Süddeutsche Zeitung

Alternative für Deutschland:AfD-Grundsatzprogramm teilweise "klar verfassungswidrig"

Die AfD will Minarett und Muezzin verbieten - und vergisst dabei, dass das Grundgesetz allen Religionsfreiheit gewährt. Rechtswissenschaftler Joachim Wieland über das Grundsatzprogramm.

Interview von Markus C. Schulte von Drach

Im Grundsatzprogramm, das die Alternative für Deutschland (AfD) am Wochenende beschlossen hat, finden sich etliche Punkte, die Kritiker für unvereinbar mit dem Grundgesetz halten. Vor allem, wo es um den Islam geht, sagt Joachim Wieland. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht der Universität Speyer.

SZ: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", behauptet die AfD in ihrem Grundsatzprogramm. Außerdem heißt es dort: "Ein orthodoxer Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige Religion erhebt, ist mit unserer Rechtsordnung und Kultur unvereinbar." Lässt sich eine solche Aussage mit dem Grundgesetz vereinbaren?

Joachim Wieland: Jede Religion hat das Grundrecht auf Religionsfreiheit. Das stößt erst dann auf Einschränkungen, wenn eine Religion tatsächlich konkret versucht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unterwandern. Wenn also unter dem Deckmantel der Religion versucht wird, die verfassungsrechtliche Ordnung zu beseitigen, dann darf der Staat sich wehren.

Das lässt aber nicht umgekehrt die Aussage zu, dass wir eine Religion per se nicht zu respektieren bräuchten, weil wir sie so verstehen. Und eine Religion muss selbst nicht demokratisch aufgebaut sein. Das ist die katholische Kirche auch nicht.

Die AfD bezieht sich ausdrücklich auf einen Islam, der unsere Rechtsordnung bekämpft ...

Eine politische Partei muss berücksichtigen, wie etwas normalerweise verstanden wird. Der betreffende Satz im Grundsatzprogramm der AfD klingt so, als sei es der orthodoxe Islam, der für uns per se nicht hinnehmbar sei. Und diese verallgemeinernde Aussage ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Ginge es nach der AfD, sollen islamische Organisationen keinen Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangen dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht sagt in seiner Auslegung des Grundgesetzes, dass jede Religionsgemeinschaft, die gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt - etwa in Bezug auf Mitgliederzahl oder Bestandsdauer -, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden darf.

So wie ich das sehe, unterscheidet die AfD Christentum und Islam als Religionen, wobei der Islam weniger Rechte haben soll. So eine Aufteilung ist dem Grundgesetz fremd. Alles, was es an Rechtspositionen gewährt, gewährt es jeder Religionsgemeinschaft. Es macht keinen Unterschied, ob es sich um das Christentum handelt, das in Deutschland stärker verbreitet ist, oder den Islam.

Wie ist es mit dem von der AfD geforderten Verbot von Burka und Niqab in der Öffentlichkeit?

Bei der AfD klingt es immer so, als sage das Grundgesetz nur, dass man glauben darf, was man möchte. Das ist rechtlich aber gar nicht relevant, denn die Gedanken sind sowieso frei. Der Witz der Religionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz gewährleistet ist, besteht aber gerade darin, dass man seine Religion auch leben darf.

Wer sagt, er oder sie könne dies nur tun, wenn bestimmte Kleidungsvorschriften befolgt werden, der ist von der Religionsfreiheit geschützt. Vom Grundgesetz aus betrachtet sehe ich nicht, wie man ein grundsätzliches Burka-Verbot rechtfertigen will.

Wäre ein entsprechendes Verbot im öffentlichen Dienst umsetzbar?

Das ist umstritten. Wenn man sich die Gerichtsurteile dazu anschaut, dann darf man im Bereich des öffentlichen Dienstes schon gewisse Vorschriften erlassen. Wer in den Staatsdienst eintritt, muss bereit sein, bestimmte Einschränkungen in Kauf nehmen. Wie weit die genau gehen, ist aber meiner Meinung nach rechtlich noch nicht abschließend geklärt.

Die AfD lehnt auch den Muezzinruf und Minarette ab.

Das ist ganz klar verfassungswidrig. Jede Religionsgemeinschaft hat das Recht, ihre Religion zu leben, wie sie das für richtig hält. Sie muss natürlich die allgemeine Rechtsordnung beachten. Bei den Rufen gilt etwa das Bundesimmissionsschutzgesetz, das auch für Kirchenglocken gilt. Da gibt es etwa Grenzen, zu welcher Tageszeit und in welcher Lautstärke das zulässig ist.

Minarette müssen genauso behandelt werden wie Kirchtürme. Man kann nicht einen Kirchturm erlauben, aber ein Minarett nicht, weil es angeblich nicht zu uns gehört. Es gilt weder für den Ruf des Muezzins noch für das Minarett ein anderes oder strengeres Recht als für die christlichen Religionsgemeinschaften.

Und was ist mit einem Verbot von Koranschulen?

Das ist meines Erachtens ebenfalls nicht zulässig, denn zur Religionsausübung gehört auch, dass man die Inhalte lehrt. Da gibt es natürlich Grenzen. Der Staat darf sich vergewissern, dass in einer Koranschule nicht zu strafbaren Handlungen aufgerufen wird.

Die AfD will, dass über Asylanträge bereits in den Herkunftsregionen entschieden werden soll.

Das halte ich verfassungsrechtlich für unbedenklich. Heikel würde es, wenn auf deutschem Boden keine Asylanträge mehr entgegengenommen werden sollen. Das hielte ich für unzulässig.

Für die AfD soll die EU in Zukunft kein politisches Bündnis mehr sein, sondern nur noch eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Das ist meines Erachtens mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil wir uns in Artikel 23 ausdrücklich zu einer europäischen Integration bekennen. Die AfD will hier die Richtung umkehren und die Integration nicht fort- sondern zurückführen. Dazu müsste das Grundgesetz geändert werden.

Könnte die AfD, wenn sie an der Macht wäre, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitsamt Rundfunkbeitrag abschaffen?

Das widerspricht dem Grundgesetz Artikel 5 Absatz 1 zur Freiheit des Rundfunks und auch dem, was das Bundesverfassungsgericht in seiner langjährigen Rechtsprechung gesagt hat.

Eine weitere Forderung der AfD ist, dass der Bundespräsident künftig direkt gewählt werden soll.

Das würde eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit voraussetzen. Aber das ist natürlich denkbar.

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