Süddeutsche Zeitung

Alfred Gusenbauer:Vom Kanzler zum Referenten

Alfred Gusenbauer war der kürzestdienende Kanzler Österreichs. Nun staunt das ganze Land über seinen neuen Posten.

Michael Frank, Wien

Eine ganze Nation ist peinlich berührt. Alfred Gusenbauer, bis vor kurzem Bundeskanzler der Republik Österreich, wird sein eigener Nachfolger als Funktionär der niederösterreichischen Arbeiterkammer.

Auch wenn das Salär als künftiger Europareferent der öffentlich-rechtlichen Vertretung der Arbeitnehmer im größten Bundesland der Alpenrepublik mit 4000 Euro dotiert ist, kommt das seinen Landsleuten wie ein Ein-Euro-Job vor - zumindest gemessen an dem, was frühere Bundeskanzler und andere Politiker nach Amtsende an gutdotierten Posten nachgeworfen bekommen haben.

Das Neue Volksblatt in Oberösterreich, eine Parteizeitung der Volkspartei, die Gusenbauers frühes politisches Ende wesentlich mitverschuldet hat, empört sich. Da erkläre die neue SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas, "Alfred Gusenbauer ist einer der erfahrensten Politiker in unserem Team". Das sei zu viel, schreibt das Blatt, das sei schiere "Verhöhnung", seine Gegner müssten sich gar nicht über ihn lustig machen, "das erledigen die Genossen".

Andere Zeitungen versuchen es als ehrenwert und korrekt zu werten, dass sich ein Politiker nach seinem Abgang nicht an den üblichen Postenreitereien und dem Fischen nach lukrativen Kommissions- und Aufsichtsratsposten beteilige.

Gekränkt ist irgendwie dennoch das ganze Land, das sich sonst in Wutanfällen über ungerechtfertigte Vorteile und Privilegien der politischen Klasse ergeht. Ist ein Regierungschef in Wien so wenig wert, dass er praktisch wieder auf dem Posten landet, von dem er sich vor seiner steilen Parteikarriere im Jahr 2000 hat beurlauben lassen?

Auch wenn Gusenbauer der kürzestdienende Kanzler war - bei all seiner Distanz zum Volk wurde es als unwürdig empfunden, wie ihn seine Sozialdemokraten als Chef demontierten. Den neuen Arbeitsplatz sehen viele als Fortsetzung einer systematischen Demütigung.

Gusenbauer ereilt schneller als andere ein typisch österreichisches Schicksal: Zu Amtszeiten geschmäht, wächst er nach seinem Ausscheiden rasch zu einem seltsamen Mythos heran: zu einem "großen Intellektuellen", mit dem es die Republik verpasst habe, Geist und Politik zu versöhnen. Dass Bildung, Belesenheit und Weltgewandtheit nicht automatisch politische Intelligenz bedeuten, scheint vergessen zu sein.

Man hatte geunkt, dem 48-Jährigen stehe wegen seiner unleugbaren Weltläufigkeit eine Europa-Karriere bevor, vielleicht sogar als Österreichs EU-Kommissar. Nach den Europawahlen im Juni könnte er den Posten auch noch erhalten. Vorerst jedoch sagen die Spötter: Es ist ja Europa für ihn geworden, wenn halt nur als Referent in Niederösterreichs Arbeiterkammer.

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SZ vom 24.12.2008/cag
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