Die Ampelkoalition war mit ihrem Programm noch nicht fertig, der Bruch des Bündnisses hat zentralen Vorhaben die parlamentarische Mehrheit entzogen. Was wird aus ihnen? CDU-Chef Friedrich Merz fordert, der Kanzler müsse erst den Weg zu schnellen Neuwahlen freimachen, dann werde die Union prüfen, welche Gesetzesprojekte sie bis dahin unterstützen könne. Er sagte aber auch, die Union werde weiterhin im Bundestag richtigen Gesetzen zustimmen. Ähnlich klingt die Botschaft aus der FDP-Spitze. Um welche Gesetze es geht? Welche Folgen hätte ihr Scheitern?
Haushalt und Steuern
Egal, wann die geplante Neuwahl nun stattfinden wird: Vom 1. Januar an wird der Bund zunächst ohne gültigen Etat auskommen müssen, denn die Ampelpartner konnten sich nicht einmal auf einen Entwurf für den Haushalt 2025 einigen. Stattdessen gelten die in Artikel 111 des Grundgesetzes vorgegebenen Regeln der sogenannten vorläufigen Haushaltsführung. Sie legen vereinfacht gesagt fest, dass der Bund alle Leistungen, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist, auch weiter auszahlen muss – das Elterngeld etwa. Dabei gelten die Obergrenzen, die das Kabinett bei der Verabschiedung des Regierungsentwurfs im Sommer festgelegt hatte. Baumaßnahmen und andere Projekte, die bereits begonnen wurden, dürfen ebenfalls fortgeführt werden. Auch außerplanmäßige Ausgaben, etwa zur Unterstützung der Ukraine, sind grundsätzlich möglich. Neue Projekte darf die Verwaltung hingegen nicht in Angriff nehmen. Dass es im Januar noch keinen gültigen Haushalt gibt, kommt regelmäßig vor, etwa wenn im Herbst zuvor der Bundestag turnusgemäß neu gewählt wurde. Sollte die jetzt geplante Neuwahl allerdings erst im März stattfinden und ziehen sich die anschließenden Koalitionsverhandlungen hin, ist es denkbar, dass der Bund im gesamten ersten Halbjahr 2025 mit den Regeln der vorläufigen Haushaltsführung leben muss. Dann bliebe wohl einiges auf der Strecke.
Steuerlich wichtig für die Arbeitnehmer ist zudem der Abbau der sogenannten kalten Progression, damit nicht Lohnerhöhungen, die nur die Inflation ausgleichen, die Steuerlast steigen lassen. Nun ist offen, was daraus wird. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist dafür, die kalte Progression auszugleichen, die FDP ohnehin. Die Grünen hatten das entsprechende Gesetz zuvor länger blockiert.
Rentenpaket und Altersvorsorge
Hubertus Heil will nicht aufgeben, er wolle das mit dem bisherigen Finanzminister Christian Lindner auf den Weg gebrachte Rentenpaket noch durch den Bundestag bringen, sagte der SPD-Arbeitsminister dem ZDF. Es soll das Niveau der Renten auf dem heutigen Stand stabilisieren. Es ist eines der zentralen Vorhaben der SPD und liegt bereits dem Bundestag vor. Zudem soll ein staatlicher Wertpapierfonds die Rentenkasse stützen. Er werde intensiv um Mehrheiten für das Rentenpaket „kämpfen“, sagte Heil. Die Aussichten dafür sind allerdings schlecht. Die FDP-Fraktion hat grundlegende Änderungen an dem Paket gefordert, die Union hat es scharf kritisiert als ungerecht und nicht nachhaltig. Auch Linke und AfD haben andere Vorstellungen. Ohne Reform dürfte das Rentenniveau sinken, allerdings erst von 2027 an. Kaum besser sieht es bei der Reform der privaten Altersvorsorge aus, welche die Riester-Rente ablösen soll. Hier hatte Lindner Ende September zwar einen mit den Ministerien der Koalitionspartner abgestimmten Gesetzentwurf vorgelegt, der eine risikoreichere Geldanlage mit staatlicher Förderung vorsieht. Diese Pläne aber sieht man in der SPD skeptisch. Man werde dem „so auf gar keinen Fall zustimmen“, sagt Bernd Rützel (SPD), der Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag.
