Alfa, AfD und Piraten:Von Zwergen lernen

AfD Dissenters Seek To Create A New Political Party

Ehemals AfD-, jetzt Alfa-Chef: Bernd Lucke (Mitte), hier mit Mitstreitern.

(Foto: Getty Images)
  • Die AfD ist zerbrochen, der Hype um die Piraten längst vorbei. Dennoch sind Aufstieg und Fall der Zwergparteien lehrreich.
  • Sie haben vermeintlich Politikverdrossene in die Politik gebracht und gezeigt, dass Parteien immer noch an ideologischen Fragen gemessen werden.
  • Zudem haben sie bewiesen, wieviel Wut online und offline herrscht, wie unkontrollierbar sie ist - und dass man sie gerade deswegen ruhig mal ignorieren kann.

Von Hannah Beitzer

In Würzburg trifft sich heute die Piratenpartei zu ihrem Bundesparteitag. Traurig klingen die Titel über den Artikeln, die in der Woche zuvor über die Piraten erschienen: Was vom Aufbruch übrig blieb. Alle Mann von Bord. Sie handeln vom Scheitern. Ganz ähnlich wie die über Bernd Lucke, ehemals Sprecher der Alternative für Deutschland, der es nach einer beispiellosen Reihe von Demütigungen in seiner Ex-Partei nun mit einer neuen versucht: Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa). Die Allianz mit dem unbescheidenen Namen empfing am Freitag Lucke in Ingolstadt - zur Vorstellung des neuen Projekts. Die Rest-AfD sitzt heute auf Parteitagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zusammen. Aber wen interessiert das noch?

Piraten, AfD und ihr Nachfolgeprojekt Alfa zucken noch, aber leben nicht mehr, so sieht es aus. Einiges spricht dafür, die Zwerg-Parteien trotz diverser Parlamentsmandate zu ignorieren. Dabei kann man so viel lernen aus ihrem Aufstieg und Fall.

1. Frust ist nicht gleich Desinteresse

Politikverdrossenheit. Der Begriff begleitete die Generation, die später als Gründungsgeneration der Piraten galt, seit sie politisch denken konnte. Und es angeblich nicht tat. Nach der Wende sah es ja in Deutschland so aus: Die Parteien verloren Mitglieder, vor allem die Jungen wollten nicht mehr mitmachen, die Wahlbeteiligung sank. Diese Entwicklungen mit "Politikverdrossenheit" zu umschreiben, war auch deswegen bequem, weil das nach schlichtem Desinteresse klang. Es klang passiv, es klang resigniert, es klang nach Null-Bock-Generation. Die Piraten zeigten, dass Unzufriedenheit nicht mit Desinteresse gleichzusetzen ist - und dass die Unzufriedenen sich im Zweifel auch ins System, in die Parlamente drängeln und lautstark Veränderungen zu fordern.

Sie brachten das Parteienspektrum links der Mitte für eine Zeit ziemlich durcheinander und boten neben einem Haufen Chaoten auch Menschen einen Weg ins politische System, die viel Anerkennung erfuhren: Sei es die ehemalige politische Geschäftsführerin Marina Weisband, die heute als Ukraine-Expertin gefragt ist, oder der Berliner Fraktionschef Martin Delius, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung als eines von wenigen politischen Talenten in der Berliner Landespolitik rühmt.

Kurze Zeit später trat dann die Alternative für Deutschland mit einer Reihe Professoren und Unternehmern an der Spitze an, die "Politikverdrossenen" rechts der Union einzusammeln. Bernd Lucke tingelte als Euro-Kritiker durch die Talkshows, bevor seine Partei ebenso wie die Piraten auseinanderfiel. Von beiden Parteien bleibt, dass sie versucht haben, Menschen in den politischen Prozess zu integrieren, die sich von den etablierten Parteien längst abgewandt hatten. Die müssen sich fragen: Wie kriegen wir diese Menschen nach dem Scheitern der Neuen zurück?

