Algerien:Tod des starken Mannes

Gaid Salah, Abdelmajid Tebboune

Vorige Woche nahm er noch an der Vereidigung des Präsidenten teil: Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah.

(Foto: Fateh Guidoum/AP)

Armeechef Ahmed Gaïd Salah stirbt unerwartet an einem Herzinfarkt - mitten in einem erbitterten Machtkampf, der an vielen politischen Fronten tobt. Die Zukunft des nordafrikanischen Landes ist damit äußerst ungewiss.

Von Paul-Anton Krüger

Algeriens starker Mann, Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, ist am Montag überraschend gestorben. Damit steht das nordafrikanische Land zwei Wochen nach einer umstrittenen Präsidentenwahl vor politisch äußerst ungewissen Zeiten. Die Armee ist das wichtigste Machtzentrum in dem von undurchsichtigen informellen Strukturen geprägten politischen System, dessen grundlegende Veränderung die nationale Protestbewegung Hirak seit Beginn des Jahres mit wöchentlichen Großdemonstrationen fordert.

Wie Staatsmedien unter Berufung auf das Präsidialamt meldeten, starb der 79-Jährige in den Morgenstunden im zentralen Militärkrankenhaus Aïn Naadja, wohin er nach einem Herzstillstand in seiner Residenz gebracht worden war. Präsident Abdelmadjid Tebboune ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Gaïd Salahs Tod sei eine "schmerzhafte Tragödie" für das Land "zu dieser besonderen Zeit", teilte das Präsidialamt in einer Erklärung mit. Algerien habe "einen seiner Helden verloren, der bis zu seinem letzten Moment seinem Pfad treu geblieben ist, der durch große Opfer bestimmt war".

Formell war Gaïd Salah neben seinem Amt als Generalstabschef nur stellvertretender Verteidigungsminister. Er hatte aber den früheren Präsidenten Abdelaziz Bouteflika im April nach Massenprotesten gegen dessen neuerliche Kandidatur zum Rückzug gezwungen und seither alle wichtigen Entscheidungen getroffen: Maßgeblich sorgte er dafür, dass Geschäftsleute aus Bouteflikas Entourage ebenso wegen Korruption vor Gericht gestellt wurden wie dessen jüngerer Bruder Saïd und etliche frühere Regierungsmitglieder, bis hin zu zwei ehemaligen Premierministern. Zugleich nutzte er die Lage, um die Stellung der Armee zu stärken und gegen die einst mächtigen Geheimdienste vorzugehen.

Der am 12. Dezember gewählte Präsident Tebboune galt in Algerien als Favorit der Militärführung; Gaïd Salah ließ ihm bei der Vereidigung vergangenen Donnerstag noch eine symbolisch bedeutsame Umarmung zu teil werden. Zuvor hatte der Generalstabschef die Wahlen im dritten Anlauf gegen den Willen der Demonstranten durchgesetzt und sie als einzigen Weg bezeichnet, die Stabilität Algeriens zu wahren. Er sprach von einer "neuen Phase", in der die "berechtigten Forderungen der Algerier nach einem Leben in Würde" erfüllt würden. Das galt als Signal, dass die Armee eine Fortsetzung der Massenproteste auf unbestimmte Zeit nicht dulden würde. Am Wahltag und auch in den Wochen zuvor waren die Polizei und die dem Militär unterstellte Gendarmerie mit zunehmender Härte gegen die Proteste vorgegangen. Dutzende Aktivisten wurden verhaftet.

Offen ist nun, wie die Kraftprobe zwischen der Hirak-Bewegung und dem Regime weitergeht. Tebboune, 74, hat einen Dialog über die Verfassung samt Referendum angeboten und angedeutet, dass einige der inhaftierten Aktivisten wieder freigelassen werden könnten. Gaïd Salah hatte vor der Wahl beides abgelehnt. Tebboune erreichte laut den offiziellen Zahlen zwar bereits im ersten Wahlgang 58,1 Prozent der Stimmen, die Beteiligung lag aber nur bei knapp 40 Prozent - tatsächlich dürfte sie weit niedriger gewesen sein. Die Protestbewegung sieht ihn als vorgeschobenen Vertreter der alten Elite, der dem Militär nur eine demokratische Fassade für seine Herrschaft verschaffen soll.

Tebboune ernannte Generalmajor Saïd Chengriha zum interimistischen Generalstabschef. Der 74-Jährige war zuletzt Kommandeur des Heeres; dem ungeschriebenen Gesetz folgt dieser dem Generalstabschef nach. Chengriha gilt laut der unabhängigen Wochenzeitung El Watan als "sehr diskret und nicht weniger mächtig". Ob er in gleichem Maße wie Gaïd Salah eine politische Rolle ausfüllen kann und will, ist offen. Weder er noch der gleichaltrige Tebboune verkörpern den Generationswechsel in der Politik, den die Demonstranten fordern. Mehr als die Hälfte aller Algerier sind jünger als 30 Jahre, und sie wollen nicht mehr von der gleichen Elite regiert werden, die seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962 die Geschicke des Landes bestimmt hat.

Gaïd Salah war die letzte prominente Figur in Spitzenämtern des algerischen Staates, die selbst noch im Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Frankreich gekämpft hat. Nach seiner offiziellen Biografie war er mit 17 Jahren in die Nationale Befreiungsarmee eingetreten. Daraus bezog er wie zuvor auch Bouteflika und andere Vertreter der Nomenklatura der Demokratischen Volksrepublik Algerien über Jahrzehnte seine Legitimität.

Allerdings hatten die Demonstranten in den vergangenen Wochen auch den Rücktritt des Generalstabschefs gefordert. "Das Volk und die Armee sind Brüder", skandierten sie, "aber Gaïd Salah ist mit den Verrätern." Der Protestbewegung fehlt es bislang an einer Führung, die koordiniert politische Forderungen gegenüber der Regierung vertreten könnte, was deren Vertreter auch gelegentlich kritisiert haben. Zugleich hatte der Sicherheitsapparat in den vergangenen Monaten eine Reihe führender Aktivisten inhaftiert. Er versuchte so, die Proteste unter Kontrolle zu bekommen - bisher allerdings vergeblich.

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