Asylreform
Als eines ihrer letzten Gesetze hatte die Regierung am Mittwoch im Kabinett nur Stunden vor dem Platzen der Koalition die Umsetzung der EU-Asylreform in deutsches Recht beschlossen. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sieht strengere Asylregeln vor. So sollen Asylanträge von Menschen mit geringer Bleibeperspektive künftig bereits an der EU-Außengrenze entschieden werden. In Deutschland muss das vor allem für Verfahren an Flughäfen umgesetzt werden. Kanzler Scholz hatte die Reform in seiner Ansprache zum Ampel-Aus als eine jener Reformen angekündigt, die er im Bundestag unbedingt noch zur Abstimmung stellen wolle. SPD und Grüne hoffen darauf, dass FDP oder Union dem Vorhaben zustimmen. Man habe Gespräche über noch ausstehende Vorhaben mit anderen Fraktionen aufgenommen, heißt es. Die FDP im Bundestag werde „jeder Initiative zustimmen, die aus unserer Sicht unser Land voranbringt“, sagt Stephan Thomae, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. „Das gilt auch für die Umsetzung der GEAS-Reform. Für diese hat sich die FDP-Fraktion immer starkgemacht.“
Kindergrundsicherung und Kindergeld
Mit dem Ende der Koalition ist die Kindergrundsicherung und damit das Prestigeprojekt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) endgültig gescheitert. Sie sollte bisherige Leistungen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien zusammenfassen und deren Beantragung vereinfachen. Der Gesetzentwurf war von Anfang an auf Kritik gestoßen. Die Union lehnte ihn ab, die FDP blockierte das Vorhaben im Bundestag.
Auch die Reform des Kindergeldes steht infrage. Von 2025 an sollten Kindergeld und Kindersofortzuschlag für Familien mit geringem Einkommen steigen. Für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist das ein wichtiges Thema, das umgesetzt werden müsse. Der Union warf er vor, mit Blick auf einen Termin für die Vertrauensfrage einen „Popanz“ aufzubauen. Die Bevölkerung wolle Entscheidungen zu Sachthemen wie dem Kindergeld, sagt er. Es müsse sich nun zeigen, ob die Union im Bundestag bei diesem Thema mitziehen werde. Doch auch die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher, fordert Scholz auf, schnell für Klarheit zu sorgen und die Vertrauensfrage zu stellen. „Wir werden in der nächsten Woche über das weitere Vorgehen bei den familienpolitischen Vorhaben beraten“, sagte sie der SZ.
Wehrdienst
Für das Verteidigungsministerium und das Projekt der Zeitenwende bringt das Ende der Koalition eine gute und eine schlechte Nachricht. In den bisher geplanten vier verbleibenden Sitzungswochen sollen weitere Rüstungsprojekte nicht blockiert werden. Für alle Vorhaben mit einem Volumen ab 25 Millionen Euro muss der Haushaltsausschuss des Bundestags gefragt werden; und auch in dieser Woche gab es hier Zustimmung, auch die Union macht hier mit. Mindestens verzögern dürfte sich hingegen das Modell für einen neuen Wehrdienst, welches das Bundeskabinett erst am Mittwoch beschlossen hat. Es wird nach Einschätzung des Verteidigungsministeriums nicht mehr gelingen, das Modell im Bundestag zu beschließen. Es sollte eigentlich im Mai in Kraft treten – was nun aber nicht klappen wird. Alle Männer und Frauen, die 18 werden, sollen angeschrieben werden, ob sie sich einen freiwilligen Wehrdienst vorstellen können. Für Männer ist die Beantwortung Pflicht, für Frauen freiwillig. Vor allem soll es so auch eine Rückkehr für eine systematische Wehrerfassung geben, also einen großen Datenpool aller potenziell Wehrpflichtigen. Im Falle der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht im Spannungs- und Verteidigungsfall könnten auch die Männer dann erneut kontaktiert werden, die keinen freiwilligen Wehrdienst leisten wollten. Durch die Verschiebung könnte diese Wehrerfassung sich für bestimmte junge Männer verschieben – und sie nicht mehr betreffen. Bisher sollen alle ab 2007 Geborenen angeschrieben und erfasst werden.
Die Energiekrise war ein steter Begleiter der Ampelkoalition, besonders heikel kann sich ihr vorzeitiges Ende auf die Sicherheit der Stromversorgung auswirken, wenngleich mit Verzug. Denn die Koalition wollte noch ein „Kraftwerkssicherheitsgesetz“ verabschieden, das nun ebenfalls in der Schwebe ist. Damit sollten Auktionen für den Neubau von Gaskraftwerken organisiert werden. Deren Bau – ob mit Wasserstoff oder Erdgas betrieben – wäre dringend nötig. Einerseits fallen Kohlekraftwerke weg, andererseits braucht es Reserven für Zeiten, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Schon im kommenden Jahr sollte eine erste Auktion ablaufen, 2026 eine zweite, jeweils über rund sechs Gaskraftwerke. Ohne Gesetz keine Auktion, ohne Auktion keine Kraftwerke – und damit im schlimmsten Fall eine Lücke in der Stromversorgung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zählt den Plan deshalb zu jenen, für die sich vielleicht noch eine Mehrheit finden lasse, schließlich gehe es um die Energiesicherheit. Druck kommt auch aus den Ländern: Am Freitag verabschieden deren Energieministerinnen und -minister eigens eine „Brunsbütteler Erklärung“. Deutschland müsse den Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung jetzt fortsetzen, fordern sie darin. Inklusive Kraftwerksgesetz.