Süddeutsche Zeitung

Algerien:Bouteflika kehrt zurück

  • Der umstrittene algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika ist in seine Heimat zurückgekehrt.
  • Der 82-Jährige wurde zuvor in Genf medizinisch behandelt.
  • In Algerien gibt es seit Wochen Proteste gegen die geplante erneute Kandidatur Bouteflikas bei der Präsidentschaftswahl im April.

Von Paul-Anton Krüger

Sollte das Regime um den greisen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika gehofft haben, die Proteste in Algerien mit einer Mischung aus Druck und Zugeständnissen beruhigen zu können, ist seit dem Wochenende klar: Das wird nicht funktionieren. Den dritten Freitag in Folge sahen die Hauptstadt Algier, Oran und viele andere Orte in dem nordafrikanischen Land die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten. Allein in Algier hatten Diplomaten die Proteste gegen eine mögliche fünfte Amtszeit des seit 1999 regierenden Präsidenten schon am Wochenende zuvor auf 700 000 bis 800 000 Teilnehmer geschätzt.

Nun waren zentrale Plätze und Straßen noch voller, obwohl die Regierung massiv Bereitschaftspolizei aufgeboten und den öffentlichen Nahverkehr sowie die Verbindungen in die Vorstädte lahmgelegt hatte. Man habe sich in der Menge nicht mehr bewegen können, berichtete ein Teilnehmer am Telefon.

Die Regierungspartei nennt die Protestbewegung eine "Quelle des nationalen Stolzes"

Bouteflika hatte in Staatsmedien einen Brief verbreiten lassen, in dem er vor Instabilität warnte. Sein Wahlkampfleiter bot an, der Präsident werde im Falle einer Wiederwahl nach einem Jahr abtreten - Zeit für die herrschende Clique aus Militär, Geheimdiensten, Parteifunktionären der Nationalen Befreiungsfront (FLN) und reichen Geschäftsleuten, einen ihnen genehmen Nachfolger zu suchen für Boutef, wie der Volksmund den 82-Jährigen nennt.

Am Sonntag nun appellierte die FLN in der ersten öffentlichen Reaktion an das Volk, gemeinsam nach einem Ausweg mit "den geringstmöglichen Kosten für das Land" zu suchen. Sie bezeichnete in einer Erklärung die Protestbewegung als "Quelle des nationalen Stolzes", konkrete Zugeständnisse machte sie nicht. Zugleich wurde die Rückkehr des Präsidenten vorbereitet. In Genf, wo Bouteflika seit bald zwei Wochen im Universitätskrankenhaus behandelt wurde, landete eine Regierungsmaschine aus Algerien.

Sie brachte Bouteflika am Sonntag nach zweiwöchigem Krankenhausaufenthalt wieder nach Algerien. Nach Regierungsangaben hat der Präsident eine "Routineuntersuchung" hinter sich gebracht. Er ist von einem Schlaganfall im Jahr 2013 schwer gezeichnet und gilt nur noch als Marionette des Regimes.

Die Regierung zog zudem den Beginn der Universitätsferien um zehn Tage auf Sonntag vor; die Studenten waren eine wichtige Kraft bei den Protesten der vergangenen Wochen. Sie fordern Perspektiven in einem Land, in dem jeder Zweite jünger als 25 Jahre ist und jeder Dritte in der jungen Generation keine Arbeit findet. Am Sonntag, dem Beginn der Arbeitswoche, folgten in Algier viele Beschäftigte einem Aufruf zum Generalstreik; viele Geschäfte, Märkte und Schulen blieben geschlossen, der Bahnverkehr und große staatliche und private Unternehmen wurden lahmgelegt.

Es ist offen, wie es in Algerien weitergehen könnte: Die Demonstranten fordern, Bouteflika müsse auf eine weitere Amtszeit verzichten. Neben ihm gibt es 18 weitere Bewerber. Bis Mittwoch muss der Verfassungsrat beschließen, wer von ihnen zugelassen wird. Allerdings ist unter ihnen niemand, hinter dem sich die Demonstranten versammeln könnten. Denkbar ist eine Verschiebung der Wahlen, eine Regierung der nationalen Einheit und eine Überarbeitung der Verfassung. Schwer vorstellbar bleibt, dass die FLN und die nur le pouvoir genannten informellen Machtstrukturen zulassen, dass Bouteflika abtritt und ein Vertreter der zersplitterten Opposition die Wahl gewinnt.

"Es lebe Algerien!", rufen Beamte und Demonstranten gemeinsam

Entscheidend wird sein, wie sich das Militär und die anderen Teile des Sicherheitsapparates verhalten. Generalstabschef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaïd Salah hatte dunkel vor Kräften gewarnt, die Algerien destabilisieren wollten. Das werde die Armee nicht zulassen. Im Armee-Organ El Djeich hieß es dagegen, das Militär stehe an der Seite des Volkes. Am Sonntag betonte Salah eine enge Bindung zwischen den Streitkräften und dem Volk und eine "gemeinsame Vision".

Der Geheimdienst DRS hatte an Einfluss verloren, als Bouteflika 2015 dessen langjährigen Chef Mohamed Mediène, in Algerien nur als Toufiq bekannt, in den Ruhestand versetzte. Nachfolger Athmane Tartag versuchte, die Stellung des DRS gegenüber dem Militär wieder zu festigen. Unklar ist derzeit auch, wie sich die Polizei künftig verhalten wird. Am Freitag gab es Szenen, in denen sich Beamte mit den Demonstranten solidarisierten und "Es lebe Algerien!" skandierten. Zugleich kam es erstmals zu größeren Auseinandersetzungen. Mehr als 200 Demonstranten wurden festgenommen, als am Freitagabend Straßenschlachten entbrannten. Im Museum für Altertümer und Islamische Kunst wurden Artefakte geplündert und Feuer gelegt.

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SZ vom 11.03.2019/jael/cat
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