergeld kommendes Jahr nicht erhöht werden soll. Zudem will er für Bürgergeldempfänger strengere Regeln einführen. In der Rentenpolitik sollen eine neue Prämie und arbeitsrechtliche Lockerungen Ältere dazu bewegen, länger zu arbeiten. Ein entsprechendes Gesetzespaket Heils zur Rente hat das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet.
Wähler sprechen der SPD bei der sozialen Gerechtigkeit wenig Kompetenz zu
Nach den Themen Zuwanderung und Waffenlieferungen an die Ukraine gilt die Sozialpolitik und insbesondere das umstrittene Bürgergeld als eine der Ursachen für das Wahlergebnis in Thüringen und Sachsen. Bei der Frage, welche Partei kompetent sei, soziale Gerechtigkeit herzustellen, landeten die Sozialdemokraten in Sachsen Wahlanalysen zufolge hinter CDU und AfD. Soziale Gerechtigkeit galt einmal als große Stärke der SPD. Monatelange Angriffe aus den Reihen von Union, FDP und AfD, das Bürgergeld sei viel zu üppig, sowie Kritik von BSW und Linken, die gesetzliche Rente sei viel zu mager, haben diesen Ruf weiter beschädigt.
Nun also die Nullrunde für Bürgergeldempfänger zum 1. Januar 2025. Im Grunde entspricht die Nullrunde nur der Gesetzeslage, nach zwei deutlichen Erhöhungen um jeweils zwölf Prozent Anfang 2023 und Anfang 2024 begründet die niedrigere Inflation keinen weiteren Anstieg. Dennoch kündigte Heil den Schritt morgens offensiv im Fernsehen an und verteidigte ihn mit den Worten: „Und das ist auch richtig so.“
Laut Ministerium ist das Bürgergeld rein rechnerisch auch nach der Nullrunde noch höher, als die Inflation rechtfertigt, um 24 Euro im Monat für alleinstehende Hilfebezieher. Gekürzt wird das Bürgergeld trotzdem nicht, das ist gesetzlich ausgeschlossen. Die Koalition hatte nach den starken Preisanstiegen zu Beginn des Ukraine-Krieges ein neues Modell durchgesetzt: Es soll die künftige Inflation vorwegnehmen. So kam es zu den Erhöhungen um zwei Mal zwölf Prozent.
Wer länger arbeitet, kann zum Rentenbeginn eine Einmalzahlung bekommen
Bei der Rente will Heil das Kunststück fertigbringen, mit neuen Wohltaten die Wirtschaft anzukurbeln. Leisten sollen dies Lockerungen im Arbeitsrecht und Vergünstigungen für diejenigen, die auch im Rentenalter weiterarbeiten. Wer sein Wissen und Können weiter freiwillig einbringen möchte, profitiere von den neuen Regelungen, sagte Heil. „Das ist ein wichtiger Schritt, um erfahrene Fachkräfte für unsere Wirtschaft zu sichern.“ Der Mangel an Fachkräften gilt als eine wichtige Ursache für das schwache Wachstum der deutschen Wirtschaft. Die Pläne hatte die Regierung in Grundzügen bereits im Juli beschlossen für ihre „Wachstumsinitiative“.
Besonders ansprechend könnte für viele Ältere die sogenannte Rentenaufschubprämie sein. Bisher ist es so: Wer weiter berufstätig ist, obwohl er regulär in Rente gehen kann, erarbeitet sich damit eine höhere lebenslange Rente. Die Rentenaufschubprämie soll künftig eine weitere Möglichkeit eröffnen. Beschäftigte können sich demnach die höheren Ansprüche nach der Verlängerung im Beruf auf einen Schlag auszahlen lassen. Voraussetzung: Sie arbeiten mindestens ein Jahr durchgehend auf einer Stelle, die sozialversicherungspflichtig ist und mehr umfasst als eine geringfügige Beschäftigung.
Die Prämie erhöht sich zusätzlich, weil die Rentenkasse für die arbeitenden Senioren noch keine Beiträge an die Krankenversicherung zahlen muss. Der Bonus soll bis zu drei Jahre angesammelt werden dürfen, er kann sich so auf mehrere Zehntausend Euro summieren. Derzeit kann man sich regulär mit 66 Jahren in den Ruhestand verabschieden. Attraktiv ist die Prämie für diejenigen, die in den ersten Jahren ihres Ruhestands Geld zur Verfügung haben wollen – und nicht erst später, verteilt über ihre Rentenzeit. Ein Teil der Kosten für das Modell müsste allerdings die Sozialversicherung tragen.
Die Ampelpartner zeigten sich nach Bekanntgabe der Pläne in relativer Harmonie. Die Nullrunde sei ein erster wichtiger Schritt, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Sein Parteikollege Jens Teutrine forderte, eine Kürzung des Bürgergelds zu prüfen. Grünen-Vizefraktionschef Andreas Audretsch verteidigte die Nullrunde als „Ergebnis guter Politik für günstige Preise“. Der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber von Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) forderte, den Mechanismus für die Erhöhung des Bürgergelds zu reformieren, „damit so ein Hin und Her“ bei der Höhe des Bürgergelds nicht mehr auftrete.