Elisabeth Noelle-Neumann war eine streitbare, stramm konservative Networkerin mit zum Teil zweifelhaften politischen Ansichten und einem zum Ende hin schrulligen Hang zur Esoterik. Ihr Institut hatte Auftraggeber, die vor 1945 - und einige vermutlich auch noch danach - Nazis waren. Im Nachkriegsdeutschland Geschäfte zu machen, ohne auf alte Nazis zu stoßen, wurde einem aber auch nicht gerade leicht gemacht.
Schließlich setzte die Regierung Adenauer ebenso wie einige Besatzungsmächte bewusst auf deren Integration auch an den wichtigen Schaltstellen von Wirtschaft und Politik. Immerhin: Hier deckt Becker Verbindungen auf, die zum Teil auf ein braunes Netzwerk deuten, zum Teil aber eben auch reiner Zufall sein können. Für irgendeine Form der Differenzierung fehlt ihm leider die Distanz.
Denn bei aller Kritik: Elisabeth Noelle-Neumann war eine der ersten Frauen überhaupt, die es schafften, im männerdominierten Nachkriegsdeutschland ein führendes Institut zu gründen, auszubauen und ganz an die Spitze zu führen. Sie gehörte zu den ersten Top-Managerinnen ihrer Zeit und war unbestritten eine Pionierin der Marktforschung in Deutschland. Heute noch entscheidet die AWA, die Allensbacher Werbeträger Analyse, mit über Erfolg oder Misserfolg von Zeitschriften, Sendern und Online-Portalen.
Was der Autor versäumte
Aber - das gilt auch für die politische Meinungsforschung - Allensbach ist heute nur noch ein Institut unter vielen. Ob und inwiefern eine quasi Monopolstellung des Instituts in den 60er-Jahren die Republik verändert hat: Diese Frage ist die eigentlich spannende. Sie hat den Autor aber leider gar nicht interessiert.
"Es ist schön, am Ende des Lebens - alles in allem - mit sich im Reinen zu sein." Über dieses Zitat der damals 90-jährigen Noelle Neumann aus dem Jahr 2006 ärgerte sich Jörg Becker sehr. Wer sein Buch liest, erfährt jedoch vor allem, warum er am Lebensabend seiner eigenen Schweigespirale zu entkommen versucht.
Jörg Becker: Elisabeth Noelle-Neumann. Demoskopin zwischen NS-Ideologie und Konservatismus. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2013. 369 Seiten, 34,90 Euro. Der Politologe Frank Stauss, Jahrgang 1965, ist Autor von "Höllenritt Wahlkampf - ein Insider-Bericht" (dtv, 2013; siehe SZ vom 20./21. April) und Mitinhaber der Kommunikationsagentur Butter.