Amerikas Kriege:Wie Obama lernte, die Drohnen zu lieben

Jeremy Scahill "Schmutzige Kriege"

Der US-Autor Jeremy Scahill bei seinen Recherchen in Somalia für sein Buch "Schmutzige Kriege".

(Foto: Kunstmann Verlag)

In "Schmutzige Kriege" schildert Jeremy Scahill, wie Obama das Erbe von George W. Bush weiterführt: Mit Drohnen und Spezialeinsatzkommandos werden die Feinde der USA in aller Welt ausgeschaltet.

Von Matthias Kolb

Nein, Jeremy Scahill ist nicht enttäuscht von Barack Obama. Als Scahill 2008 nach Europa kam, war der heutige US-Präsident noch Kandidat. Damals seien viele Deutsche erbost gewesen, als er am Messias-Image von Obama kratzte, erinnert sich der Journalist und Autor Scahill. "Wer seine Reden las und sah, welche Berater er anheuerte, konnte ahnen, dass Obama keine Friedenstaube werden würde", sagt Scahill. Für ihn steht fest: Der Demokrat Obama verleiht vielen Methoden seines Vorgängers eine gefährliche Legitimität.

Als Obama im Januar 2009 ins Oval Office im Weißen Haus einzog, war er nur vier Jahre Senator gewesen und hatte nur wenig Erfahrung in Außen- und Sicherheitspolitik. In den ersten Briefings hätten ihm die Top-Militärs eine "extrem gefährliche Welt" geschildert. "Diese Leute sagten: 'Wenn du nicht weitermachst mit den Bush-Programmen, werden wir wieder angegriffen werden wie bei 9/11'", berichtet Scahill bei der Vorstellung seines Sachbuchs "Schmutzige Kriege" in München.

Diese "Leute", das waren David Petraeus (Ex-Chef des Geheimdiensts CIA), Stanley McChrystal (General und Ex-Chef des Isaf-Kommandos), Admiral William McRaven (heute Chef des Special Operations Command) oder John Brennan (heute CIA-Chef), und sie waren an vorderster Front dabei, als sich in der Amtszeit von George W. Bush und dessen Vize Dick Cheney die US-Außenpolitik wandelte. Im "Krieg gegen den Terror" wurde die ganze Welt zu einem Schlachtfeld, auf dem die Amerikaner Terroristen jagen oder töten konnten.

Wie der US-Geheimdienst CIA militarisiert wurde und die Spezialeinsatzkräfte JSOC ausgebaut wurden, hat Scahill auf 600 Seiten nachgezeichnet; in weiteren 100 Seiten Anhang legt er seine Quellen offen. Für das Buch über die Söldner von Blackwater wurde der sicherheitspolitische Korrespondent des Wochenmagazins The Nation 2007 mit dem George Polk Award für investigative Recherche ausgezeichnet. Weil Scahill sein Handwerk beherrscht, fanden selbst die teuren Blackwater-Anwälte keine Möglichkeit, ihn zu verklagen.

Die Folgen des "Kriegs per Joystick"

Der 38-Jährige glaubt nicht an Verschwörungstheorien oder daran, dass Obama hereingelegt wurde. Er will vielmehr die Macht der Institutionen betonen: "Präsidenten kommen und gehen, sie können nur acht Jahre regieren. Die Top-Leute in Militär und Geheimdiensten hingegen bleiben Jahrzehnte im Apparat". Obama setzte andere Schwerpunkte als sein Vorgänger: Weil er weiß, dass die Amerikaner kriegsmüde sind und am Sinn der milliardenteuren Kriege in Afghanistan und Irak zweifeln, holte er die Soldaten von dort zurück und setzt nun vor allem auf gezielte Angriffe mit Drohnen, Cyberattacken (Stuxnet-Virus gegen Iran) oder den Einsatz von Spezialeinheiten (zuletzt in Libyen).

Dieser "Krieg per Joystick" hat aus Sicht des Weißen Hauses viele Vorteile: US-Soldaten kehren seltener in Särgen zurück, die Einsätze finden im Verborgenen statt und sorgen angeblich für wenige zivile Opfer. Dass dieses Argument nicht haltbar ist, führt Scahill in seinem Buch und bei dem Auftritt in München aus: Man müsse zwischen den personality strikes und den signature strikes unterscheiden. Bei ersteren werde über lange Zeit hinweg ein bestimmtes Ziel verfolgt, etwa ein Al-Qaida-Führer, und dann meist auf offenem Feld hingerichtet, wenn keine Zivilisten in der Nähe sind. "Das sind die Art von Drohneneinsätzen, über die das Weiße Haus gerne redet", meint Scahill.

