Am Anfang aller Atomwaffen:Codename Trinity

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Die Bombe, erstmals am 16. Juli 1945 getestet, fiel drei Wochen später auf Hiroshima und Nagasaki. In den Jahren danach wurden bei Atomtests Tausende von US-Soldaten und Zivilisten radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Teilweise ganz bewusst.

M. C. Schulte von Drach

In einem Punkt waren sich die Wissenschaftler in Los Alamos sicher: Diese Bombe würde die Superbombe werden, die Riesenbombe, die den Krieg im Pazifik beenden sollte. Und die Explosion, die am Samstag, dem 16. Juli 1945, die Wüste in New Mexico erschütterte, gab ihnen Recht.

Am 16. Juli 1945 explodierte die erste Atombombe der Geschichte in der Wüste von New Mexico. (Foto: DPA)

Niemals zuvor in der Geschichte hatten Menschen auf einen Schlag eine solche Gewalt entfesselt. 21.000 Tonnen TNT-Sprengstoff hätte man gleichzeitig zünden müssen, um eine Wirkung zu erzeugen wie die des ersten Atom-Bomben-Tests im Rahmen des Manhattan-Projekts.

Noch in einer Entfernung von 160 Kilometern war die Druckwelle zu spüren, der Atompilz stieg in eine Höhe von zwölf Kilometern.

Aus Sicht der Physiker, die unter der Leitung von Julius Robert Oppenheimer seit 1942 in Los Alamos an der Entwicklung der Bombe gebaut hatten, war das Projekt mit dem Code-Namen Trinity ein voller Erfolg. Und die Politiker sahen es genauso.

Nur wenige Wochen später, am 6. August, explodierte über der japanischen Stadt Hiroshima eine auf den Namen "Little Boy" getaufte Atom-Bombe, bereits drei Tage darauf warfen die Amerikaner "Fat Man" über Nagasaki ab. Weit mehr als 70.000 Menschen starben sofort.

Und ob die Japaner nun zuvor bereits eine Kapitulation angeboten hatten oder nicht - worüber noch immer gestritten wird - wenige Tage nach Nagasaki war der Krieg tatsächlich vorüber, und die US-Amerikaner hatten ihre Rache für Pearl Harbor.

Gefährliche Strahlung

Doch wussten die Amerikaner eigentlich, welche Wirkung Atom-Bomben haben - abgesehen von der reinen Explosionskraft?

Ein Blick auf den damaligen Umgang mit der Radioaktivität, die bei Atombombenexplosionen freigesetzt wird, zeigt, dass unter den Wissenschaftlern und Politikern in den USA eine unglaubliche Naivität, wenn nicht Ignoranz gegenüber den Gefahren der Strahlung geherrscht haben muss.

Dabei hätten sie es besser wissen können. Schließlich stammten die erste Berichte über Strahlenschäden bereits aus dem Jahre 1896 - ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahlung.

Und 1913 gab zum Beispiel die Deutsche Röntgengesellschaft schon ein Merkblatt "Richtlinien für den Strahlenschutz" heraus. In den USA selbst wurde schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vor den möglichen Folgen von Röntgenuntersuchungen gewarnt.

Und bis in die 30er Jahre wurde Medizinern zunehmend bewusst, dass etwa Radium, das sogar als therapeutisches Mittel eingesetzt wurde, gefährlich ist. Als Marie Curie, Nobelpreisträgerin und Entdeckerin des Radiums, 1934 starb, hatte man bereits den Verdacht, die Krankheit, an der sie litt, wäre durch Strahlenbelastung ausgelöst worden.

Tatsächlich war den Mitarbeitern des Manhatten-Projekts bewusst, dass von den radioaktiven Substanzen, mit denen sie arbeiteten, ein gewisses Risiko ausging. Und als Louis Hempelmann, Gesundheitsdirektor von Los Alamos, wissen wollte, ob die Erfahrungen mit Radium auf Plutonium übertragbar wären, stimmte Oppenheimer entsprechenden Experimenten zu - und zwar auch an Menschen.

In den Jahren 1945 bis 1947 folgten Versuche an 18 Patienten des Oak Ridge Hospitals und verschiedener US-Universitäten, denen Plutonium gespritzt wurde. Eine weitere entsprechende Versuchsreihe -diesmal mit Uran - fand zwischen 1953 und 1957 am Massachusetts General Hospital statt.

Kurzfristige schädliche Folgen erwarteten die Mediziner nicht, dafür schien ihnen die Dosis zu gering zu sein. Und langfristige Folgen wurden zwar nicht ausgeschlossen, doch die Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Patienten, die überwiegend nicht wussten, dass sie an einem Experiment teilnahmen, an ihren Krankheiten sterben würden, bevor sie das Plutonium schädigen konnte.

Die Militärs selbst interessierte das Strahlenrisiko für ihre Mitarbeiter sowieso weit weniger als die "rätselhafte" Angst vor der Strahlung, die in der Truppe um sich griff.

Diese Angst, so befürchtete man im US-Verteidigungsministerium (DOD), könnte die Einsatzmöglichkeiten der neuen Superbombe einschränken.

