Süddeutsche Zeitung

Amnesty-Bericht zur Todesstrafe:Wenn der Staat zum Henker wird

Staatliche Hinrichtungen sind in vielen Teilen der Welt Alltag. Ein neuer Bericht von Amnesty International zeigt, dass selbst in Europa die gnadenlose Anwendung der Todesstrafe noch nicht passé ist. Die wichtigsten Punkte des Reports.

Von Josh Groeneveld

Amnesty International konstatiert in seinem Bericht "Hinrichtungen und Todesurteile 2012" einen Trend zur Abschaffung der Todesstrafe: Nur ein Zehntel aller Länder weltweit führte 2012 noch Hinrichtungen durch. Doch das ist nur die eine Seite: Die Menschenrechtsorganisation stellt auch eine konstant bleibende Zahl an Hinrichtungen im Vergleich zu 2011 fest. Zudem vollstreckten in 2012 nach unterschiedlich langen Pausen fünf Länder wieder die Todesstrafe - darunter auch Japan. Hinzu kommt der Problemfall China: Wie schon in den Vorjahren vermutet Amnesty für 2012 erneut, dass tausende Menschen vom Staat hingerichtet wurden. Doch auch jenseits der reinen Statistik erlaubt der Bericht Einblicke in die Welt der Todesstrafen:

  • Todesstrafe nicht nur für Morde

Viele Staaten richten Menschen laut des aktuellen "Henkerberichtes" nicht nur wegen Mordes hin. In vielen Ländern - etwa China, Saudi-Arabien, Indien oder Thailand - ist laut Amnesty International die Todesstrafe für Drogenvergehen verhängt worden. Auch Vergehen, die gegen den Staat gerichtet sind - "Hochverrat" oder "Handeln gegen die Staatssicherheit" zum Beispiel - seien Grund für die Verurteilung zum Tod, etwa in Gambia, Somalia, Nordkorea, Palästina oder dem Libanon. Iran bestraft "moharebeh", die "Feindseligkeit gegenüber Gott", mit dem Tod. Die Liste der mit Hinrichtung bestrafbaren Delikte enthält aber noch andere bizarre Einträge: Iran verhängt auch über Sodomiten die Todesstrafe, Pakistan behält sich gesetzliche Tötungen für Blasphemisten vor. In China kann der nebulöse Vorwurf eines Wirtschaftsverbrechens - so vorgebracht etwa gegen den regimekritischen Künstler Ai Weiwei - zum Tode führen. In Saudi-Arabien ist die Ausübung von "Zauberei" gegebenenfalls mit dem Leben zu bezahlen.

  • Pakistan verurteilt, Iran vollstreckt

Bei der Vollstreckung der Todesstrafe verhalten sich die Staaten unterschiedlich - weil nicht jede Verurteilung im selben Jahr vollzogen wird, besteht in einigen Ländern eine Differenz zwischen den ausgesprochenen Urteilen und der tatsächlichen Zahl der Hinrichtungen. Für beides gibt Amnesty International immer die gesichert recherchierte Mindestzahl an, meist vermutet die Organisation eine höhere Dunklziffer.

Die meisten Todesurteile - den mutmaßlichen Spitzenreiter China ausgenommen - verhängte demnach 2012 Pakistan (242). Es folgt der Sudan mit mehr als 199, Algerien mit mehr als 153 und Thailand mit mindestens 103 Verurteilten. Die meisten Menschen hingerichtet wurden im vergangenen Jahr aber im Iran: mindestens 304. Es folgen mit mehr als 129 der Irak, Saudi Arabien mit mindestens 79 und die USA mit 43 hingerichteten Gefangenen.

  • Auch in Europa wird noch hingerichtet

Nachdem Lettland 2012 die Todesstrafe abgeschafft hat, die dort allerdings ohnehin seit 1996 nicht mehr vollstreckt worden war, ist Weißrussland das letzte Land auf dem europäischen Kontinent, in dem staatliche Hinrichtungen noch legal sind. Laut Amnesty International wurden 2012 dort drei Männer exekutiert - mindestens, da Weißrussland sich bei Vollstreckung der Todesstrafen um höchste Geheimhaltung bemühe, wie es in dem Bericht heißt. Auch die Art der Tötung sei äußerst brutal, so die Menschenrechtsorganisation: Auf die Knie gezwungenen Verurteilten werde üblicherweise von hinten in den Kopf geschossen - oft nur Stunden oder Minuten, nachdem sie erführen, dass ihr Gnadengesuch abgewiesen worden sei. Ihren Familien würde oft Tage oder Monate lang nicht von der Hinrichtung berichtet, den Leichnam bekämen sie nie zu Gesicht.

Staatschef Aleksander Lukaschenko selbst ist derjenige, der über die zu Tode Verurteilten seinen Daumen hebt oder senkt. Im März 2012 lehnte er ein Gnadengesuch der wegen einer Anschlagsserie beschuldigten Männer Uladszlau Kavalyou und Dzimitry Kanavalau ab - noch vor deren Anhörung. Die Begründung: die Verdächtigen hätten gestanden. Kavalyou widersprach dem später, ein Geständnis sei von ihm unter Todesandrohungen erzwungen worden. Amnesty International verurteilt das Verfahren gegen ihn und Kanavalau als "unfair", es verletze Internationales Recht. Der Oberste Gerichtshof Weißrusslands habe die beiden Männer in erster Instanz und ohne Chance auf Berufung zum Tode verurteilt.

  • Abschreckung ist eine Mär

Amnesty International "ist in jedem Fall gegen die Todesstrafe, unabhängig von der Natur des Verbrechens, des Charakters des Straftäters oder der Methode, die ein Staat benutzt um einen Gefangenen zu töten." Die Menschenrechtsorganisation führt an, es gebe keine stichhaltigen Beweise für eine abschreckende Wirkung der Todesstrafe bei Kapitalverbrechen. Das National Research Council, der forschende Arm der amerikanischen Universitäten der USA, wird mit einem Bericht aus dem April 2012 zitiert: "Der aktuelle Forschungsstand über den Effekt der Todesstrafe auf Mordverbrechen gibt keine ausreichenden Informationen darüber, ob die Todesstrafe die Mordrate verringert, erhöht oder überhaupt einen Effekt auf sie hat." Der ebenfalls von Amnesty zitierte Oberste Richter Floridas, Charles M. Harris, forderte im April 2012 ebenfalls die Abschaffung der Todesstrafe: "Wenn die Todesstrafe nicht abschreckend wirkt, und das tut sie nicht, und wenn die Todesstrafe uns nicht mehr Sicherheit gibt, und das tut sie nicht, dann ist sie bloß kostspielige Rache."

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