Amazon:Ran an die Pille

Wenn der Konzern zur Internetapotheke wird, ist das gut: Die Medikamentenpreise dürften sinken. Allerdings müssen die Behörden genau kontrollieren, was Amazon mit den Patientendaten anstellt.

Von Kathrin Werner

Amazon weiß, welche Beutel in den Mülleimer der Kunden passen, welche Bücher sie lesen, ob sie gerade Schwangerschaftstests brauchen. Der Konzern kann hören, ob sie Amazons künstliche Intelligenz Alexa, die über schlaue Lautsprecher Einzug in viele Haushalte gehalten hat, nach einem Rezept für vegane Hamburger oder nach Tipps gegen Hämorrhoiden fragen. Bald wird er auch erfahren, ob sie ansteckende oder tödliche Krankheiten haben.

Amazon übernimmt die amerikanischen Online-Apotheke Pillpack für rund eine Milliarde Dollar. Das Start-up verschafft Amazon wichtige Lizenzen und Zugang zu sensiblen Daten wie rezeptpflichtigen Medikamenten. Für Amazon sind diese Daten Gold wert. Der Konzern, ohnehin schon Herr über einen gigantischen Schatz an persönlichen Daten, könnte irgendwann einer Kundin, die jahrelang die Pille abonniert hat und nun kündigt, Umstandskleider anbieten. Kaum etwas verrät mehr über die Prioritäten im Leben von Menschen als Gesundheitsdaten. Nichts ist intimer.

Sie sind deshalb besonders geschützt. Gesetze verhindern, dass der Konzern Patienten mit Rezepten für Antidepressiva den Kauf von Gute-Laune-Ratgebern empfiehlt. Amazon wird die lukrativen Daten nicht so auswerten können wie gewohnt. Allerdings lassen sich viele Vorschriften aushebeln, wenn die Kunden auf Datenschutz verzichten, unter Umständen genügt es, im Kleingedruckten ein Häkchen zu setzen. Die Geschichte des Internets zeigt, dass der Mensch bequem ist. Er schätzt weder den Buchladen an der Ecke noch seine Privatsphäre so sehr, wie von Amazon kostenlos und schnell beliefert zu werden. Die große Mehrheit liest Datenschutzerklärungen nicht und willigt leichtfertig ein.

Bislang hatte Amazon noch keinen größeren Datenskandal - anders als fast jeder andere Internetkonzern. Trotzdem ist es gefährlich, wenn ein einzelnes Unternehmen so viel Privates über einen einzelnen Menschen weiß. Absolute Sicherheit im Datenschutz wird es nie geben. Und je mehr Amazon weiß, desto mächtiger wird der Konzern, den der reichste Mann der Welt kontrolliert. Zunächst betreffen Amazons Apothekenpläne nur Kunden in den USA. Aber Amazon ist ein globales Unternehmen mit enormem Ehrgeiz. Wenn das Modell in den USA erfolgreich ist, wird Amazon es wahrscheinlich exportieren.

Wenn der Konzern zur Internetapotheke wird, dürften die Preise sinken

Den Kunden bringt das auch Vorteile. Ist es bequemer, Medikamente zu bestellen, und erinnert Alexa die Menschen an die Einnahme, werden sie auch öfter geschluckt. 125 000 Amerikaner sterben im Jahr, weil sie versäumen, ihre Pillen zu nehmen. Amazons gigantische Computerkraft könnte außerdem die Patientendaten auswerten und so Neben- und Wechselwirkungen entdecken. Das dürfte mehr bringen als wissenschaftliche Studien. Hinzu kommt, dass Medikamente in den USA teuer sind. In den vergangenen 24 Jahren hat kaum jemand mehr dafür getan, Preise zu senken, als Amazon.

Dem Onlinehändler den Einstieg in die Gesundheitswirtschaft zu verwehren, wäre deshalb falsch. Die Behörden müssen aber genau kontrollieren, was Amazon mit Patientendaten anstellt. Um einzuschätzen, was gut für den Kunden ist und was nur gut für den Konzern, werden sie mehr über moderne Technik lernen müssen. Die Kunden jedenfalls werden die Verantwortung für ihre Daten nicht übernehmen. Der Mensch ist dazu zu bequem.

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