Allahu akbar:"Allahu akbar" - Aufruf zum Generalverdacht

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"Allahu Akbar" rief der Täter von Grafing - und schon ist der unhaltbare Verdacht in der Welt. (Foto: REUTERS)

Der Täter von Grafing rief die Gebetsformel, ehe er zustach - und alle glauben an einen islamistischen Hintergrund. Was sie für die Mehrheit der Muslime bedeutet, gerät in den Hintergrund.

Von Gökalp Babayiğit

Noch nicht eine gesicherte Erkenntnis gab es über den Hergang der Messerattacke oder über den Täter. Da war die Sache für einige englisch- und deutschsprachige Nachrichtenseiten schon klar. "Allahu akbar", titelten sie, habe der Mann gerufen, der in Grafing einen Menschen erstochen und drei weitere verletzt hat. So hatte es laut Polizei ein Zeuge gehört. Und deshalb prüften die Ermittler, ob die Tat einen islamistischen Hintergrund haben könnte.

Die arabische Formel, die sich am treffendsten mit "Allah ist am größten" übersetzen lässt, schoss reflexartig auch auf Twitter an Platz eins der "Trending Topics" in Deutschland. Das interessierte mithin die Menschen in den sozialen Netzwerken am meisten im Zusammenhang mit der fürchterlichen Tat.

Richtig verwunderlich ist dies nicht: Auf 140 Zeichen beschränkt, greifen Twitter-User zu Etiketten, auf die sich komplizierte Sachverhalte - oder eben auch nur haltlose Verdächtigungen - gut komprimieren lassen. "Allahu akbar", täglich mehrmals von Abermillionen friedlichen Muslimen im Mund geführt, gebetet und gerufen, ist zu solch einem Etikett geworden, das Muslime unter Generalverdacht stellt.

In der nicht muslimischen Welt ist die Wendung mittlerweile berüchtigt

Denn in der nicht muslimischen Welt ist die Wendung mittlerweile berüchtigt. Auch die Dschihadisten rufen damit Gott an, um ihren Gräueltaten einen vermeintlich geheiligten Zweck zu verleihen. Bei Anschlägen in Paris oder Brüssel riefen die Attentäter "Allahu akbar", ehe sie andere und sich selbst in den Tod rissen. Auch auf den Mordvideos des sogenannten Islamischen Staates ist der Gottesruf zu hören. Dass der für die überwältigend große, friedliche Mehrheit der Muslime freilich eine andere, eine spirituelle Bedeutung hat, gerät dabei leicht in Vergessenheit.

Mit "Allahu akbar" beginnt seit Jahrhunderten der Ruf des Muezzins, der Muslime fünfmal am Tag zum gemeinsamen Gebet anhält. Während der täglichen Gebete wird die Formel ebenfalls verwendet. Doch Muslime, gläubige und nicht so gläubige, benutzen sie auch bei ganz anderen Gelegenheiten. Auf Youtube findet sich das Video eines Syrers, der die Luftangriffe auf sein Dorf filmt und dabei mit Todesangst in der Stimme "Allahu akbar" ruft - um sich zu beruhigen.

Ein anderes Video zeigt, wie mehrere Männer ein Kind aus den Trümmern eines zerbombten Hauses befreien. Es ist ein Wunder, dass der Kleine überlebt hat, und so rufen Kameramann und Umstehende "Allahu akbar", ein Ausdruck ihrer übergroßen Freude. Und es kommt regelmäßig vor, dass arabische Fußballkommentatoren, überwältigt von einem schönen Tor, einfach "Allahu akbar" ins Mikrofon brüllen.

Derlei Videos gibt es zuhauf im Netz. Es dürften mindestens so viele sein wie jene von islamistischen Terroristen. Dennoch, wer seiner Tat einen dschihadistischen Anstrich geben und damit Furcht und Schrecken verbreiten will, der muss nur "Allahu akbar" rufen oder schreiben. So ähnlich geschehen ist dies vor Kurzem auch in Berlin. Dort musste eine Schule wegen einer vermeintlichen Anschlagsdrohung kurzzeitig schließen. Unbekannte hatten den Hinweis "Anschlag 25. 4." an die Wand gesprüht - dazu die arabische Formel. Die Polizei gab nach eingehender Prüfung Entwarnung: Die Täter hatten "Allah" falsch geschrieben.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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