"Alternative für Deutschland":Wenn Skeptiker euphorisch werden

Partei Alternative für Deutschland

Gründungsparteitag des Berliner Landesverbandes der eurokritischen Partei Alternative für Deutschland

(Foto: dpa)

Die "Alternative für Deutschland" startete als Vereinigung von Euro-Kritikern, jetzt hat sie mehr als 10.000 Mitglieder mit vielfältigen Anliegen. Allen gemeinsam ist allerdings die Aufbruchsstimmung. Das macht inzwischen auch den etablierten Parteien ein wenig Angst.

Von Jens Schneider, Frankfurt

Es ist auch Erschöpfung, die Kay Gottschalk so schnell reden lässt. Ohne Pause, von einem Thema zum anderen. Aber es ist eine Erschöpfung, die der 47-Jährige genießt. Am Tag zuvor hat der Hamburger geholfen, den Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) in Schleswig-Holstein zu gründen. Es ging, wie bisher stets bei dieser Partei, pragmatisch zu, und dauerte doch mehr als dreizehn Stunden. Beim Diplom-Kaufmann Gottschalk, er ist Organisationsleiter bei einer Versicherung, klingt dies wie ein schöner Ausflug: "Ich fühle mich beflügelt."

Diese Euphorie ist das Erste, was auffällt an dieser neuen Partei. Im Februar wurde sie von einem kleinen Kreis gegründet. Sie alle verband die Skepsis gegenüber der Euro-Rettungspolitik. Zwei Monate später sind mehr als 10 000 Bürger eingetreten, jeder zehnte war vorher in einer anderen Partei. Viele waren in der CDU, wie zwei der Parteisprecher, der Ökonom Bernd Lucke und der Publizist Konrad Adam, mehrere Hundert in der SPD wie Kay Gottschalk, der die AfD in Hamburg mit aufbaut.

Wer in Biografien von Kandidaten in den Landesverbänden blickt, stößt auf Lebensläufe, die sich lesen, als wären sie mit dem Lineal gezogen. Anwälte, Berater, Manager der mittleren Ebene - selten spektakulär, aber seriös. Da überrascht das leidenschaftliche Bekenntnis darunter: "Die Gründung der Alternative für Deutschland hat mich elektrisiert." Als ob sie darauf gewartet hätten.

"Viele Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen"

"Ich habe mich schon mal gefragt: Kay, warum hat du eigentlich eine Dauerkarte?" Gottschalk hat einen Stammplatz beim HSV, ihn aber zuletzt fast vergessen. Stattdessen schwärmt er von der Hamburger AfD-Gründung: Vielleicht, sagt er, werde in der Kneipe mal eine Plakette angebracht. Gottschalk hat Abitur gemacht, BWL und Jura studiert und ist dann, beginnend bei einer Kreissparkasse, seinen Weg gegangen. Er hat ein Haus am See am Stadtrand. Alles wirkt bestens geregelt, aber er hat "das diffuse Gefühl, in diesem Land ist in den letzten Dekaden so viel falsch gelaufen". 2009 kündigte er seine Kapitallebensversicherung und setzte auf Sachwerte.

Wenn er seine Weggefährten beschreiben soll, fällt ihm ein Wort ein: pragmatisch. "Ich treffe in der AfD auf eine hohe Zahl von Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Das sind Leute, die sich täglich beweisen müssen." Die hätten keine Zeit, "wie die Grünen bis in die Nacht bei Mate-Tee zu debattieren". Es ist der Ton, den man von Selbständigen oder Managern kennt, die finden, dass alles in der Politik einfach wäre, wenn man es nur machte wie sie im Job - mit klaren Ansagen.

"Die AfD geht weit über die Euro-Rettung hinaus"

"Wenn es dem Mittelstand mollig geht", sagt Gottschalk, "geht es dem Land gut." Er erzählt von der Sprechstundenhilfe seines Zahnarztes. Die hatte gehört, wie er dem Doktor von der neuen Partei erzählte. "Sie erzählte von ihrer Gehaltserhöhung: 100 Euro mehr." Er gratulierte. "Aber ihr bleiben nur 30 Euro. Sie sagte: Das ist demotivierend. Ich wähle Sie!" Dass die Steuern hoch sind und die kalte Progression eine Gemeinheit ist, wissen auch andere Parteien. Es ist nicht einfach, das zu ändern. Gottschalk sagt, man müsse grundsätzlicher ran: "Für was geben wir als Staat Geld aus?" Er kommt auf die Subventionen, die Landwirtschaft. "Die AfD geht", sagt er, "weit über die Euro-Rettung hinaus. "

Es ist ein Donnerstagmorgen, als Konrad Adam - einer der Parteigründer - sich am Frankfurter Hauptbahnhof auf den Weg macht. Überall gründen sich Landesverbände, der 71-Jährige ist ein gefragter Redner. Adam schrieb einst für FAZ und Welt. Er ist leidenschaftlicher Verfechter klassischer Bildung und fühlt sich gut beschrieben, wenn man ihn einen ausgesprochenen Individualisten nennt. Konservativ sein, das zeigt sich für ihn zuallererst im Stil. Dazu gehört Skepsis gegenüber großer Euphorie. Nie war er bei einem Stammtisch, es hätte nicht gepasst. Jetzt steht der AfD-Stammtisch in seinem Kalender.

