Die Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP ist nach knapp drei Jahren am Ende und Deutschland steht vor vorgezogenen Neuwahlen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwochabend bei einem Koalitionsgipfel entschieden, Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach unüberbrückbaren Differenzen zu entlassen. Auch die anderen FDP-Minister Marco Buschmann (Justiz), Bettina Stark-Watzinger (Bildung) und Volker Wissing (Verkehr) verlassen die Regierung. Scholz plant, am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen – diese würde wohl verloren, dann müsste der Bundespräsident entscheiden, ob der Bundestag aufgelöst wird und Neuwahlen angesetzt werden.
Scholz kündigte an, dass es diese wahrscheinlich Ende März geben soll. Bis dahin werden SPD und Grüne in einer Minderheitsregierung weiter regieren. Es gehe darum, „Schaden von unserem Land abzuwenden“, sagte Scholz am Abend im Kanzleramt. Man brauche angesichts der Veränderungen durch den Wahlsieg von Donald Trump in den USA und der Lage der Wirtschaft einen „größeren finanziellen Spielraum“. Wer das verkenne und sich Kompromissen verweigere, „der handelt verantwortungslos“. Scholz betonte, es gebe verschiedene Herausforderungen, die eine Notlage mit dem Aussetzen der Schuldenbremse rechtfertigen, um neue Spielräume für zusätzliche Investitionen im Bundeshaushalt zu schaffen.
Diesen Vorschlag aber lehnte Lindner strikt ab. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hatte Scholz intern vorgeschlagen, durch Erklären der Notlage rund 15 Milliarden Euro zusätzlich an Spielraum für Investitionen zu gewinnen, davon drei Milliarden mehr für die Ukraine, bisher war für 2025 eine Militärunterstützung von vier Milliarden Euro geplant.
Lindner habe „mein Vertrauen gebrochen“, sagt der Kanzler
„Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung“, sagte Scholz. Das gelte gerade an einem Tag, wo Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen habe, was einige Veränderungen mit sich bringe. Er habe Lindner ein Paket vorgeschlagen, um die Energiekosten gerade für die Industrie zu dämpfen, zudem ein Paket zu schnüren, das Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei Zulieferern sichere. Ferner wollte Scholz die von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagene Investitionsprämie für Unternehmen einführen und eben die Unterstützung für die Ukraine erhöhen – das von Russland angegriffene Land stehe vor einem schweren Winter.
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Bei der Neuwahl, die am 23. Februar 2025 stattfinden soll, gilt erstmals ein neues Wahlrecht, die sogenannte Grundmandatsklausel aber bleibt. Bayerns Ministerpräsident Söder stellt die Zukunft des Deutschlandtickets infrage.
Der Kanzler rechnete geradezu mit seinem bisherigen Finanzminister ab. Zu oft „hat er mein Vertrauen gebrochen“, betonte Scholz. Zu oft habe Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert und sich im parteipolitischen Klein-Klein verhakt. Man dürfe sich nicht „in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird“, müsse bereit sein für Kompromisse. Lindner übernehme keine Verantwortung. „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“
Der Kanzler kündigte an, auf CDU-Chef Friedrich Merz zuzugehen, um schnell ein Paket für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen sowie eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, um das Land auf die neuen Herausforderungen durch den Wahlsieg Trumps und ein womöglich geringeres Engagement in Europa einzustellen. Scholz verwies auf die Bedrohung durch Russland.
Zuvor war es beim Koalitionsgipfel, der einen Ausweg im Streit um den Bundeshaushalt für 2025 und neue Konjunkturimpulse finden wollte, zu einer Eskalation gekommen. Lindner schlug Neuwahlen vor – ein Signal, dass er nicht mehr an den gemeinsamen Erfolg glaubt. Zudem landete Lindners Vorstoß direkt bei der Bild-Zeitung, das Umfeld des Kanzlers machte Lindner für die Indiskretion verantwortlich, vertrauliche Beratungen seien so aussichtslos. Scholz entschloss sich, das Ampel-Bündnis durch die Entlassung Lindners aufzukündigen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss Lindner und die übrigen FDP-Minister noch entlassen, aber dies ist eine Formalie. Steinmeier trifft sich am Donnerstag auch mit CDU-Chef Friedrich Merz zu einer Unterredung.
Zugespitzt hatte sich die Lage durch Lindners am Freitag publik gewordenes Papier für eine Wirtschaftswende. Aus der SPD hieß es, die jüngsten Indiskretionen und Provokationen wie Lindners eigene Wirtschaftsgipfel oder sein 18-Seiten-Papier, das sich teils auch wie eine Abrechnung mit der Politik von SPD und Grünen las, hätten das Bündnis endgültig an eine Grenze gebracht. Die FDP beharrte bis zum Schluss auf einem Haushalt, der die Schuldenbremse einhält – und auf einer Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. Unternehmen müssten entlastet und Sozialausgaben gekürzt werden.
Allerdings lehnten SPD und Grüne Forderungen wie Renten- und Bürgergeldkürzungen sowie eine Kehrtwende in der Klimapolitik ab. Schnell war vom „Scheidungspapier“ die Rede, so wie 1982, als FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ein „Konzept für die Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ vorlegte. Es führte zum Bruch der sozial-liberalen Koalition, Kanzler Helmut Schmidt (SPD) entließ die FDP-Minister. Großer Unterschied zu heute: Damals konnte die FDP zur Union wechseln, Helmut Kohl wurde zum neuen Kanzler gewählt. Heute haben beide zusammen keine Mehrheit.