Altkanzler zur Krise der EU:Helmut Schmidt fordert Opferbereitschaft

Eine "tiefgreifende Krise" bescheinigt Helmut Schmidt bei einem Festakt fast allen europäischen Institutionen. Der Altkanzler fordert angesichts der Lage Initiative. Und tut dann etwas, was er sich wohl nicht einmal zu seiner Amtszeit herausgenommen hätte.

Daniel Brössler, Berlin

Zu den wenigen Dingen, die Altkanzler Helmut Schmidt angesichts größter Verehrung im Volke gelegentlich überhaupt noch vorgeworfen werden, gehört fehlende Altersmilde. Bei der 60-Jahr-Feier der Atlantik-Brücke hat Schmidt aber nun bewiesen, dass er auch milde sein kann - zumindest gegenüber seiner aktuellen Nachfolgerin Angela Merkel.

Alt-Kanzler Schmidt erhaelt den Eric-M.-Warbung Preis 2012

Enttäuscht von Europas Institutionen: Helmut Schmidt beim Festakt des Vereins Atlantik-Brücke.

(Foto: dapd)

Im Beisein der Kanzlerin verlieh der Verein Schmidt am Montagabend für seine Verdienste um die transatlantischen Beziehungen den Eric-M.-Warburg-Preis. Seine Dankesrede nutzte der frühere Bundeskanzler für freundliche Worte an Merkel, von deren Erscheinen er "gerührt" sei. Im Dezember beim SPD-Parteitag hatte es noch so geklungen, als habe Schmidt Merkel und ihrer schwarz-gelben Regierung die Leviten gelesen wegen Versagens in der Euro-Krise.

Nun stellte er klar, er habe "damals, liebe Frau Bundeskanzlerin, immer auch an Sie und auch Ihre schwerwiegenden Aufgaben gedacht. Wenn Sie gegenwärtig die Hilfe der Opposition benötigen, so wird auch Ihr bemerkenswertes taktisches Geschick zu den Lösungen beitragen."

Das war es dann aber auch mit den Freundlichkeiten. Im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums offenbarte der 93-Jährige noch einmal, wie alarmiert er ist über den Zustand der Europäischen Union und darüber, dass es nach der Finanzkrise von 2008 nicht gelungen sei, die Probleme in den Griff zu bekommen.

"Man muss sein Herz über die Hürde werfen"

Allen europäischen Institutionen mit Ausnahme der Europäischen Zentralbank bescheinigte Schmidt eine "tiefgreifende Krise". Ein Befund war das, der dann doch so etwas wie Tadel an die Adresse Merkels enthielt. Schließlich ist die Kanzlerin im Machtzentrum der EU, dem Europäischen Rat, immer noch die Mächtigste und von Schuld für das Versagen Europas kaum freizusprechen.

Von Nöten, erklärte Schmidt, seien nun "Entschlusskraft und Opferbereitschaft". Und dann tat er, was wohl nicht einmal er als amtierender Kanzler sich herausgenommen hätte. Er wandte sich, quasi im Befehlston, ans Bundesverfassungsgericht: "Man muss sein Herz über die Hürde werfen. Das gilt ganz gewiss auch für uns Deutsche und ganz gewiss auch für das Bundesverfassungsgericht."

Ginge es nach Schmidt, dürften die Karlsruher Richter Bundespräsident Joachim Gauck nicht länger daran hindern, die Gesetze über den dauerhaften Rettungsschirm ESM und Merkels Fiskalpakt zu unterzeichnen. Schließlich wirke die Bundesrepublik laut Artikel 23 Grundgesetz an der "Verwirklichung eines vereinten Europas" mit.

Schmidts Geduld mit verfassungsrechtlichen Betrachtungen ist erkennbar erschöpft, schließlich drohe angesichts des Erstarkens anderer Weltregionen die Marginalisierung der europäischen Kultur. "Der Rest der Welt wächst und wächst und wächst und produziert - und wir streiten uns in Europa um des Kaisers Bart", klagte er. Von Altersmilde war da keine Spur mehr.

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