Amoklauf von Newtown:Amerika muss den Waffenwahnsinn bekämpfen

Waffenladen in den USA

Amerika hat das Problem mit den Waffen doch nicht, weil die Verfassung unabänderlich ihren Besitz erlaubte.

(Foto: dpa)

Der Massenmord von Newtown hat einmal mehr gezeigt: Amerika hat ein Problem mit Waffen. Aber kein juristisches, sondern ein politisches, und mehr noch: ein gesellschaftliches Problem. Es sind die Kinder, die nun einen letzten, mächtigen Willen hinterlassen: Tut was dagegen!

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

In dieser Woche werden in Newtown, USA, zwanzig Kinder und sechs Erwachsene beerdigt. In Trauerzug um Trauerzug wird man die kleinen Särge sehen, die in dieser Zahl erst einmal herbeigeschafft werden mussten. Eltern werden vor der grausamen Aufgabe stehen, auf immer von ihren Töchtern und Söhnen Abschied nehmen zu müssen.

Vielen wurde geraten, das frohe Bild vom letzten gemeinsamen Morgen in Erinnerung zu behalten statt die hingerichteten, entstellten Körper am offenen Sarg zu betrachten. Es sind die toten Kinder, die Amerika und der Welt die Kehle zuschnüren. Es sind die Kinder, die nur einen letzten, mächtigen Willen hinterlassen: Tut was dagegen!

Schluss mit den Beschwichtigungen und Ausflüchten, mit den juristischen Feinspinnereien, mit den politischen Kosten-Nutzen-Rechnungen. Amerika hat das Problem mit den Waffen doch nicht, weil die Verfassung unabänderlich ihren Besitz erlaubte.

USA haben kein juristisches, sie haben ein gesellschaftliches Problem

Wer diese Verfassung fundamentalistisch interpretieren will, der glaubt vermutlich auch an die Erschaffung der Erde in sieben Tagen. Kein Verfassungsgericht ist aber an eine textgetreue Exegese des politischen Gründungsdokuments des Landes gebunden.

Es gibt hinreichend juristischen Sachverstand, die Gesetze zu ändern. Nein, die USA haben kein juristisches Problem mit ihren Waffen, sie haben ein politisches, und mehr noch: ein gesellschaftliches Problem damit.

Die Auseinandersetzung um das Recht auf die Waffe war immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Verfasstheit Amerikas. Und diese Gesellschaft hat in der vergangenen Dekade eine gefährliche Radikalisierung erfahren. In vielen Nischen des Alltags hat sich diese Radikalisierung festgesetzt, sie ist im Kino und im Fernsehen zu sehen, in der Literatur zu lesen, auf den Schlachtfeldern der Erde zu beobachten.

Die Idee vom politische Kompromiss ist verloren gegangen

Sie ist besonders zu hören im politischen Umgangston: Der war immer rau in den USA, gemessen an den Verhältnissen im konsensverliebten Deutschland. Aber Amerika hat in den letzten Jahren noch einmal eine ideologische Verschärfung erlebt. Die Idee vom politischen Kompromiss ist weitgehend verloren gegangen.

Im Streit um das richtige Maß an Steuern, bei der Einwanderungspolitik, bei den Themen Umwelt und Energieförderung, in der Auseinandersetzung über die Rolle des Staates gegenüber dem Einzelnen (etwa bei der Gesundheitsreform oder bei der Homo-Ehe) - stets blitzt eine Aggression auf, die im politischen Wettbewerb keinen Platz für die Mitte lässt.

Diese Radikalität hat die Gesellschaft weit nach rechts getrieben, in einen individuell-libertären Konservativismus, der auf die Gemeinschaft wenig Rücksicht nimmt und den Einzelnen sein Heil für sich suchen lässt. Das ist die politische Großwetterlage. Es ist kein Widerspruch, dass die Gemeinschaft im Kleinen, in der Gemeinde, auf dem Dorf, funktionieren kann. Die politischen Lager haben sich in ihren Wagenburgen verschanzt - dort sorgen sie füreinander.

Der Massenmord von Newtown hat nun gezeigt, dass auch dieser Hort der Sicherheit zerstört ist. Unschuld gibt es nicht mehr - nicht mal bei 6-jährigen Buben und Mädchen.

Amerika hat den Handel mit Waffen akzeptiert

Ob Amerika bereit ist, diesen Angriff auf seine letzte Bastion der Geborgenheit hinzunehmen? Das Land hat akzeptiert, dass Sturmgewehre und Schnellfeuerwaffen mit Endlosmagazinen legal und illegal gehandelt werden wie Güter des täglichen Bedarfs.

In Bundesstaat um Bundesstaat dürfen die Waffen nun auch verdeckt getragen werden - also heimlich und an jedem Ort. In Newtown führte die Waffenlobby einen Streit mit der örtlichen Polizei um illegale Schießanlagen. Die Radikalisierung hallte geradezu durch die Wälder.

Wer die jüngeren Ursachen dieses Trends sucht, der wird auf zwei Daten stoßen: Auf den 12. Dezember 2000, an dem das Verfassungsgericht den Rechtsstreit zwischen George W. Bush und Al Gore und damit die Präsidentschaft entschied - was Amerikas Linke radikalisierte; und auf den 11. September 2001, der Amerika das vielleicht größte Trauma nach dem Bürgerkrieg bescherte - und das konservative Lager in die Extreme trieb.

Der 11. September hat die Kriegsgeräte in die Wohnzimmer gebracht. Und er lehrt bis heute: Wenn man dem Druck nicht mit absoluter Entschlossenheit entgegentritt, dann stoppt man auch nicht die Radikalisierung in den Köpfen.

Nach Newtown gibt es für Präsident Obama keine Ausflüchte mehr, den Waffenwahnsinn nicht zu bekämpfen. 20 tote Grundschulkinder und sechs tote Lehrer sollten als Motiv für eine harte politische Auseinandersetzung ausreichen. Bei der geht es nicht um Waffengesetze, sondern um die Zivilität der Gesellschaft.

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