Süddeutsche Zeitung

Amoklauf in Afghanistan:Wahnsinniger Terror

Wenn ein Soldat im Kriegseinsatz Zivilisten umbringt, dann wird schnell der Vorwurf laut, die Tat müsse militärisch oder ideologisch begründet sein. Doch so einfach ist das meist nicht. Und im Falle des Amokläufers von Panjwai liegen ausgerechnet die Taliban mit ihren geifernden Vorwürfen vermutlich näher bei der Wahrheit als sie wissen.

Markus C. Schulte von Drach

Niemand, der bei Verstand ist, wird behaupten, das Massaker, das ein US-Soldat im Süden Afghanistans verübt hat, sei eine militärische Mission gewesen. Man kann der US-Armee vorwerfen, im Kampf gegen die Taliban zu wenig Rücksicht auf Zivilisten zu nehmen. Und es ist zu einer Reihe von furchtbaren Verfehlungen von Isaf-Soldaten in dem Land gekommen. Aber in Bezug auf die Ermordung von 16 Zivilisten in Dörfern nahe Kandahar täten die Afghanen gut daran, auf ihren Wirtschaftsminister Abdul Hadi Arghandiwal zu hören. Der Führer der ältesten islamischen Partei Afghanistans, Hizb-e Islami, erklärte der New York Times zufolge, die Tötungen sollten als Tat eines Individuums betrachtet werden, nicht als eine der Vereinigten Staaten. "Kein Offizier entscheidet, jemanden den Auftrag zu geben, so etwas zu tun."

Manche Afghanen lassen sich nun jedoch von den Taliban zu gewaltsamen Protesten gegen die Isaf und die Regierung in Kabul anstacheln.

"Geisteskranke amerikanische Wilde" hätten ein "blutgetränktes und inhumanes Verbrechen" begangen, ereifern sich die radikalislamischen Aufständischen im Internet. Recht haben sie damit, dass es sich bei den Morden in Panjwai um ein furchtbares Verbrechen handelt. Allerdings wurde es nicht von "Wilden", verübt, sondern von einem einzelnen US-Soldaten, der nachts seinen Stützpunkt unerlaubt verlassen und offenbar auf eigene Faust afghanische Männer, Frauen und Kinder in ihren Häusern erschossen hat.

In einem Punkt haben die radikalislamischen Kämpfer aber vermutlich recht: Bei dem 38-jährigen Staff Sergeant dürfte es sich um einen "geisteskranken" Amokläufer handeln. Dementsprechend macht es auch keinen Sinn, wenn die Taliban auf ihrer Website dann weiter verkünden, "die amerikanischen Terroristen versuchen sich zu entschuldigen, indem sie behaupten, der unmoralische Schuldige an diesem unmenschlichen Verbrechen sei geisteskrank". Die Taliban kündigten nun ihrerseits Kriegsverbrechen an: Die sadistischen "amerikanischen Tiere" würden zur Rache enthauptet.

Es ließen sich Tote und Verletzte vermeiden, wenn die Afghanen so ruhig bleiben würden, wie es ihr Wirtschaftsminister Arghandiwal ihnen empfiehlt. Wenn sie es in Erwägung ziehen würden, dass ein vermutlich geistesgestörter Mensch gemordet hat - für sich, und nicht im Namen der Amerikaner oder des Westens. Wenn sie die Untersuchung des Falles abwarten würden.

Und die Militärs müssen ihre Lektion lernen: Sie sollten sich mehr um die geistige Gesundheit ihrer Soldaten kümmern. Denn die Reaktion der militärischen Führung auf Verfehlungen ihrer Soldaten ist immer gleich: Es ist der einzelne Soldat, der sich dem Bösen zugewandt hat, während die Streitkräfte als solche nicht die geringste Verantwortung übernehmen wollen. Man verschließt die Augen davor, dass jungen Menschen beigebracht wird, ihre Tötungshemmung zu überwinden, bevor man sie extrem belastenden Situationen ausliefert, in denen Freund und Feind, Zivilist und Kämpfer häufig kaum zu unterscheiden sind.

Die Erfahrung zeigt, dass unter diesen Bedingungen auch manch einer, der zuvor keine soziopathischen Tendenzen gezeigt hat, zum Folterer oder Killer wird, wie etwa der Psychologe Philip Zimbardo von der Stanford University festgestellt hat. Es liegt in der Verantwortung der Politiker und Militärs, ehrlich mit dieser Tatsache umzugehen.

Manches Verbrechen scheint auf den ersten Blick militärisch, politisch und ideologisch motiviert zu sein - auch weil die Mörder ihre Taten manchmal mit entsprechenden Argumenten rechtfertigen, wie zum Beispiel im Fall des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik. Doch hinter einem Massaker, Amoklauf oder Attentat steckt häufig weniger eine Ideologie als vielmehr Wahnsinn.

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