Altkanzler in der Türkei:Wie Schröder half, Menschenrechtler Steudtner freizubekommen

Altkanzler in der Türkei: Erleichterung: Peter Steudtner im Kreise seiner Freunde und Kollegen nach seiner Freilassung aus dem Silivri-Gefängnis bei Istanbul

Erleichterung: Peter Steudtner im Kreise seiner Freunde und Kollegen nach seiner Freilassung aus dem Silivri-Gefängnis bei Istanbul

(Foto: AFP)
  • Menschenrechtler Peter Steudtner ist am Mittwochabend von einem türkischen Gericht aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
  • Altkanzler Gerhard Schröder soll in dem Fall mit der türkischen Regierung vermittelt haben.
  • Steudtner ist inzwischen wieder in Deutschland zurück - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Von Nico Fried, Antonie Rietzschel und Christiane Schlötzer

Am Freitag, dem 1. September 2017, empfängt Angela Merkel einen Gast, der sich im Kanzleramt bestens auskennt: Gerhard Schröder. Der Vorgänger bespricht mit der Kanzlerin eine schwierige Mission: Es geht um die deutschen Staatsbürger in türkischen Gefängnissen. Es ist - mitten im Wahlkampf - eine überparteiliche Zusammenarbeit der besonderen Art.

Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner ist zu diesem Zeitpunkt schon seit acht Wochen in türkischer Haft, der deutschtürkische Journalist Deniz Yücel seit bald sieben Monaten, ohne Anklage.

Schröder und Erdoğan - eine alte politische Freundschaft

Die Idee, Schröder um Hilfe zu bitten, stammt von Außenminister Sigmar Gabriel. Er hat zur Kenntnis genommen, dass erfahrene Diplomaten Sanktionen gegen die Türkei zwar für richtig halten, aber auch die Einrichtung eines Gesprächskanals fordern. "Back Channel" hat das zum Beispiel der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, einige Tage zuvor in einem Facebook-Eintrag genannt. Das ist auch die Haltung im Kanzleramt.

Am Tag der offenen Tür der Bundesregierung Ende August macht Gabriel bereits eine interessante Andeutung. Es ist die Zeit, in der Schröder wegen seines Engagements beim russischen Ölkonzern Rosneft massiv in der Kritik steht - wahlkampfbedingt nicht zuletzt vonseiten der Union. Gabriel wird darauf von einem Bürger in einer öffentlichen Pressekonferenz angesprochen und antwortet: Wenn es darum gehe, für die Freilassung deutscher Soldaten in der Ukraine zu vermitteln, sei Schröder willkommen, für sein Engagement bei Rosneft aber werde er kritisiert. Gabriel nimmt damit Bezug auf Schröders mutmaßliche Vermittlung zur Freilassung von Mitgliedern einer OSZE-Mission in der Ost-Ukraine drei Jahre zuvor. Die Vermutung liegt nahe, dass Gabriel am Tag seines Auftritts in der Pressekonferenz schon mit dem Gedanken gespielt hatte, Schröder um Unterstützung zu bitten.

Schröder und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verbindet eine politische Freundschaft, nicht ganz so eng wie die Schröders zu Wladimir Putin, aber belastbar. Als Kanzler hat der Sozialdemokrat gemeinsam mit Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen durchgesetzt. Merkel war immer gegen den Beitritt der Türkei, zeigte sich innerhalb der EU aber vertragstreu. In der Flüchtlingskrise war das EU-Türkei-Abkommen maßgeblich ihre Erfindung. Doch das politische und persönliche Verhältnis zu Erdoğan wurde immer schlechter, der türkische Präsident erinnerte sich wehmütig an Schröder, lobte ihn einmal sinngemäß als letzten vernünftigen deutschen Politiker.

