Amnesty International zum Irak:Gefangen im "Kreislauf von Folter und Straflosigkeit"

Zehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins gehören Menschenrechtsverletzungen im Irak zum Alltag. Einem Amnesty-Bericht zufolge zwingt die Regierung Gefangene unter Folter zu Geständnissen. Die Menschenrechtsorganisation macht dafür auch die USA verantwortlich.

Im Irak werden auch zehn Jahre nach der US-amerikanischen Invasion Menschenrechte mit Füßen getreten. Das zeigt ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Nach dem Sturz des brutalen Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 folterten amerikanische und britische Soldaten - unter anderem im Gefängnis Abu Ghraib - sowie irakische Sicherheitskräfte weiter.

Zwar heißt es in dem Bericht "Ein Jahrzehnt der Menschenrechtsverletzungen" (hier der vollständige Text auf Englisch), dass viele Irakerinnen und Iraker heute mehr Freiheiten genössen als unter Husseins Regime, aber "grundlegende Verbesserungen der Menschenrechte, die während der letzten zehn Jahre erfüllt werden sollten, sind bemerkbar ausgeblieben," sagt Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin für den Mittleren Osten bei Amnesty International (Mittlerer Osten, auf Englisch: Middle East, entspricht im deutschen Sprachgebrauch dem Nahen Osten; Anm. d. Red.).

Sie macht sowohl die irakische Regierung als auch die ehemaligen Besatzungsmächte USA und Großbritannien für die schlimme Situation verantwortlich. Sie hätten sich nicht an die grundlegenden Menschenrechtsstandards gehalten. "Die Menschen im Irak zahlen immer noch einen hohen Preis für dieses Versagen", sagt sie. Vergangene Woche hatten die britischen Medien BBC und The Guardian schwere Vorwürfe gegen den späteren CIA-Chef David Petraeus und den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erhoben. In einer Gemeinschaftsdokumentation wurden sie mit der Folter in irakischen Polizeigefängnissen in Verbindung gebracht.

Amnesty beklagt vor allem die fehlende Rechtsstaatlichkeit des Irak. So quälten Sicherheitskräfte der Regierung Gefangene, um sie zu Geständnissen zu zwingen - vor allem solche, die im Zusammenhang mit Terrorismus-Vorwürfen festgenommen wurden. Mit Strafe hätten die Folterknechte nicht zu rechnen. Die Geständnisse würden dann vor dem Prozess im Fernsehen ausgestrahlt oder Verdächtige auf Pressenkonferenzen vorgeführt. Selbst wenn die Angeklagten vor Gericht ihre Geständnisse zurücknahmen, seien sie von den Richtern als Beweis ihrer Schuld akzeptiert worden.

Zu den Foltermethoden gehören dem Bericht zufolge zum Beispiel Elektroschocks im Genitalbereich und an anderen Stellen des Körpers, der Entzug von Wasser, Essen und Schlaf. Einigen Häftlinge seien Plastiktüten über den Kopf gestülpt worden, um sie am Atmen zu hindern. Außerdem werde den Gefangenen mit der Inhaftierung und Vergewaltigung weiblicher Verwandter gedroht. Frauen seien von Übergriffen in der Haft besonders betroffen. Viele gäben an, sexuell missbraucht worden zu sein.

129 Hinrichtungen im Jahr 2012

Als weiteren Beleg für die prekäre Menschenrechtssituation führt Amnesty die große Zahl von Hinrichtungen an. Die amerikanischen Besatzer hatten die Todesstrafe im Jahr 2003 zwar ausgesetzt, doch die erste irakische Regierung führte sie rasch wieder ein. Seit 2005 seien mindestens 447 Gefangene hingerichtet worden, darunter auch der gestürzte Diktator Hussein. Hunderte Gefangene säßen im Todestrakt. Mit 129 Hinrichtungen im Jahr 2012 wende der Irak weltweit mit am häufigsten die Todesstrafe an.

Ein weiteres großes Problem sei die Kluft zwischen sunnitischer und schiitischer Bevölkerung. Viele Sunniten fühlen sich seit dem Sturz Husseins - ebenfalls Sunnit - vom Staat benachteiligt. Sie protestieren laut dem Bericht gegen willkürliche Inhaftierung und Übergriffe gegen Häftlinge, die Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes und für ein Ende dessen, was sie als staatliche Diskriminierung gegen die sunnitische Bevölkerung sehen. Bewaffnete Sunniten griffen deswegen schiitische Bürger und Regierungsziele an.

Die Menschenrechtsorganisaton zieht zum zehnten Jahrestag der US-Invasion eine bittere Bilanz: "Der Irak bleibt in einem Kreislauf von Folter und Straflosigkeit gefangen, der schon vor langer Zeit hätte gebrochen werden sollen," sagt Mitarbeiterin Hadj Sahraoui. Und ihr Kollege, der Irak-Experte Carsten Jürgensen, ergänzt: "Wenn die irakische Regierung keine grundlegenden Reformen zum Menschenrechtsschutz angeht, dann sieht die Zukunft des Irak düster aus."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: