Das Wochenende begann mit einem Appell. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) rief die Parteien der Ampelkoalition auf, sich zusammenzureißen. „Ein Jahr vor der Wahl ist zu früh, um mit dem Regieren aufzuhören“, sagte sie der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Am 28. September 2025 sollen die Menschen in Deutschland planmäßig einen neuen Bundestag wählen.
Ob es bei diesem Termin bleibt und der Appell der Bundestagspräsidentin erhört wird, daran nährten Politiker der drei regierenden Parteien allerdings auch an diesem Wochenende wieder nach Kräften Zweifel. Einig ist man sich anscheinend nur darüber, dass die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Endes stetig steigt. An möglichen Bruchstellen fehlt es nicht: der Haushalt für das kommende Jahr, dazu die Renten- und die Migrationspolitik.
Saskia Esken weist Forderungen von Lindner zurück: „Wir setzen Grundrechte auch nicht probeweise aus.“
Scharf wies die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken beispielsweise die Forderung von FDP-Chef Christian Lindner zurück, zeitlich befristete Zurückweisungen an allen Grenzen zu testen. „Die Zurückweisung aller Asylbewerber an der Grenze entspricht weder unseren Gesetzen noch unseren rechtlichen und humanitären Verpflichtungen. Wir setzen Grundrechte, europäisches Recht und internationale Vereinbarungen auch nicht probeweise aus“, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Den vom Finanzminister ausgerufenen „Herbst der Entscheidungen“ konterte Esken mit dem Vorwurf, Lindners „Jonglieren mit Daten und Ultimaten“ sei „Ausdruck einer Spielernatur, die mit verantwortungsvoller Politik nichts zu tun hat“. Dahinter steht die in der SPD häufig zu hörende Annahme, Lindner sei ein politischer Zocker, dem der Koalitionsbruch jederzeit zuzutrauen sei. „Die FDP provoziert, weil sie verzweifelt versucht, sich zu profilieren. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich daran noch etwas ändert“, sagte Esken. Dennoch baue sie auf das Verantwortungsgefühl der Koalitionspartner, „die Vorhaben, die wir uns in dieser Legislatur vorgenommen haben, noch umzusetzen“.
Ähnlich äußerte sich Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, der die Grünen nach einer Dauerserie von Wahlniederlagen und dem Rücktritt der Parteiführung neu zu positionieren versucht. „Wir müssen den Job zu Ende bringen“, sagte er im Deutschlandfunk zu Spekulationen über ein vorzeitiges Koalitionsende. Dabei bediente er sich einer Sport-Metapher: „Man kann nicht beim Marathonlauf 35 Kilometer rennen und dann sagen, die letzten sieben sind zu anstrengend, jetzt lasse ich das mal sein, aber morgen fange ich an, Badminton zu spielen. Das ist nicht cool.“

Bundesregierung:Geld her, oder ich fall um
Der Haushaltsstreit hat die Ampelkoalition bis an den Abgrund gebracht. Wie konnte es so weit kommen? Ein Drama in mehreren Akten.
Abarbeiten ohne Konflikte – das ist von der Ampel nicht mehr zu erwarten
Im letzten Regierungsjahr geht es nach Habecks Worten darum, Dinge, „die wichtig sind und die angefangen wurden“, zu Ende zu bringen. Das sei vor allem der Haushalt. Das gelte aber auch im Energiebereich. Es seien „vielleicht noch 20, 30 Gesetzesvorhaben, die da in der Pipeline sind“. Auch in den vergangenen Tagen zeigte sich allerdings wieder, dass ein konfliktfreies Abarbeiten in der zerrütteten Ampel nicht mehr zu erwarten ist. So distanzierte sich die FDP erneut von dem ursprünglich von ihr mitgetragenen Regierungsentwurf zur Rente. „Das Gesetz so ist noch nicht zustimmungsfähig“, sagte der Vize-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler in den ARD-„Tagesthemen“. Es sei normal, dass es im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen gebe. Aus FDP-Sicht benachteiligt das Paket die Jüngeren. Die Liberalen fordern daher eine Stärkung der kapitalmarktgedeckten Aktienrente zusätzlich zum Umlageverfahren.
Damit setzen die Liberalen vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zusätzlich unter Druck. In der SPD wird von Scholz erwartet, sich stärker insbesondere gegen den Koalitionspartner FDP durchzusetzen. Im Rentenpaket sehen die Sozialdemokraten ein zentrales Vorhaben, das in dieser Legislaturperiode unbedingt noch umgesetzt werden muss. Scholz, der Unmut in der eigenen Partei zuletzt mit einem stärker linken Profil – auch durch den Einsatz für Industriearbeitsplätze – dämpfen wollte, hat selbst wiederholt betont, wie wichtig ihm die Sicherung der Rente ist. Je mehr der Kanzler nun allerdings seine Moderatorenrolle in der Koalition verlässt, um die Erwartungen der SPD zu erfüllen, desto tiefer drohen die Risse in der Ampel zu werden.
Der Appell der Bundestagspräsidentin dürfte jedenfalls verhallen. „Die Art, wie SPD, Grüne und FDP sich immer wieder öffentlich gestritten haben, hat geschadet“, sagte sie. Die Stärke des Bundestags sei immer gewesen, dass er auch bei schwierigen Themen Kompromisse gefunden und stabile Mehrheiten gebildet habe. „Wenn aber alle Parteien zunehmend nur auf ihren Markenkern pochen“, mahnte sie, „dann wird es schwierig mit guten Lösungen.“

