Zumindest an einer der Fronten, an denen Algerien gerade in Konflikten verstrickt ist, könnte sich die Lage etwas beruhigen. Nicht sofort natürlich, sondern in Zukunft, falls sich eine Verhandlungslösung oder zumindest eine Annäherung erreichen lässt. Am Donnerstag berief UN-Generalsekretär António Guterres Staffan de Mistura als neuen Sonderbeauftragten für den Westsahara-Konflikt, der Posten war vakant, seit ihn der deutsche Ex-Präsident Horst Köhler 2019 aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hatte.
De Mistura ist ein erfahrener Unterhändler, in seiner vorherigen Position als UN-Syrien-Beauftragter konnte er jedoch nur einem heißen Konflikt bei der ständigen Eskalation zusehen. Und doch bestehen Hoffnungen, dass der Diplomat im Westsahara-Konflikt etwas in Bewegung bringen könnte, der seit Mitte der 70er-Jahre zu einem kalten Krieg zwischen Algerien und Marokko geführt hat: Damals besetzte das Königreich das vormalige spanische Kolonialgebiet an seiner Südgrenze, die Republik Algerien beherbergt seither die westsaharische Unabhängigkeitsbewegung Polisario. Bis heute belauern sich die rivalisierenden Nachbarn, verhaken sich im Wettrüsten und in diplomatischen Fehden - auf militärische Übungen Marokkos reagierte Algier Ende August etwa mit einer Sperrung seines Luftraums für Flugzeuge aus dem Nachbarland.

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Im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf überbieten sich die französischen Parteien mit Vorschlägen, die Zahl der Immigranten zu reduzieren - bis hin zum Aufnahmestopp.
Doch selbst wenn es De Mistura gelingen sollte, "insbesondere die Gespräche am runden Tisch" sofort wiederzubeleben, wie das Auswärtige Amt in Berlin hofft, wird der Himmel über Nordafrika weiter einem gigantischen Kreisverkehr gleichen, wie Kommentatoren auf Twitter scherzten: Nicht nur marokkanische Maschinen, die nach Osten wollen, müssen derzeit einen Bogen um die große Landmasse Algeriens machen, auch einige Flugzeuge, die von Norden nach Süden wollen, fliegen einen Umweg: Als Reaktion auf Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Algier Militärmaschinen der ehemaligen Kolonialmacht Anfang der Woche das Überflugrecht entzogen. Versorgungsflüge für die bis zu 5000 zur Terrorbekämpfung in der Sahelzone stationierten Soldaten aus Frankreich dauern nun deutlich länger.
Macron kritisiert das "politisch-militärische System" Algeriens heftig
Die Sätze aus Paris, die die Staatsspitze in Algier so erregten, verknüpften schlecht verheilte Wunden aus der Vergangenheit mit Verwerfungen aus der Gegenwart. Ende September war Macron bei einem Arbeitskreis von Jugendlichen zum Algerienkrieg zu Gast, Zitate waren bald in Le Monde zu lesen. Verkürzt zusammengefasst beschuldigte der Präsident Algeriens "politisch-militärisches System", seine Hausaufgaben nicht zu machen und das eigene Versagen immer noch durch den Kolonialismus zu entschuldigen. "Die algerische Nation zehrt seit 1962 von einer Erinnerung, in der es heißt: Frankreich ist das Problem", wird Macron zitiert.
Macrons Worte beinhalten sicher unbequeme Wahrheiten für Algier, die Regierung unter dem 2019 ins Amt gekommenen Präsidenten Abdelmajid Tebboune hat etwa bis heute keinerlei Idee präsentiert, wie sie die aufgewühlte innenpolitische Situation beruhigen könnte. Die Protestbewegung Hirak, die 2019 und 2020 Woche für Woche Hunderttausende Demonstranten mobilisierte, ist immer noch aktiv, weil nach dem Abgang des Dauerpräsidenten Abdelaziz Bouteflika zwar die Personen an der Spitze des Staates ausgetauscht wurden, aber nach wie vor das undurchsichtige System von Seilschaften aus Militär, Geheimdiensten und Industriemagnaten herrscht. Andere Aussagen Macrons stellen nach dem Verständnis Algiers die algerische Nation insgesamt infrage, etwa, als er sagte, dass lange vor den Franzosen ja bereits die Osmanen das Land kolonialisiert hatten.
Algeriens Presse sprach von einer "beispiellosen Krise", die Regierung von "unverantwortlichen Äußerungen" und berief ihren Pariser Botschafter ab. Dass Macron kurz darauf versöhnlichere Töne nach Süden sandte, trug ebenso wenig zur Entspannung bei wie seine Bemühungen, den Algerienkrieg zumindest in einigen Aspekten aufzuarbeiten. Denn abgesehen von Debatten um die Vergangenheit belastet ein aktuelles Thema die Beziehungen: Frankreich hat angekündigt, die Zahl der Visa für Bewerber aus den Maghrebstaaten zu halbieren, weil die bei der Rücknahme abgewiesener Staatsbürger nicht ausreichend kooperierten.
Das mag Macron helfen, Stärke gegenüber rechten Konkurrenten im aufziehenden Wahlkampf zu zeigen - ein anderes Problem löst die Ankündigung sicher nicht: Noch nie versuchten so viele Algerier über die Mittelmeerroute zu flüchten wie in diesem Jahr.