Schröder und Merkel - ein ambivalentes Verhältnis

Gabriel fragt Schröder, der ist bereit, einen Gesprächsversuch mit Erdoğan zu unternehmen. Er will aber auch die Zustimmung Merkels. Schröder und Merkel vereinbaren ein Treffen im Kanzleramt. So kommt es zur Begegnung am 1. September. Merkel und Schröder verbindet seit Jahren ein ambivalentes, aber respektvolles Verhältnis. Sie stehen gelegentlich in Kontakt, immer vertraulich.

Peter Steudtner frei

Endlich draußen: Der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner umarmt eine Kollegin vor dem Gefängnis Silivri. Kurz zuvor hat ein Gericht in Istanbul die Untersuchungshaft gegen ihn aufgehoben.

(Foto: Emrah Gurel/dpa)

Öffentlich changiert man zwischen Annäherung und Abgrenzung. Merkel hat eine Biografie über Schröder präsentiert. Beim Thema Russland trennen die beiden Welten. Wenige Tage vor der Begegnung im Kanzleramt hat Schröder in einem Interview Versäumnisse Merkels in der Diesel-Krise kritisiert und mediale Kritik an seinem Rosneft-Engagement als Wahlkampfhilfe für die Kanzlerin bezeichnet. Merkel stimmt der Türkei-Mission trotzdem zu.

Doch die Sache ist reich an weiteren Verwicklungen. Zwei Tage später treffen im TV-Duell Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz aufeinander. Schulz überrascht die Kanzlerin mit der Forderung, die Beitrittsverhandlungen abzubrechen. Merkel laviert, ein bisschen dafür, ein bisschen dagegen. Aber sie betont vor allem, dass man die diplomatischen Kontakte nicht abbrechen dürfe, wenn man die deutschen Staatsbürger unterstützen wolle.

Sie will keine Eskalation, vermutlich auch wegen Schröders Mission. Und darin ist sie sich mit Gabriel einig. Aber weiß Schulz nichts von Gabriels Idee? Später im TV-Duell kommt die Rede noch auf Schröders Rosneft-Posten. Merkel sagt, sie finde das falsch. Der Vermittler wird nicht geschont.

In den Tagen um die Bundestagswahl fliegt Schröder in die Türkei. Niemand bekommt davon etwas mit. Ein langer Wahlkampf geht zu Ende, und der Altkanzler macht Schlagzeilen nur wegen einer neuen Lebensgefährtin. Aber auf dieser Reise trifft er auch Erdoğan. Gut zwei Stunden soll das Gespräch gedauert haben, auch weil der Präsident offenbar viel Zeit darauf verwendete, das Verhalten der Bundesregierung gegenüber der Türkei zu beklagen.

Am Donnerstag nach der Wahl sitzt Schröder dann wieder bei Merkel im Kanzleramt und berichtet. Details sind nicht bekannt. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu signalisiert via Spiegel, man sei an einer Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland interessiert, er wolle sich um "eine Beschleunigung" des Verfahrens bemühen. Kurz darauf nimmt der Fall Peter Steudtner Fahrt auf. Der Prozesstermin wird bekannt gegeben.

Eine eilige Anklageschrift

Altkanzler in der Türkei: Die weiterhin in der Türkei inhaftierte deutsche Journalistin Meşale Tolu hat im Gefängnis ihrem zweijährigen Sohn Serkan einen anrührenden Brief geschrieben. Das SZ-Magazin von diesem Freitag druckt ihn im Faksimile ab.

Die weiterhin in der Türkei inhaftierte deutsche Journalistin Meşale Tolu hat im Gefängnis ihrem zweijährigen Sohn Serkan einen anrührenden Brief geschrieben. Das SZ-Magazin von diesem Freitag druckt ihn im Faksimile ab.

(Foto: SZ)

Die Anklageschrift wirkt eilig zusammengeschrieben, die Passagen, die Steudtner und den Schweden Ali Gharavi betreffen, sind nicht viel mehr als Beschreibungen ihrer Tätigkeit als IT-Trainer, bei einem Workshop türkischer Menschenrechtler. Dennoch lautete der Vorwurf gegen beide und die mit ihnen am 5. Juli festgenommenen acht türkischen NGO-Vertreter, darunter die Direktorin von Amnesty International in der Türkei, İdil Eser: Unterstützung bewaffneter Terrororganisationen.