Eine rätselhafte Strahlenangst

Wie Richard Meiling, der Vorsitzende des Armed Forces Medical Policy Council des DOD, 1951 feststellte, war "Angst vor Strahlung fast universell unter den Unerfahrenen, und wenn die Streitkräfte sie nicht überwinden, könnte sie ein ernsthaftes Problem werden, wenn Atomwaffen eingesetzt werden".

Da auf Atomexplosionen keine bleibende ionisierende Strahlung auftrete, sei die Angst vor einer Bedrohung durch dieselbe grundlos, so Meiling. Das hörte man bei der Army gern. Um die Strahlen-Angst zu verjagen, so der Schluss der Militärs, mussten die Soldaten Erfahrungen mit Kernwaffen machen.

Gelegenheit dazu boten die überirdischen Atom-Tests in der Wüste von Nevada, die ab 1951 regelmäßig stattfanden. Zugleich bot sich für Meiling dadurch die Gelegenheit, herauszufinden, was bislang eben noch nicht klar war: Wie wirken sich Atombomben auf Menschen aus, die nicht durch die Explosion getötet werden?

Doch auch hier ging es den Forschern des DOD eigentlich mehr um die Psyche - und damit um die Einsatzfähigkeit - als um die mittel- oder langfristige körperliche Verfassung ihrer Soldaten.

Um die Teilnehmer an den Versuchen zu beruhigen, wurde ihnen versichert, dass es neunzig Sekunden nach der Explosion keinerlei Gefahr durch Strahlung mehr gebe. Im November 1951 stellte die Army dann Tausende von Soldaten im Rahmen der Übung Desert Rock I etwa elf Kilometer vom Ground Zero entfernt auf, ein Jahr später waren es bei Desert Rock IV noch 700 Militärs in 6,5 Kilometern Abstand.

Bei weiteren Tests, diesmal mit Freiwilligen, saßen die Teilnehmer in Unterständen, die teilweise nicht mehr als zwei Kilometer vom Ground Zero entfernt waren. Dazu kamen Versuche, bei denen die Wirkung des Atom-Blitzes auf die Augen überprüft oder Schutzkleidung getestet werden sollte. Und die Air Force ließ etwa ein Dutzend Piloten durch die Atompilze fliegen, um die Wirkung der Strahlung zu beobachten.

Fehlverhalten der Militärs

Und wozu das alles? Wie eine 1994 von US-Präsident Bill Clinton eingesetzter Ausschuss über Strahlungsexperimente an Menschen feststellte, empfahlen die medizinischen Berater des DOD die Teilnahme von Truppen an den Tests, obwohl sie sich bewusst waren, dass die Hoffnung auf nützliche wissenschaftliche Daten gering war.

Sie hätten wenigstens, so das Gremium, die Ergebnisse überprüfen müssen, um zu klären, ob weiterer Tests sinnvoll waren. Aber auch das geschah nicht.

1951: Amerikanische Soldaten des Battalion Combat Team der 11th Airborne Division nehmen in der Wüste von Nevada an der Übung Desert Rock I teil. (Foto: National Archives and Records Administration, USA (Public domain))

Zwar habe das Militär Vorkehrungen getroffen, um Soldaten vor akuter Strahlung zu bewahren, berichtete der Ausschuss. Doch eine langfristige Strahlenwirkung wurde von der militärischen Führung offenbar als nicht vorhanden betrachtet.

Dass aber wusste man damals schon besser. "Die Möglichkeit von Langzeit-Risiken bei niedriger Strahlung wurde als niedrig betrachtet, aber nicht als nicht existent", stellte das Gremium fest.

Das Komitee gab deshalb auch den zahlreichen Atom-Veteranen Recht, die der Regierung später vorwarfen, sie nach den Versuchen im Stich gelassen zu haben. "Wenn die Nation Soldaten gefährlichen Substanzen aussetzt, ist es ihre Pflicht, auch die langfristigen medizinischen Folgen zu überwachen", so die Clinton-Berater.

Ein weiteres Beispiel für das unethische Verhalten der US-Regierung selbst war der Umgang mit den Arbeitern in den Uran-Minen, von denen Hunderte an Lungenkrebs starben. Diese Menschen waren einer Strahlung ausgesetzt, von der man damals schon wusste, dass sie sehr gefährlich ist.

Statt jedoch die Belüftung in der Minen zu verbessern oder die Arbeiter zu warnen, studierte die Regierung an ihnen die Wirkung der Strahlung.

Doch die Ignoranz, ja Arroganz beschränkte sich nicht auf Militärs und Politiker. Auch Mediziner hielten es häufig nicht für notwendig, sich an die grundlegendsten ethischen Grundsätze zu halten.

So unternahmen Forscher vom Massachusetts Institute of Technology Ende der 40er Jahre Experimente mit geistig zurückgebliebenen Kindern, denen radioaktives Eisen ins Frühstück gemischt wurde.

Ziel war es, die Aufnahme des Minerals durch den menschlichen Körper zu studieren. Eine ähnliche Studie fand 1961 an der Harvard Medical School statt. Und die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.

1995 entschuldigte sich Präsident Bill Clinton im Namen der US-Regierung für alle unethischen Strahlungsexperimente an Menschen zwischen 1944 und 1974.

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