Algerien:Neue Schminke für die Macht

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Anhänger der Regierung bei einer Wahlveranstaltung in Algier: Am Donnerstag wird über das neue Staatsoberhaupt abgestimmt. (Foto: Ramzi Boudina/REUTERS)

Am Donnerstag wählt das nordafrikanische Land einen Präsidenten. Viele dort fürchten aber, die Demokratisierung nach der langen Ära Bouteflika sei nur kosmetisch.

Von Moritz Baumstieger und Paul-Anton Krüger, München

Als am Freitagabend das Licht im Studio des algerischen Staatssenders aus- und die Kameras angingen, erlebte das Land Historisches: Zum ersten Mal stellten sich Bewerber um das höchste Staatsamt Fragen von Journalisten. Statt in dem undurchsichtigen Zirkel aus Militärs, Unternehmern und Funktionären der Regierungspartei, der bisher die Strippen zog, sollten Machtfragen für alle hörbar verhandelt werden. Anstelle der vollkommenen Abwesenheit im Wahlkampf, die sich der seit Jahren von Schlaganfällen gelähmte Dauerpräsident Abdelaziz Bouteflika in seinen letzten Kampagnen erlaubte, sollten sich nun fünf Kandidaten im Scheinwerferlicht präsentieren.

Das zumindest war der Eindruck, den die Übergangsregierung erwecken wollte. Denn was nach der Begrüßung durch die vier Moderatoren folgte, hatte den Namen Debatte nicht verdient: Die Kandidaten gaben vorbereitete Statements zu allen möglichen Themen ab - und das sehr ausdauernd. Als sich die einer Marathon-Pressekonferenz ähnelnde Veranstaltung nach drei Stunden dem Ende zuneigte, blieb den Zuschauern, sofern sie nicht eingenickt waren, eigentlich nur eine Erkenntnis: Die Unterschiede zwischen den von der Wahlbehörde zugelassenen Kandidaten sind marginal. Sie alle betonten, der Protestbewegung nahezustehen, die im April Bouteflikas Rücktritt erzwungen hatte. Doch eigentlich präsentierten sich hier die neuen Gesichter von "le pouvoir" (die Macht) - so nennen die Algerier jene Kreise, die das System aus dem Hintergrund steuern.

"Eine Veranstaltung, bei der die Themen und Moderatoren intransparent ausgewählt werden, bei der sich die Kandidaten keine Nachfragen gefallen lassen müssen, hat nichts demokratisches", sagt etwa Belabbes Benkredda der Süddeutschen Zeitung. Der Deutsch-Algerier organisiert mit seiner Initiative al-Munathara seit 2012 Diskussionsformate in der arabischen Welt, im Spätsommer etwa die viel beachtete TV-Debatte in Tunesien. Auch in Algerien hatte er lange mit der Wahlbehörde verhandelt, dann aber entnervt hingeschmissen, da sich die auf keinerlei Standards einlassen wollte. "Angesichts der Festnahmen von vielen Oppositionsjournalisten in der vergangenen Woche, die echte Fragen hätten stellen können, war das besonders bitter, was da im Fernsehen lief."

Unfreiwillig lief so zur besten Sendezeit jedoch eine Zusammenfassung der Gründe, die nach wie vor jeden Freitag Hunderttausende zu den Demonstrationen der "Hirak" genannten Protestbewegung auf die Straßen treiben: Mit demokratischer Kosmetik soll verschleiert werden, wie das alte Regime versucht, seine Macht zu retten. Die für viele Protestierende drängendste Frage - die Vormachtstellung des Militärs unter Armeechef Ahmed Gaïd Salah im politischen Prozess - wurde nicht thematisiert. Und dadurch, dass nun schnell ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, soll diese Frage auch in Zukunft vermieden werden, vermuten Aktivisten. Obwohl sie für Demokratie auf die Straßen gehen, lehnen die meisten die Wahl jetzt ab. Erst müssten die Grundlagen für eine Demokratisierung gelegt werden, fordern sie.

Das Regime müht sich zwar, die Ernsthaftigkeit seiner Reformbestrebungen zur Schau zu stellen: Es gibt Korruptionsprozesse mit teils langen Haftstrafen gegen Geschäftsleute und die einstige Entourage Bouteflikas; ein Militärgericht in Blida verurteilte etwa dessen Bruder Saïd in erster Instanz zu 15 Jahren. Auch hochrangige Ex-Geheimdienstler wurden schuldig gesprochen. Am Dienstag erhielten die früheren Premiers Ahmed Ouyahia und Abdelmalek Sellal Haftstrafen von 15 und zwölf Jahren wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder, Machtmissbrauch und Inanspruchnahme ungerechtfertigter Privilegien. Doch sehen Experten und vor allem viele Algerier in den Prozessen Versuche des Militärs, alte Rechnungen zu begleichen.

Eine wirkliche Verschiebung der Machtverhältnisse versprechen sie sich hingegen nicht von der Wahl. Von Abdelmadjid Tebboune, der unter Bouteflika kurz als Premier diente und den viele Algerier als Favoriten des Militärs einstufen, ist kein radikaler Neuanfang zu erwarten. Ebenso wenig von Ali Benflis, Regierungschef von 2000 bis 2003, oder von Azzedine Mihoubi, dem früheren Kulturminister, der von der regierenden Nationalen Befreiungsfront (FLN) unterstützt wird. Gleiches gilt für den Ex-Tourismusminister Abdelkader Begrine, dessen gemäßigt islamistische Partei mit der FLN koaliert, und für Abdelaziz Belaid, ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees der FLN, der später eine eigene Partei gründete und 2014 gegen Bouteflika antrat.

Der Wahlkampf gestaltete sich für die Kandidaten entsprechend holprig: Kundgebungen hatten kaum Zulauf, Plakate der Bewerber wurden mit Eiern und Tomaten beworfen oder mit dem Schriftzug "Kandidaten der Schande" übermalt. Wie viele Algerier in diesem Klima am Donnerstag zur Wahl gehen und für wen sie stimmen werden, ist schwer abzuschätzen. Unabhängigen Meinungsforschungsinstituten ist die Arbeit in Algerien genauso schwer möglich wie internationalen Journalisten.

Was sich allerdings mit der Wahl ändern könnte, ist das bisher weitgehend friedlich verlaufene Ringen zwischen den Autoritäten und den Demonstranten. Innenminister Salah Eddine Dahmoune beschimpfte jene, die eine Wahl ablehnen, vergangene Woche als "Verräter, Söldner und Homosexuelle". Auch Armeechef Gaïd Salah hat am Dienstag in einer Rede vor hohen Offizieren klargemacht, dass mit der Wahl in Algerien eine "neue strahlende und vielversprechende Phase" anbreche, in der den berechtigten Forderungen der Bürger nach einem würdigen Leben Rechnung getragen werden solle. Das hörte sich nicht an wie die Ankündigung weiterer tief greifender Reformen nach der Wahl, eher wie eine Warnung an die Demonstranten.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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