Beim Prozessauftakt am Mittwoch wird die Anklageschrift von Anwälten ausführlich zerpflückt. Der auffallend junge Richter gibt allen Angeklagten viel Zeit zur Verteidigung, Steudtner spricht 40 Minuten. Alle bestreiten die Terrorvorwürfe.

"Die Atmosphäre war relativ gelöst", sagt der Grünen-Politiker Özcan Mutlu der Süddeutschen Zeitung. Mutlu war öfter als Prozessbeobachter in der Türkei, er hat bei Terrorverfahren schon Bedrückenderes erlebt. "Ich hatte das Gefühl", so Mutlu, "es könnte auch eine Überraschung geben." Von Schröders Einsatz habe er "natürlich nichts gewusst".

Die Überraschung kommt dann nach 13 Stunden Verhandlung in einem überfüllten Saal, als der Staatsanwalt die Freilassung fast aller Angeklagten aus der Untersuchungshaft beantragt, auch der beiden Ausländer. Der Richter geht dann noch weiter, er lässt alle frei, bis auf den türkischen Amnesty-Vorstand Taner Kılıç, dessen Verfahren in Izmir mit dem Istanbuler Prozess vereinigt wurde.

Spät in der Nacht, da ist er schon frei, fährt Steudtner dann noch mal zum Gefängnis von Silivri, in dem er 100 Tage in Untersuchungshaft verbracht hat. Er kommt dort in einem weißen Kleinbus an, mit all den anderen, die mit ihm vor Gericht standen und nun auch frei sind. 70 Kilometer von Istanbul ist Silivri entfernt, die größte Haftanstalt der Türkei. Davor warten mitten in der Nacht zum Donnerstag Hunderte Menschen, sie umarmen Steudtner, es gibt Tränen, Küsse. "Ich bin total glücklich", sagt er und dankt "den vielen Leuten, die auf juristische und diplomatische Weise" geholfen hätten, dass er nun frei sei. Dann kann Steudtner nicht weitersprechen, so bewegt ist er.

Der Deutsche und die anderen sind noch einmal nach Silivri gekommen, um ihre persönlichen Sachen abzuholen. Danach will Steudtner nur noch weg, sofort ausreisen, nach Hause, nach Berlin. Das Gericht hat auf Antrag seines Anwalts Murat Deha Boduroğlu auf alle Auflagen verzichtet, auch wenn der Prozess am 22. November in Istanbul fortgesetzt werden soll.

Ankunft in Berlin unter Ausschluss der Öffentlichkeit

In Berlin sorgt die Freilassung Steudtners für große Erleichterung. Außenminister Gabriel spricht von einem "ermutigenden Signal", einem ersten Schritt. Weitere Deutsche seien noch "aus nicht nachvollziehbaren Gründen" in türkischer Haft, auch hier werde man auf eine Freilassung dringen. "Die Entscheidung zeigt", sagt Gabriel, "dass unsere Stimme für Rechtsstaatlichkeit, unser Mahnen nach einem fairen Verfahren und unsere Bemühungen für Peter Steudtner" gehört worden seien.

In Berlin-Tegel warten schon am Donnerstagmorgen Freunde und Unterstützer auf Steudtner. Vergeblich. Zwei Maschinen aus Istanbul landen bis Mittag, Steudtner ist nicht unter den Reisenden. Dann wieder ein Flugzeug aus der Türkei, am frühen Nachmittag. Rita Süssmuth kommt aus der Glastür von Gate A 14. Sie sagt, Steudtner habe im Flieger gesessen: "grünes Hemd". Doch der taucht nicht auf. Am späten Abend heißt es dann, Steudtner sei bei der Ankunft in seiner Heimatstadt gesehen worden. Polizisten hätten ihn aus dem Flughafen hinaus begleitet.

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