Ampelkoalition :Ampel an der Abbruchkante

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Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD; links) wurde 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum durch den damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl (am Rednerpult) abgelöst. (Foto: Martin Athenstädt/dpa)

Wenn es beim Koalitionsgipfel keine Einigung gibt, muss das nicht direkt das Ende bedeuten. Aber in Berlin werden bereits die Szenarien durchgespielt.

Von Georg Ismar, Berlin

So nah am Abgrund stand selbst diese Koalition noch nicht. Sicher kann es sein, wie so oft, dass man sich im Koalitionsausschuss an diesem Mittwoch wieder vertagt – und weiterverhandelt. Eigentlich sind einer Einigung beim Haushaltsplan enge Grenzen gesetzt, bis zum 14. November soll er stehen, dann ist die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag. Wenn es aber bis dahin zum Bruch kommen sollte, sind folgende Möglichkeiten denkbar.

Szenario 1: rot-grüne Minderheitsregierung

FDP-Chef Christian Lindner sind die Angebote nicht ausreichend genug, er sieht damit keine Basis für eine „Wirtschaftswende“. Er sagt etwas nach dem Motto: „Besser nicht weiterregieren, als weiter schlecht regieren“. Die FDP zieht ihre Minister ab, so wie 1982, als die SPD und ihr Kanzler Helmut Schmidt nicht auf Reform- und Sparvorschläge von Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff eingehen wollten.

Anders als heute hatte die FDP auch mit der Union eine Mehrheit, wechselte kurzerhand in eine schwarz-gelbe Koalition, Schmidt wurde mit dem bisher einzigen erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum gestürzt und Helmut Kohl zum Kanzler gewählt. Scholz könnte bei einem FDP-Ausscheiden – denkbar, aber unwahrscheinlich wäre auch, dass er die FDP quasi rauswirft – mit einer rot-grünen Minderheitsregierung weitermachen. Aber für jedes Vorhaben müsste die sich im Bundestag Mehrheiten suchen. Sie würde zur Getriebenen der Union. Mangels Mehrheit gäbe es keinen Bundeshaushalt für 2025. Die Folge wäre eine vorläufige Haushaltsführung, nur die nötigsten Ausgaben wären erlaubt. Konjunkturimpulse wären kaum möglich. Denkbar wäre auch, dass die FDP noch einen Haushalt mitbeschließt, um etwas Stabilität zu sichern, dann aber ausscheidet und es bei der regulären Bundestagswahl am 28. September 2025 bleibt. Das Kalkül wäre dann, mit diesem Schritt und Lindners Wirtschaftsprogramm, genug verlorene Wähler zurückzugewinnen.

Szenario 2: Vertrauensfrage und Neuwahl

Scholz setzt alles auf eine Karte, schlägt im Koalitionsausschuss eine Lösung vor, womöglich verbunden mit einem Lockern der Schuldenbremse, damit mehr investiert werden kann und, wie von der FDP gewünscht, auch Unternehmenssteuern gesenkt werden können. Er kündigt an, dies mit der Vertrauensfrage im Bundestag zu verbinden. Gehen FDP oder Grüne da nicht mit, wird er die Abstimmung verlieren. Auch wenn es an dem Abend schon zum Bruch kommt und eine Minderheitsregierung als zu instabil erachtet wird, wäre der Weg zu einer Neuwahl wohl der über die Vertrauensfrage, zuletzt war das bei Gerhard Schröder 2005 der Fall. Denn ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments gibt es nicht. Laut Grundgesetz kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Kanzlers binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen, wenn ein Antrag des Kanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, „nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages“ findet.

Der Bundestag würde damit bestätigen, dass die politischen Kräfteverhältnisse im Parlament die Handlungsfähigkeit des Kanzlers so beeinträchtigen oder lähmen, „dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag“, wie es das Bundesverfassungsgericht als Voraussetzung für die Auflösung des Parlaments nach einer gescheiterten Vertrauensfrage formuliert hat. Im Falle Schröders gab es viel Kritik, weil es eigentlich eine „unechte“ Vertrauensfrage war – der Kanzler wollte sie verlieren, um Neuwahlen herbeizuführen, da er nach parteiinternen Widerständen gegen seine Agenda-Politik und einer SPD-Niederlage bei der NRW-Landtagswahl keine ausreichende Basis mehr sah. Verliert Scholz die Vertrauensfrage – diese würde dann wahrscheinlich im Dezember im Bundestag gestellt – und der Bundespräsident entscheidet sich zur Auflösung des Bundestages, dann müssen nach diesem Schritt innerhalb von sechzig Tagen Neuwahlen stattfinden, als Datum wird über den 9. März spekuliert.

Es kann auch sein, dass man sich auf einen Formelkompromiss einigt, die FDP aber weiter hadert und als Retourkutsche beim Votum über das für die SPD essenzielle Rentenpaket II nicht mitgeht. Auch diese Abstimmung könnte Scholz dann mit der Vertrauensfrage verbinden.

Szenario 3: Der Bundespräsident schreitet ein

Bei einem Bruch der Koalition könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Union bitten, übergangsweise zur Sicherung der Stabilität des Landes eine Koalition mit der SPD zu bilden. Weil das Wahlergebnis von 2021 die Basis wäre, bliebe Scholz Kanzler. Aber CDU-Chef Friedrich Merz schließt das eigentlich aus, die Union fordert seit Wochen Neuwahlen. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass FDP und Grüne gemeinsam ausscheiden, mit CDU/CSU in Verhandlungen eintreten, sich auf eine Jamaika-Übergangskoalition bis zur Bundestagswahl einigen, Scholz per konstruktivem Misstrauensvotum stürzen und Merz zum Kanzler wählen.

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Von Heribert Prantl

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