Algerien:Totgeschwiegene Krankenakte des Präsidenten

Algeriens Präsident Bouteflika

Algeriens Präsident Bouteflika: Spekulationen über seine Nachfolge sind Tabu

(Foto: REUTERS)

Spekulationen sind tabu: Seit Wochen wird Algeriens Präsident Bouteflika in Paris von Ärzten behandelt. Meldungen über sein Befinden verhindert Algier teilweise mit drastischen Mitteln. Ausländische Partner bringen dennoch bereits ihre Favoriten für die Nachfolge ins Spiel.

Von Rudolph Chimelli, Paris

Bei der Beerdigung des früheren algerischen Staatschefs Ali Kafi am 17. April war Präsident Abdelaziz Bouteflika das letzte Mal in der Öffentlichkeit gesehen worden. Zehn Tage danach erlitt er nach offizieller Mitteilung einen "Mini-Schlaganfall", der ihn angeblich nur wenige Minuten beeinträchtigte. Gleichwohl wurde er sofort nach Paris geflogen und ins Militär-Hospital Val-de-Grâce gebracht, dessen Spitzen-Medizinern sich auch die politischen Größen Frankreichs am liebsten anvertrauen. Der Klinik-Aufenthalt werde nur wenige Tage dauern, verlautete damals. In spätestens einer Woche sollte Bouteflika wieder in der Heimat sein.

Doch daraus wurde nichts. Niemand außer den Ärzten oder ausgesuchten Funktionären Frankreichs und Algeriens bekommt Bouteflika zu sehen, er ist nicht einmal zu sprechen. Während der folgenden Wochen wurden die Bulletins über den Zustand des 76-Jährigen immer seltener und gleichförmiger. "Er war nie in Gefahr, seine Gesundheit wird täglich besser", sagte Premier Abdelmalek Sellal vor zwei Wochen in der vergeblichen Hoffnung, die Gerüchte zu beruhigen.

Am 21. Mai wurde Bouteflika vom Val-de-Grâce in ein kleines Pflegeheim für Veteranen am Invalidendom verlegt. Es gehört gleichfalls den Streitkräften und dient noch immer dem ursprünglichen Zweck: Ludwig XIV. hatte den gewaltigen Komplex des Hôtel des Invalides vor mehr als drei Jahrhunderten für seine Kriegskrüppel bauen lassen. Ende Mai wünschte Frankreichs Präsident François Hollande seinem algerischen Kollegen baldige Heimreise. Aber der blieb. "Seine Genesung geht weiter, es geht ihm gut, er ruht sich aus", so das jüngste Communiqué.

In Algerien glaubt das inzwischen niemand mehr. Zwei Zeitungen wurden beschlagnahmt, weil sie gemeldet hatten, Bouteflika liege im Koma. Dem Chef der beiden oppositionellen Blätter - Mon Journal in französischer, Dscharidati in arabischer Sprache - wurde vom Staatsanwalt vorgeworfen, er untergrabe durch unbegründete Behauptungen die Staatssicherheit. Aufsehen erregte in dieser Woche die Zeitung Matin mit der Enthüllung, die Erlasse des Präsidenten, die aus Paris kämen, seien nicht von ihm, sondern von seinem Bruder Said Bouteflika unterzeichnet. Dies wäre verfassungswidrig. Said hat offensichtlich die Kommunikation an sich gezogen und sieht sich auch als politischer Erbe. Noch kurz vor der Erkrankung des Präsidenten soll es wegen einer Korruptionsaffäre, in die Said Bouteflika verwickelt ist, zu einer Kontroverse zwischen den Brüdern gekommen sein.

In Algier sind Spekulationen nach wie vor ein Tabu

"Wenn es dem Präsidenten gut geht, wie unsere Offiziellen immer behaupten, dann soll man ihn im Fernsehen zeigen", sagt Mohammed Hadibi, der Sprecher von an-Nahda, einer von vier islamistischen Parteien. "Die Lage des Landes ist ernst. Der Präsident ist abwesend, und der Hauptbetroffene - das Volk - erfährt nichts." Falls aber die optimistischen Darstellungen nicht zuträfen, solle die Anwendung des Artikels 88 der Verfassung erwogen werden. Er sieht die Amtsenthebung des Staatschefs bei unheilbarer Krankheit vor. Auch andere Politiker Algeriens weisen auf diese Möglichkeit hin.

Bouteflika regiert seit 1999. Um für seine jetzige dritte Amtszeit wählbar zu werden, ließ er im Jahr 2008 die Verfassung ändern und die Beschränkung auf zwei Perioden aufheben. Im Frühling hatten seine Anhänger eine Kampagne für eine Wiederwahl zu einer vierten Amtszeit im nächsten April entfacht. Doch dass es dazu kommt, hält niemand mehr für möglich.

Algerische Politiker und Unternehmer versuchen von Journalisten in Paris Informationen über einen möglichen Nachfolger zu bekommen. Denn in Algier sind entsprechende Spekulationen nach wie vor ein Tabu. Das hindert ausländische Partner nicht, ihre Favoriten für die Nachfolge ins Spiel zu bringen. Die Franzosen setzen, wie es heißt, auf Abdelaziz Belkhadem, einen früheren Premier und Generalsekretär der vormaligen Einheitspartei FLN. Die Amerikaner fördern offenbar Ahmed Benbitour, gleichfalls ein ehemaliger Regierungschef. Die letzte Entscheidung dürfte bei einer anonymen Instanz liegen, die in Algerien "Le Pouvoir" (die Macht) genannt wird: beim Militär. Und dem erscheinen derzeit der jetzige Premier Sellal oder sein Vorgänger Ahmed Ouahya als erste Wahl.

Der weitaus Einflussreichste innerhalb des Zirkels "Le Pouvoir" ist General Mohamed Mediene, genannt Taufik, das Oberhaupt aller Geheimdienste. Er agiert im Stillen, zeigt sich selten und sorgt dafür, dass es von ihm kaum Bilder gibt. Seit Jahren arbeitet er daran, Bouteflikas Stellung zu untergraben. Die staatliche Ölgesellschaft Sonatrach, von deren Einnahmen Algerien lebt, war lange Zeit eine Domäne des Präsidenten. Bis Taufik ihre Manager, alles Vasallen Bouteflikas, wegen Korruption verhaften ließ.

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