Die signature strikes finden hingegen in Gebieten in Afghanistan, Pakistan und im Jemen statt, die als besonders gefährliche "rote Zonen" gelten. Hier wird jeder Mann zwischen 15 und Ende 60 als "military age man" angesehen - also als kampffähig und damit als potenzieller Terrorist. Die Zahl der zivilen Toten bei einem Drohneneinsatz ist also gering, weil es per Definition nur wenige Zivilisten gibt.

Die Kapitel, in denen Scahill schildert, wie unschuldige Männer, Frauen und Kinder im Jemen und in Afghanistan durch per Drohne gezündete Raketen getötet werden, sind die schockierendsten im Buch - und die bewegendsten Szenen im Dokumentarfilm "Dirty Wars", der im Januar 2013 Premiere hatte.

Ein Mann im Jemen, der viele Verwandte verloren hat, erzählt Scahill: "Wenn diese Kinder Terroristen waren, dann sind wir alle Terroristen." Er habe diesen Satz auch bei seinen Recherchen in Afghanistan, Pakistan oder Somalia gehört, berichtet der Journalist. Er ist überzeugt, dass letztlich Terrorgruppen wie al-Qaida vom "Krieg per Fernsteuerung" profitieren: "Ich habe viele junge Muslime getroffen, die überzeugt sind, dass Amerika einen Krieg gegen den Islam führt."

"Obama verleiht Bush-Methoden Legitimität"

In den Augen von Jeremy Scahill ist Obama ist nicht so schlimm wie Cheney und Bush, die er für Kriegsverbrecher hält. Aber der ehemalige Verfassungsrechtsprofessor Obama verleiht deren Methoden Legitimität. "Würde John McCain genauso vorgehen, dann würden die demokratischen Parlamentarier seine Amtsenthebung fordern", meint er.

Operationszentrum für Drohnen in der Holloman Air Force Base, New Mexico

Zwei Soldaten steuern von der Holloman Air Force Base in New Mexico aus amerikanische Drohnen.

(Foto: REUTERS)

Breiten Raum in "Schmutzige Kriege" nimmt der Fall Anwar al-Awlaki ein: Der im US-Bundesstaat New Mexico geborene Prediger wurde Ende September 2011 im Jemen mit einer Drohne getötet. Laut Scahill hätten die Amerikaner den US-Staatsbürger festsetzen und anklagen können: "Obama, Mister constitutional law professor, hat sich hingegen entschieden, selbst Ankläger, Verteidiger und Jury zu sein. Er hat sein Urteil gesprochen und al-Awlaki wurde hingerichtet."

In den vergangenen Monaten ist Scahill viele durch die USA gereist. Dort erhält er viel Zuspruch, wie er sagt. Es entstehe eine Koalition aus Leuten, die sich Sorgen machten um die amerikanische Außenpolitik. Sie setzt sich zusammen aus linken Amerikanern und libertären Fans von Ron und Rand Paul - aber auch Angehörige von Soldaten und aktive Militärs danken Scahill für seine Recherchen. Selbst CIA-Agenten kamen nach Lesungen zu ihm und signalisieren Zustimmung, berichtet er.

Scahill hat zuletzt einige Wochen in Brasilien verbracht, wo er mit Glenn Greenwald an Geschichten aus dem Material des NSA-Whistleblowers Edward Snowden arbeitete. Auch die Dokumentarfilmerin Laura Poitras ist beteiligt. Details kann er nicht nennen, aber: "Wir haben erst die Spitze des Eisbergs gesehen."

Für Scahill, der viel mit anonymen Tippgebern kooperiert, sind Snowden und Chelsea Manning Helden. Trotz Obamas Feldzug gegen Journalisten und Whistleblower hofft er in der Zukunft auf weitere Leaks: "Mut fördert Mut."

Linktipps: Ein Süddeutsche.de-Gespräch mit Jeremy Scahill zu seinem Buch über die Blackwater-Söldner aus dem Jahr 2007 können Sie hier nachlesen. Mehr Informationen über das Projekt "Schmutzige Kriege" von Jeremy Scahill gibt es beim Kunstmann Verlag sowie auf dirtywars.org. Der Autor stellt sein Buch am 16. Oktober in Hamburg, am 17. Oktober in Berlin und am 21. Oktober in Potsdam vor.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: