Süddeutsche Zeitung

Alternativer Gipfel in München:Strategien gegen die "Anarchie des Kapitals"

"Sie haben ihren Reichtum auf Kosten von Armut und Zerstörung gemacht": Auf einem Gegengipfel formulieren G-7-Gegner Kritik an den "Lords der westlichen Hemisphäre". Naiv? Oder alternativ?

Von Sebastian Gierke

Eine Neue Internationale gibt es für einen Euro zu kaufen. Also die Zeitung. Vor der Halle hat die "Vokü" große Blechtöpfe aufgestellt. Bulgur mit Gemüse, dazu ein paar Bio-Kirschen. Die Menschen sitzen auf dem Betonboden in der Sonne. Das "-Innen" hinter Aktivist- oder Koalitionspartner- wird hier ganz selbstverständlich mitgesprochen. Müllproblem gibt's keines. Jeder spült seinen Teller selbst - in ein paar großen Plastikwannen. Lautsprecher übertragen die Diskussion aus dem Saal nach draußen. Man hört, neben Deutsch, viel Spanisch.

Das ist der Gipfel. Er findet nur zwei S-Bahn-Stationen vom Münchner Hauptbahnhof entfernt statt. Der Gegengipfel, hier im Neubaugebiet, Münchner Westen, die selbsternannte Alternative zum G-7-Treffen, das am Sonntag in Elmau, in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen beginnt. Die Inszenierung macht klar, worum es geht: Wir hier unten gegen die da oben. Die im Schloss, fernab der Realität, fernab von Hunger und Not, verbarrikadiert hinter Zäunen und beschützt von Tausenden Polizisten. Und wir hier, die Vielen, die Vertreter der Unterdrückten und Ausgebeuteten weltweit.

Die Halle ist überfüllt, mindestens 600 Teilnehmer sind gekommen. Die Stimmung ist gut, man ist unter sich. Kritiker der Kritiker sind nicht eingeladen. Von den bunten Zetteln, die durch die Reihen wandern und auf denen Fragen für die oben auf der Bühne gestellt werden können, macht das Publikum reichlich Gebrauch.

Ökonomin kritisiert "Lords der westlichen Hemisphäre"

Die Eröffnungs- und Grundsatzrede der indischen Ökonomin Jayati Ghosh, Professorin an der Universität von Neu-Delhi, gibt die Richtung vor. Sie spricht von der "Anarchie des Kapitals" über das die "Lords der westlichen Hemisphäre" wachten. Diese Lords hätten Dämonen erzeugt, die sich jetzt gegen sie selbst wenden. Sie meint Ungerechtigkeit, Kriege, Umweltverschmutzung, Klimawandel - und den Islamischen Staat.

Die hier versammelten Kritiker des G7-Gipfels geben den sieben führenden westlichen Wirtschaftsnationen die Verantwortung für die globalen Krisen. Seit dem letzten Gipfel auf deutschem Boden, 2007 in Heiligendamm, habe sich das soziale und ökologische Ungleichgewicht auf der Welt sogar noch verstärkt, werfen die Organisatoren Kanzlerin Angela Merkel und ihren Gästen vor. Die Reichen würden immer reicher, die Armen immer ärmer. Die G7 mit ihrem Bestreben, den Neoliberalismus als das alles bestimmende politische System zu etablieren und außerdem den Welthandel zu dominieren, trügen dafür die Verantwortung.

Der Gipfel der Alternativen am Mittwoch und Donnerstag ist der Auftakt der Protestveranstaltungen gegen den G-7-Gipfel. Einberufen wurde er von verschiedenen Organisationen und Verbänden aus der Entwicklungshilfe, dem Umweltschutz, Gewerkschaften und Kirchen. Auf dem Programm stehen Diskussionen, Vorträge, Workshops.

"Sie besetzen unser Land ohne Respekt und erniedrigen uns"

Die Menschenrechtsaktivistin Bettina Cruz Velazquez berichtet am Nachmittag aus ihrer Heimat Mexiko. Die zapotekische Agrarwissenschaftlerin trägt ein Blumenkleid, doch ihr Gesichtsausdruck steht zur bunten Fröhlichkeit des Kleidungsstücks in grimmigem Kontrast. Im Gesicht spiegelt sich Wut.

"Wir glauben nicht daran, dass auf dem Gipfel in Elmau Lösungen für die Probleme gefunden werden, die uns in Mexiko helfen", sagt Cruz Velazquez. Die sogenannten Lösungen der G-7-Staaten seien es ja erst gewesen, die diese Probleme verursacht hätten: Hunger, Vertreibung, Klimaerwärmung. Die G-7-Staaten hätten ihren Reichtum auf Kosten von Armut und Zerstörung der Natur gemacht. Die Entscheidungen, die diese Staaten träfen, hätten anderswo Vertreibungen und Hunger zur Folge.

In Mexiko würden beispielsweise seit einiger Zeit Windparks gebaut, mit dem Argument, die Klimaerwärmung zu stoppen. Dabei nähmen die internationalen Unternehmen jedoch keine Rücksicht auf den Lebensraum und die Interessen der indigenen Völker. "Sie besetzen unser Land ohne Respekt und erniedrigen uns", sagt Cruz Velazquez. Von der erzeugte Energie hätten die Menschen vor Ort nichts, die werde an die Industrie und den Bergbau geleitet.

Cruz Velazquez spricht mit Nachdruck: "Wir wollen, dass ihr uns in Ruhe lasst. Wir wollen unseren Mais anbauen, wir wollen in Ruhe fischen können, wir wollen unseren Wald behalten."

Weltfremd und naiv seien sie, wird den Gegner des G-7-Gipfels vorgeworfen. Ihre Kritik am "globalen Kapitalismus" würde der Komplexität internationaler Handelsbeziehungen, der Komplexität einer globalisierten Welt nicht gerecht. Tatsächlich ist das Bild, das einige hier zeichnen, recht simpel: Schwarz-Weiß. Gut gegen Böse. So lässt sich auch am besten Stimmung machen. Manchmal klingen Verschwörungstheorien an.

Doch der Gipfel der Alternativen will nicht nur eine Gegenveranstaltung zu Elmau sein. Er will auch konkrete Alternativen anbieten. Alternativen für den internationalen Handel zum Beispiel. Das Freihandelsabkommen TTIP sei jedenfalls genau der falsche Weg, sagt Sven Hilbig, Referent für Welthandel beim evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt".

TTIP verschärfe den "neoliberalen Kurs", der Starke stärker mache und Schwache schwächer. Solidarische, faire Abkommen, ein "alternatives Handelsmandat", fördere dagegen regionales und nachhaltiges Wirtschaften.

Revolutionär geht es auf dem Gipfel der Alternativen nicht zu. Hier geht es um Revision statt Revolution. Das System, so realistisch sind die meisten hier, soll nicht zerstört werden, sondern die Strukturen des Systems sollen verändert werden. Die Demokratie biete dafür die besten Voraussetzungen.

Was dazu fehlt, ist die Macht, die erarbeiteten alternativen Vorschläge auch umzusetzen. Es klingt fast ein bisschen niedlich, wenn davon die Rede ist, dass die Ergebnisse des Gipfel auch "künstlerisch umgesetzt" werden sollen. Außerdem gehe es darum, Netzwerke zu knüpfen, die an den Themen der Diskussionen auch nach dem Gipfel weiterarbeiten können.

"Wo bleibt da der Aufschrei?"

Die wirkliche Macht der Gipfelgegner, so hoffen sie, wird von der Straße kommen. Am Donnerstag soll es in München eine Demonstration geben, am Samstag dann in Garmisch-Partenkirchen nahe Elmau. Die Veranstalter hoffen auf Tausende Teilnehmer. Friedliche Teilnehmer. In Heiligendamm vor acht Jahren kam es zu heftigen Ausschreitungen rund um den G8-Gipfel.

Die Mobilisierung in diesem Jahr lief allerdings schleppend. Die Gegner waren sich nicht einig, wo und wie sie ihren Protest zum Ausdruck bringen wollen. Jetzt demonstriert eine Gruppe vor allem in München, eine andere in Garmisch. Auf dem Gipfel der Alternativen versuchen die Organisatoren, das als Taktik zu verkaufen. Man arbeite zusammen, habe die gleichen Ziele. Tatsächlich werden aus München nach der geplanten Demonstration am Donnerstag Busse mit Gipfel-Gegnern Richtung Elmau fahren. Wie viele es werden, ist völlig unklar.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann warnt dennoch bereits seit Wochen vor einer großen Zahl gewaltbereiter Gipfelgegner. "Wir gehen von mindestens zwei- bis dreitausend gewaltbereiten Leuten aus, die sich am Wochenende hier in Garmisch-Partenkirchen aufhalten könnten", erklärt der CSU-Politiker. Das Bündnis der Gegner erklärt, diese Zahlen seien völlig aus der Luft gegriffen. Die Organisatoren distanzieren sich von Gewalt. Natürlich. Zivilen Ungehorsam wolle man jedoch leisten. Dazu gehörten vor allem Blockaden, mit denen der Gipfel behindert werden soll.

Fast reflexhaft kommt der Zusatz der Bündnis-Sprecherin Gisela Voltz von "Mission Eine Welt". Es sei ja das Wirtschaftssystem, das Gewalt ausübe. Eine strukturelle Gewalt, die töte: "Wo bleibt da der Aufschrei?"

Im Münchner Westen klingt der Sommerabend ruhig und ohne Aufschrei aus. Zum Abschluss ein Theaterstück vom Nö-Theater Köln. Es heißt "Gipfelstürmer". Festivalstimmung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2505595
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/kjan
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.