Sein Heimatland Hessen kann als ein Epizentrum der neuen Partei gelten. In seinem Wohnort Oberursel hatte Adam im März in den Stadthalle die erste große Veranstaltung der AfD angemeldet. 200 Gäste hatte er erwartet, das Wetter war lausig, es kamen mehr als tausend. In Hessen hat die Partei jetzt ihren ersten Landtagsabgeordneten, bis zur Wahl im September: Der bisherige Liberale Jochen Paulus hat die FDP verlassen und ist zur AfD übergetreten. Der liberale Fraktionschef schimpfte, Paulus habe seit Monaten Verpflichtungen nicht wahrgenommen und wäre nicht wieder nominiert worden. Paulus verwahrt sich dagegen. Gerade die bürgerlichen Parteien spüren, dass die AfD ihnen gefährlich werden könnte. Adam erlebte, wie ein Politiker, ein alter Weggefährte, ihm die Freundschaft aufkündigte, per SMS: "Wenn du etwas für die AfD tust, will ich dich nicht mehr sehen."

Anziehungskraft über Wirtschaftsprofessoren und Veteranen hinaus

Wenn er mal wieder gefragt wird, warum einer in seinem Alter in den Bundestag will, redet er nicht über die Folgen der Euro-Rettungspakete. Das überlässt er den Ökonomen. Ihm geht es um das "Demokratiedefizit": Adam beklagt, dass gegen Zusagen und Verträge verstoßen worden sei und die Sorgen der Bürger keine Stimme im Parlament fänden. Er spricht von einer Einheitsfront im Parlament, einer fortwährenden "Missachtung der Institutionen, Missachtung von Recht und Ordnung." Dann erzählt er, wie er vor Kurzem die Gräber an den Schlachtfeldern aus dem Ersten Weltkrieg bei Ypern in Westflandern besucht hat, tief erschüttert. Da spüre man besonders, wie wertvoll die europäische Verständigung sei. Es wäre infam, sagt er, ihn als Gegner Europas zu bezeichnen.

Auf drei bis vier Prozent wird seine Partei taxiert. Sie scheint eine Anziehungskraft zu haben, die über die Welt der Wirtschaftsprofessoren und Veteranen hinaus reicht. Anton Freund ist 16 Jahre alt, ein schlaksiger Gymnasiast, zehnte Klasse. Mit einem schüchternen Lächeln öffnet er die Tür zum Reihenhaus seiner Eltern in Rahlstedt am Stadtrand Hamburgs. Es ist ein offenes, helles Haus mit einem üppigen Garten. Anton spielt gern Basketball und Fußball, lernt Klavier, und für sein Taschengeld trägt er Zeitungen aus - er ist eines der jüngsten Mitglieder der neuen Partei. Sein Vater Andreas setzt sich zum Gespräch dazu. Man merkt, dass er stolz auf den eigenwilligen Jungen ist, aber auch aufpassen will.

Sie erzählen, wie Anton vor allem im Internet von der Euro-Krise las. Er hat sein Geld vom Sparbuch genommen und "in Silber umgesetzt, weil Silber ja ein Industriemetall ist", sagt er. Seine Gedanken springen gelegentlich. Mal spricht Anton über seine Sorge, dass Facebook zu viel Macht über die sozialen Kontakte gewinne. Dann sagt er, dass die Zinswirtschaft insgesamt abgeschafft gehöre. Und spricht danach von seinem Gefühl, dass "in Wirklichkeit doch die Leute, die für den Euro sind, gegen Europa sind." Er glaubt, dass es "im Grunde einen Maulkorb gibt zur EU in Deutschland". Es klingt, wie soll es in seinem Alter anders sein, angelesen, aber leidenschaftlich.

Als Anton von der AfD erfuhr, meldete er sich sofort an. Sein Vater war erschrocken und bremste. Der Elektroniker ist als Arbeiterkind sozialdemokratisch geprägt, "ich habe meinen Fokus darauf gehabt, ob das nicht zu sehr mit nationaler Gesinnung gespickt ist", sagt er. "Das ist aber nicht so." Zusammen fuhren sie zum Gründungsparteitag. Anton fand ihn "echt super", "perfekt organisiert". Konrad Adams Rede gefiel ihm. Er würde gern in einer Jugendorganisation mitmachen. Antons Vater wurde Fördermitglied - zunächst. Nun erzählt er besorgt von einer griechischen Bekannten, die ihre Heimat verlassen habe, weil sie als Krankenschwester ihre Familie daheim nicht ernähren konnte. Er schaue sich, sagt er, die Partei weiter an.

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