Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Amazonien in Flammen

  • Der Amazonas gilt als grüne Lunge der Erde. Seine Bäume binden gigantische Mengen an Kohlenstoff.
  • Brasiliens Präsident Bolsonaro ist in den vergangenen Tagen zum Symbol für eine Wirtschafts- und Umweltpolitik zu Lasten des Regenwaldes geworden.
  • Seit Rauchwolken von den Waldbränden den Himmel über São Paulo verdunkelt haben, fordern jedoch auch viele der Bolsonaro-Wähler mehr staatliche Maßnahmen zum Schutz der Wälder.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires, und Benedikt Peters, München

Der Amazonas ist jetzt auf Instagram. Millionen Menschen weltweit posten Bilder, die zeigen, wie im größten Regenwald der Erde die Flammen lodern, dazu macht der Hashtag #prayforamazon die Runde. Das liegt nicht zuletzt an Leonardo DiCaprio. Der US-Schauspieler, der sich seit einiger Zeit auch umweltpolitisch engagiert, verbreitete am Mittwoch ein Foto eines brennenden Waldstücks und schrieb darunter, dass es "entsetzlich" sei, dass die "Lunge der Erde" seit Tagen in Flammen stehe, sich dafür aber kaum jemand interessiere.

Allein: Das stimmt so nicht mehr, 2,8 Millionen Menschen haben das Foto inzwischen gelikt, und viele haben es weiterverbreitet, so auch die Popsängerin Pink. Das Bild zeigt allerdings nicht die aktuellen Brände, sondern wurde schon viel früher aufgenommen. Es ist zum Beispiel in einer Präsentation zu finden, die auf einer Klimakonferenz in New York gehalten wurde, im Frühjahr 2018. Nur ein Beispiel von vielen, das zeigt: In der aktuellen Aufregung um den Amazonas geht vieles durcheinander.

Keinesfalls zu relativieren ist, dass in Lateinamerika gerade in großem Stil Bäume vernichtet werden. Es handelt sich aber nicht um sich unkontrolliert ausbreitende Feuer, wie viele Fotos nahelegen, sondern mehrheitlich um gezielte Brandrodungen von Großgrundbesitzern und illegalen Landnehmern, die daraus wirtschaftlich Kapital schlagen wollen.

Umweltschützer und Wissenschaftler prangern das seit Langem an und weisen auf die große Bedeutung hin, die Wälder in Lateinamerika im Kampf gegen die Erhitzung des Klimas spielen. Dessen Bäume binden gigantische Mengen an Kohlenstoff. Einige Studien gehen von 90 bis 140 Milliarden Tonnen aus, manche gar von 200 Milliarden Tonnen. Alle deutschen Wälder kommen demgegenüber gerade einmal auf eine Milliarde Tonne CO₂.

Das Bild vom Amazonas als grüner Lunge der Erde, es stimmt also. Allein: Es ist nicht nur Brasilien, das diesen Naturschatz zerstört. Auch in den Nachbarländern Peru und Kolumbien wird der Amazonas gerodet. Dazu brennen in Paraguay und Bolivien ebenfalls Tausende Hektar Urwald, auch hier mit der Unterstützung oder zumindest Billigung der Politik.

Die Stimmung in der brasilianischen Bevölkerung dreht sich

Dennoch ist es vor allem Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der in die internationale Kritik geraten ist. Er wurde in den letzten Tagen für viele Menschen auf der ganzen Welt zum Symbol für eine Wirtschaftsordnung zugunsten der Agrarindustrie und zulasten der Natur, allen voran des Amazonas-Regenwaldes. Dabei wird allerdings vergessen, dass die Weichen für diese Politik schon unter Bolsonaros Vorgängern gestellt wurden. Bereits unter Luiz Inácio Lula da Silva, dem sozialistischen Präsidenten von 2003 bis 2011, gewann die Lobby der Großgrundbesitzer immer mehr an Einfluss. Unter keinem anderen Präsidenten nach ihm wurde bisher so viel gerodet wie unter Lula.

Das kann sich natürlich noch ändern, Bolsonaro ist erst seit Januar im Amt. Seitdem hat die Abholzung massiv zugenommen, ebenso wie die vielen Waldbrände, die mit ihr einhergehen. Weit mehr als 70 000 Feuerherde hat das staatliche Institut für Satellitenforschung INPE dieses Jahr schon registriert, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor im gleichen Zeitraum und auch mehr als 2016, als es zum letzten Mal so viele Brände gab.

Bolsonaro relativiert die Zahlen des Instituts dennoch und zweifelt sie sogar öffentlich an. Erst vor ein paar Wochen musste der Leiter des INPE nach der Veröffentlichung der alarmierenden Abholzungsraten seinen Posten räumen, angeblich wegen der schlechten Qualität der im Institut produzierten Satellitenaufnahmen. Nun wurde eine Ausschreibung öffentlich, mit der die aktuelle brasilianische Regierung nach einer privatwirtschaftlichen Firma sucht, die die Arbeit des staatlichen Instituts übernehmen soll. Umweltschützer vermuten, dass es vor allem darum gehe, die kritischen Stimmen des INPE mundtot zu machen.

Dabei scheint sich ganz langsam auch in der brasilianischen Bevölkerung die Stimmung zu drehen. Seit Rauchwolken von den Waldbränden im Zusammenspiel mit einer Kaltfront am Montag mitten am Nachmittag den Himmel über der Millionenmetropole São Paulo verdunkelt haben, sind die Brände auch in Brasilien ein großes Thema. Laut einer Umfrage des privaten Meinungsforschungsinstituts Ibope in Zusammenarbeit mit der Kampagnenplattform Avaaz sprechen sich mittlerweile sogar ein Großteil der Wähler von Bolsonaro für mehr staatliche Maßnahmen zum Schutz der Wälder aus.

Staatsanwälte im Bundesstaat Para kündigten an, Ermittlungen einleiten, ob der Umweltschutz vernachlässigt worden sei. Brasiliens Präsident scheint sich davon aber nicht beeindrucken zu lassen. Die Waldbrände seien ganz normal für die Jahreszeit, sagte er Journalisten. Dazu erklärte er am Mittwoch auch noch, Umweltschützer könnten die Brände selbst gelegt haben, ohne dafür Beweise zu nennen. Seine Regierung habe die Zuschüsse für Nichtregierungsorganisationen eingestellt, nun würden diesen die Mittel fehlen, sagte Bolsonaro. Es könne darum sein, dass die Organisationen gegen ihn und die Regierung vorgingen. Umweltschutzverbände wiesen die Vorwürfe als absurd zurück.

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SZ vom 23.08.2019/swi
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