Süddeutsche Zeitung

Alternativer Nobelpreis:"Gandhi der Westsahara"

Seit rund drei Jahrzehnten setzt sich Aminatou Haidar gewaltfrei für die Unabhängigkeit der Westsahara ein. Nun erhält sie den Alternativen Nobelpreis.

Von Anna Reuß

Als Ende September bekannt wird, dass Aminatou Haidar den Alternativen Nobelpreis bekommen soll, veröffentlicht sie eine Videobotschaft an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Sie spricht ruhig, fast nüchtern über den festgefahrenen Westsaharakonflikt, verzweifelte und perspektivlose Jugendliche, über willkürliche Verhaftungen und Folter.

Dabei weiß sie genau, was Folter einem Menschen antut, sie hat das am eigenen Leib erfahren müssen. Haidar kämpft dafür, den Friedensprozess in der Westsahara voranzutreiben, und für ein Referendum über die politische Zukunft, wie es auch der UN-Sicherheitsrat 1991 festgelegt hat. "Für mich bleibt es die demokratischste Option, um den Konflikt endgültig zu beenden", sagt sie. Dafür setzt sie ihr Leben aufs Spiel.

Der Konflikt um die Region ist einer der am längsten andauernden in ganz Afrika. Die Westsahara ist ein Streifen an der nordafrikanischen Atlantikküste, der an Mauretanien sowie im Norden an Marokko und Algerien grenzt. Die Sahrauis sind eine ethnische Minderheit im Nordwesten Afrikas, der auch Aminatou Haidar angehört. Insgesamt gibt es etwa 600 000 Sahrauis, die auf dem Gebiet der Westsahara sowie in Algerien, Marokko, Mauretanien und in kleiner Zahl auch in Spanien leben.

Sowohl Marokko als auch die Sahrauis erheben heute Anspruch auf das Gebiet. Während Frankreich im 19. Jahrhundert weite Teile von West- und Nordafrika eroberte, fiel die Region Westsahara Spanien zu. Haidar selbst wurde 1967 geboren, als das Territorium eine spanische Kolonie war. Im Jahr 1975 begann der Abzug der Spanier. Seitdem ist die ehemalige Kolonie von Marokko besetzt, viele Menschen mussten fliehen. Ein Guerillakrieg mit der "Frente Polisario", der nationalen Befreiungsbewegung der Sahrauis, endete 1991 mit einem Waffenstillstand und einer UN-Friedensmission, die bis heute andauert.

Der Vergleich mit Gandhi macht sie stolz

Ihren gewaltlosen Widerstand, der ihr den Beinamen "Gandhi der Westsahara" einbrachte, begann Haidar als Teenager. Sie organisierte Demonstrationen und dokumentierte Folter und trat mehrmals in den Hungerstreik, um auf die Situation der Sahrauis hinzuweisen. Dass man sie mit Gandhi vergleicht, macht sie stolz. Er habe Indien schließlich die Unabhängigkeit ohne Blutvergießen ermöglicht. "Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Weg der richtige ist", sagt Haidar.

Am Mittwoch wird ihr in Stockholm dafür der Alternative Nobelpreis verliehen - für ihr "unerschütterlich gewaltfreies Handeln", wie es in der Begründung der Right-Livelihood-Stiftung heißt. Neben Greta Thunberg werden auch der Brasilianer Davi Kopenawa Yanomami, der sich für die Rechte der Indigenen und den Schutz des tropischen Regenwaldes einsetzt, und die chinesische Juristin Guo Jianmei ausgezeichnet. Sie gründete ein Beratungszentrum für Frauen, das 2016 auf Druck der Regierung geschlossen wurde. Die Gängelung durch eine Regierung kennt auch Haidar. Für ihren Kampf für Gerechtigkeit zahlte die 53 Jahre alte Frau einen hohen Preis.

Mit 20 Jahren wurde sie willkürlich von den marokkanischen Geheimdiensten entführt und in einem Gefängnis in El Aaiún, der besetzten Hauptstadt der Westsahara, festgehalten. Sie kam ohne Anklage oder Verfahren ins Gefängnis, dort wurde sie gefesselt, und ihr wurden die Augen verbunden. Vier Jahre lang habe sie Folter, Einzelhaft und versuchte Vergewaltigungen über sich ergehen lassen müssen, man habe ihr "das Recht auf Leben" verweigert. Während der Zeit im Lager durfte die junge Frau keinen Kontakt zu ihrer Familie haben.

Haidar und ihre Familie erhalten bis heute Morddrohungen. "Seit meiner Freilassung stehe ich unter der Kontrolle der marokkanischen Polizei", sagt sie. Dabei sei ihre Geschichte nichts Besonderes, sagt sie. Ihr einziges Verbrechen sei es, Sahraui zu sein.

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SZ vom 04.12.2019/cck
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