Steuerpläne der SPD:Das große Rechnen

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Hat nachgerechnet, was der Koalitionspartner SPD erst noch vorrechnen will: Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Die SPD will 95 Prozent der Steuerzahler entlasten und dafür wenige Topverdiener höher besteuern. FDP-Finanzminister Lindner warnt vor den Folgen. Der Wahlkampf der großen Zahlen hat begonnen.

Von Claus Hulverscheidt, Georg Ismar, Henrike Roßbach, Berlin

Die jüngsten Steuerideen der SPD für den Wahlkampf haben einigen Wirbel ausgelöst – besonders im FDP-geführten Bundesfinanzministerium (BMF). Nachdem die Sozialdemokraten am Wochenende angekündigt hatten, 95 Prozent der Lohn- und Einkommensteuerzahler entlasten und dafür das oberste Prozent stärker besteuern zu wollen, hat im Haus von Finanzminister Christian Lindner das große Rechnen begonnen. Nun ist das Ergebnis da, und Lindner stellt – wenig überraschend – fest: „Durch die Steuerideen der SPD würde unser Land mehr verlieren als gewinnen.“

Zu dem oberen einen Prozent zählen alle, die Einkünfte von knapp 284 000 Euro oder mehr haben. Die Berechnungen von Lindners Haus, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, beginnen mit der Feststellung, dass in der Statistik gemeinsam veranlagte Ehepaare als ein Steuerpflichtiger ausgewiesen würden – sich hinter einem Einkommen also auch zwei Menschen verbergen können. Es handele es sich dabei „weit überproportional“ um Fach- und Führungskräfte, Mittelständler und Freiberufler, bei denen die Einkommensteuer auch ihre betriebliche Steuer sei. In der Regel sei diese Gruppe vom „Reichensteuersatz“ betroffen. Der liegt bei 45 Prozent und damit über dem normalen Spitzensteuersatz von 42 Prozent.

Laut Lindners Haus müsste der Reichensteuersatz auf 56 Prozent steigen

Derzeit trägt das oberste Prozent der Verdiener laut Ministerium knapp 25 Prozent zum Aufkommen der Lohn- und Einkommensteuer bei und 60 Prozent zum Solidaritätszuschlag. Die Gruppe der unteren 95 Prozent wiederum, die laut BMF rund 46 Millionen Menschen umfasst, zahlt gut 55 Prozent des Lohn- und Einkommensteueraufkommens und knapp 15 Prozent vom Soli.

Für seine Berechnung setzt Lindners Haus eine „spürbare Entlastung“ mit 20 Euro im Monat an, was bei 46 Millionen Begünstigten elf Milliarden Euro im Jahr kosten würde. Und weil eine Erhöhung des Reichensteuersatzes um einen Prozentpunkt eine Milliarde bringt, müsste der Reichensteuersatz also auf 56 Prozent steigen, um die gewünschte Entlastung zu finanzieren. Mit Soli läge die Belastung in der Spitze sogar bei 59 Prozent.

„59 Prozent von Spitzenkräften und Mittelstand zu verlangen, das geht voll zulasten von Wachstum und Arbeitsplätzen im Mittelstand“, sagte Lindner. Es sei „in einer freien Gesellschaft auch zutiefst ungerecht, wenn der Staat von der Leistung der Bürger mehr verlangt, als ihnen selbst verbleibt“. Aus Sicht des Finanzressorts wäre die Wettbewerbsfähigkeit von Personengesellschaften beeinträchtigt; sie würden dann zudem erheblich stärker besteuert als Kapitalgesellschaften.

Das Konzept der SPD ist noch im Werden

Dass Lindner fast schon überstürzt auf die SPD-Idee reagiert hat, ist in gewisser Weise verwunderlich, weil es ein fertiges Konzept ja noch nicht gibt. Was vorliegt, sind kaum mehr als Eckpfeiler und Allgemeinplätze nach dem Motto: „Wir wollen, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben.“

Alles, was man seit dem Beschluss des Parteivorstands weiß, ist die Tatsache, dass die große Mehrheit der Steuerzahler – „etwa 95 Prozent“ – im Zuge einer grundlegenden Einkommensteuerreform entlastet werden soll. Bezahlen sollen das zumindest teilweise die einkommensstärksten Bürger, die Rede ist vom obersten einen Prozent, dessen Steuerlast die SPD „etwas“ erhöhen will. Ziel sei es, den Bürgern „mehr finanziellen Spielraum“ zu geben. Auch in der SPD selbst betonen sie, dass noch nichts final durchgerechnet sei. Die Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast etwa sagte: „Das ist ein Eckpunktebeschluss.“ Normativ allerdings sei man damit auf die Richtung festgelegt, dass 95 Prozent entlastet würden. „Dieser Beschluss wird konkretisiert auf der Strecke.“

In der SPD zeichnet sich bereits ab, dass Entlastungen nicht ausschließlich über eine stärkere Belastung des obersten Prozents der Steuerpflichtigen finanziert werden sollen, sondern auch über die Wiedereinführung einer Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer. Vom 2. bis zum 16. November sind, unter anderem zum Steuerkonzept, Dialogkonferenzen geplant, Ende Januar folgt eine Vorstandsklausur, im März ein Debatten-Camp. Erst danach soll das Wahlprogramm finalisiert und am 21. Juni auf einem Sonderparteitag beschlossen werden.

Sigmar Gabriel gibt der SPD einen wenig schmeichelhaften Rat

Wie das Steuerkonzept aussehen könnte, zeigt ein Papier des Seeheimer Kreises, in dem sich die konservativeren SPD-Bundestagsabgeordneten zusammengeschlossen haben. Sie wollen den Spitzensatz von 42 auf 45 Prozent erhöhen, ihn aber erst ab einem Jahresverdienst von mehr als 80 000 Euro erheben, bei Verheirateten ab 175 000 Euro. Bisher greift er ab 66 761 beziehungsweise 133 522 Euro.

Der Reichensteuersatz wiederum, der aktuell von knapp 278 000 Euro an greift, würde dann auf 48 Prozent angehoben. Insgesamt ergäbe das für gut 95 Prozent der Steuerpflichtigen eine Entlastung. Schon im Wahlkampf 2021 gab es ein ähnliches Konzept, aus der Feder des damaligen Finanzministers Olaf Scholz. Da sollte der Spitzensteuersatz sogar erst ab 100 000 Euro fällig werden.

Dass FDP-Chef Lindner an der SPD-Idee wenig Gutes finden würde, war erwartbar. Allerdings hat auch der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mal nachgerechnet. In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt er, nach den SPD-Plänen sollten gut 404 000 Steuerpflichtige rund 41 Millionen Lohn- und Einkommensteuerzahler entlasten. Gabriel rät seiner Partei: „Die SPD tat und tut gut daran, keine Details zu ihrer Reform und möglichen Entlastungen pro Kopf bekannt zu geben. Das Ergebnis wäre kümmerlich und für die übergroße Zahl der Steuerzahler ernüchternd.“

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