Süddeutsche Zeitung

Urteil des Bundessozialgerichts:Alkoholmissbrauch der Mutter führt nicht automatisch zu Entschädigungsanspruch

Lesezeit: 1 min

Nur wenn die Mutter vorhatte, durch den Alkoholkonsum die Schwangerschaft zu beenden, entsteht den Richtern nach ein Anrecht des Kindes auf Entschädigung. Geklagt hatte eine Jugendliche aus Sachsen-Anhalt.

Durch den Alkoholmissbrauch ihrer Mutter geschädigte Kinder haben grundsätzlich keinen Anspruch auf eine staatliche Opferentschädigung. Nur wenn die Mutter während der Schwangerschaft absichtlich intensiv Alkohol getrunken hat, um auf diese Weise das ungeborene Kind zu töten und einen Schwangerschaftsabbruch hervorzurufen, liegt eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Gewalttat vor, die zu einer Opferentschädigung führen kann, urteilte das Bundessozialgericht in Kassel. (AZ: B 9 V 3/18 R)

Geklagt hatte eine 2005 geborene, schwerbehinderte junge Frau aus dem Raum Magdeburg. Sie leidet an einer Entwicklungsverzögerung infolge eines fetalen Alkoholsyndroms. Dieses ging auf ihre suchtkranke Mutter zurück, die während der Schwangerschaft erhebliche Alkoholmengen konsumiert hatte. Die Mutter habe von der massiven Schädigung des ungeborenen Kindes gewusst. Die Tochter, die mittlerweile bei einer Pflegefamilie lebt, beantragte 2009 beim Versorgungsamt wegen dieses "tätlichen Angriffs" eine staatliche Opferentschädigung.

Nach dem Opferentschädigungsgesetz zahlt der Staat unter bestimmten Voraussetzungen eine mitunter lebenslange Grundrente. Im Streitfall ging es um mehr als 400 Euro monatlich. Aber auch ein Berufsschadensausgleich ist möglich, wenn aufgrund der erlittenen Gewalttat kein adäquater Beruf mehr ausgeübt werden kann. Eine Entschädigung könne beansprucht werden, wenn die gesundheitliche Schädigung auf einen "vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff" zurückzuführen ist, erklärten die Richter.

Der Klägerin steht die Opferentschädigung damit aber nicht zu, urteilte das Gericht. Voraussetzung hierfür sei das Vorliegen einer Straftat. Die Schädigung eines ungeborenen Kindes wegen Alkoholmissbrauchs sei aber noch nicht strafbar. Als tätlicher Angriff gelte nach dem Gesetz zwar auch die "Beibringung von Gift", hier die erheblichen Mengen an konsumierten Alkohol. Eine Straftat und damit ein möglicher Opferentschädigungsanspruch liege dagegen nur vor, wenn die Mutter mit dem Alkoholkonsum das ungeborene Kind habe töten wollen. Hier sei der Mutter zwar klar gewesen, dass sie ihre ungeborene Tochter mit dem Alkoholkonsum schädigt. Nicht belegt sei aber die Tötungsabsicht.

"Alkoholmissbrauch ist ein gesellschaftliches Problem", sagte die Vorsitzende Richterin Elke Roos. Alkoholkonsum während der Schwangerschaft sei auch der häufigste Grund für Behinderungen bei Kindern. "Das Opferentschädigungsgesetz hat hier aber seine Grenzen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5043424
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/epd
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.