Pandemie-Politik:Rufer aus dem Süden

Eroeffnung und Messerundgang der IAA Mobility Aktuell, 07.09.2021, Muenchen, Ministerpraesident Markus Soeder im Dialog

Eine Ansage an die Berliner Politik: Winfried Kretschmann (links) und Markus Söder fordern die allgemeine Corona-Impfpflicht.

(Foto: Political-Moments/imago images)

Wenn ein Schwarzer und ein Grüner gemeinsam etwas fordern, hat das erhebliche Wucht. Markus Söder und Winfried Kretschmann wissen das sehr genau.

Von Andreas Glas und Angelika Slavik, Berlin/München

Eine besondere Allianz ist es schon, die sich da in der Dienstagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort meldete. Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder und Winfried Kretschmann, grüner Landeschef in Baden-Württemberg - gemeinsam verlangen sie eine Corona-Impfpflicht für alle. Der Ruf aus dem Süden der Republik ist eine Ansage an die Berliner Politik.

Söder hatte bereits am vergangenen Freitag für eine allgemeine Impfpflicht geworben und die Debatte angeschoben. Nun also springt ihm Kretschmann zur Seite. Ein Verzicht auf eine allgemeine Impfpflicht werde dazu führen, dass "wir einen immer höheren Preis dafür zahlen, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung sich die Freiheit nimmt, das Impfangebot abzulehnen", heißt es ihrem Beitrag.

Die "Südschiene" gibt es schon länger

Nicht erst die Pandemie hat Söder und Kretschmann einander näher gebracht. Ihre Beziehungsgeschichte reicht weit zurück. Die "Südschiene" zwischen Bayern und Baden-Württemberg gibt es schon lange, als starke Wirtschaftsstandorte haben die beiden Bundesländer ähnliche Interessen, deshalb die Allianz. Dazu kommt: Als es noch reichlich Fantasie für eine Ampel im Bund brauchte, hielt Kretschmann eine schwarz-grüne Koalition in Berlin für wünschenswert, Söder für unvermeidbar. Diese Vision brachte die beiden noch näher zusammen. Vor allem Söder wusste die Verbindung auch als Imagefaktor zu nutzen. Die sanfte Ergrünung des CSU-Chefs hat seine Partei ja misstrauisch gemacht. Söders Nähe zum konservativen Kretschmann konnte dieses Misstrauen etwas zerstreuen. Wenige in der CSU mögen die Grünen, aber Kretschmann? Den finden viele in Ordnung, weil sie ihn gar nicht für einen echten Grünen halten.

Da Bayern und Baden-Württemberg in der Pandemie von Beginn an besonders betroffen waren, rückten Söder und Kretschmann noch enger zusammen. "Beide waren schon immer im Team Vorsicht", heißt es in der CSU. Man muss auch sagen: Beide tun sich schwer damit, ihre Bevölkerung zum Impfen zu motivieren. Die Impfquoten sind in beiden Bundesländern niedrig. Und wenn Söder und Kretschmann nun zusammen eine Impfpflicht fordern, folgt dies einem bewährten Muster. Die zwei Ministerpräsidenten haben schon vieles gemeinsam verlangt: ein Stromkonzept, mehr Unterstützung für die Autoindustrie, mehr Föderalismus. Wenn ein Schwarzer und ein Grüner gemeinsam etwas fordern, hat das mehr Wucht als jeder Parteitagsbeschluss. Söder und Kretschmann wissen das strategisch zu nutzen, auch jetzt beim Thema Impfpflicht, die beide für den Ausweg aus der Pandemie halten.

Schon beim Bund-Länder-Gipfel vergangene Woche warben die zwei Länderchefs für eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen. Am Wochenende gab es dann erneut Gespräche zwischen Kretschmann und Söder. Die Initiative für den gemeinsamen Gastbeitrag? "Die ging von mir aus", sagt Kretschmann. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) schloss sich am Dienstag den Forderungen der beiden an. Vor allem für Söder, der pausenlos die Krisenkompetenz der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP infrage stellt, ist es ein Coup, dass ihm der grüne Kretschmann zur Seite springt, während sich die Ampel-Parteien im Bund bei der Impfpflicht noch nicht recht einig sind.

Denn die Debatte um die Impfpflicht erwischt das politische Berlin in einer Zeit komplizierter Machtverhältnisse. Da ist zunächst die alte Bundesregierung, immer noch geschäftsführend im Amt. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält von der Impfpflicht nicht viel. Allerdings verliert Spahns Meinung mit jedem Tag an Relevanz. Die Mehrheit im Bundestag stellen nun die Ampel-Parteien, die gerade ihre Koalitionsverhandlungen finalisieren. Mit der Impfpflicht tut sich das Dreierbündnis allerdings schwer.

Das Virus treibt die Ampel-Parteien vor sich her

Vor allem für die FDP ist die Diskussion schwierig. Die Liberalen haderten schon gehörig damit, den Widerstand gegen eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen - etwa für Bedienstete in Pflegeheimen - aufzugeben. Dass die rasant steigenden Infektionszahlen nun die Debatte über eine gesetzlich vorgeschriebene Immunisierung für die gesamte Bevölkerung befeuert, bringt die Partei erneut in die Zwickmühle. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Michael Theurer, sagte dem "Mittagsmagazin", man habe verfassungsrechtliche Bedenken. In anderen Ländern sei es ja auch gelungen, ohne Impfpflicht eine Pandemiewelle zu brechen.

Es ist schon das zweite Mal, dass das Virus die Ampel vor sich hertreibt: Zu Beginn ihrer Verhandlungen hatte das Dreier-Bündnis noch gehofft, Lockerungen verkünden zu können. Das erste gemeinsame Gesetzesvorhaben beinhaltete das Ende der "epidemischen Notlage" - ein genereller Lockdown ist deshalb künftig ausgeschlossen. Noch während am Gesetzesentwurf gefeilt wurde, kam das Virus allerdings heftiger zurück als je zuvor. Die Ampel musste in letzter Sekunde nachschärfen, trotzdem sind die Möglichkeiten, auf die Pandemie zu reagieren, durch das neue Gesetz deutlich reduziert. Das führte zu Kritik, auch aus den eigenen Reihen.

Ein Machtwechsel in Berlin, noch nicht eingespielte künftige Koalitionspartner - viel Platz also für Ratschläge aus dem Süden.

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