2. Postideologisch? Von wegen!

Was erwarten Bürger eigentlich von einer Partei? Eine Antwort auf die Frage liefert abermals ein Blick auf Piraten und AfD: Es geht um Werte. Das im Nachhinein Spannendste am Niedergang der Piraten waren ja nicht die bizarren Streitereien, sondern dass eine Partei, die sich selbst als postideologisch sah, ausgerechnet an ideologischen Fragen zugrunde ging. Links und rechts, das ist doch ein völlig überholtes Konzept - so propagierten es viele Piraten zu Beginn. Um dann einen klassischen Flügelstreit nach dem nächsten hinzulegen: Feminismus - ja oder nein? Bedingungsloses Grundeinkommen - ja oder nein? Antifa - ja oder nein?

Auch Bernd Lucke scheiterte mit seiner AfD an ideologischen Fragen. Nämlich an seinem leichtfertigen Glauben, rechtspopulistische Strömungen und Positionen in die AfD einbinden zu können, ohne dass diese zu einer rechten Partei wird. Genau jene politischen Gräben und unverrückbaren Positionen, die Piraten und AfD den anderen Parteien vorwarfen, sind eben bitter nötig, um Leute fernzuhalten, die man nicht will. Sie sind auch wichtig für den inneren Zusammenhalt, sind die Antwort auf die Frage: Wer sind wir eigentlich - gerade im Vergleich zu anderen?

Lehren für den Umgang mit einer neuen Öffentlichkeit

Das gilt für die etablierten Parteien ganz genauso wie für AfD und Piraten. Wie gehen wir mit anderen Kulturen, mit Flüchtlingen und Fremden um? Was ist die Rolle Deutschlands in der Welt? Wie sieht eine gerechte Gesellschaft aus, welche Lehre ziehen wir aus der Wirtschaftskrise? Das alles sind Fragen, die viele Menschen ernsthaft beschäftigen, weil sie eben nicht politikverdrossen sind.

Dass Parteien sie ernst nehmen sollten, zeigt zum Beispiel die anhaltende Debatte um das Verhalten von SPD-Chef Sigmar Gabriel. Dem wird Unberechenbarkeit vorgeworfen, ein allzu leichtfertiges Herumspielen mit sozialdemokratischen Positionen. Selbst wenn die SPD den Mindestlohn durchsetzt, verzeihen es die meisten SPD-Wähler eben nicht, dass der Parteichef - sei es tatsächlich aus privatem Interesse oder aus machtpolitischem Kalkül - mit Pegida-Anhängern spricht.

3. Umgang mit einer neuen Öffentlichkeit

Ein Blick auf die Piraten lohnt sich noch aus einem anderen Grund: Die lautstarken Streits in den sozialen Medien, der raue Ton, der erbitterte Kampf gegen formelle und informelle Machtstrukturen scheinen wie ein Vorbote ganz ähnlicher Kämpfe ganz anderer Leute, in denen es auch häufig um "wir da unten" gegen "die da oben" geht. Was die neue digitale Öffentlichkeit an Vorzügen und Nachteilen zu bieten hat, hat der kurze Hype um die Piraten schon 2012 vor Augen geführt. Was damals noch als typisches Piraten-Verhalten galt - ein endloser Reigen aus Provokation, Shitstorm, Klagen über den Shitstorm, neuer Shitstorm - beschäftigt heute nicht mehr nur Nerds.

Wie unkontrollierbar Debatten im digitalen Raum verlaufen, wie sich alte Hierarchien auflösen, neue bilden und wie unberechenbar die dortigen Dynamiken sind, erleben heute Politiker, Aktivisten, Journalisten und Unternehmen täglich, ob sie wollen oder nicht. Was davon relevant ist und was nicht, welche Stimmen mehr Aufmerksamkeit verdienen und welche lieber ignoriert werden sollen, wie sich der einzelne vor den Dynamiken der Online-Debatte schützen kann und wer welche Verantwortung in diesem Prozess trägt - diese Fragen konnten die Piraten nicht beantworten.

Ein ungutes Gefühl muss das bei allen hinterlassen, die sich vor einigen Jahren noch über das schlechte Benehmen der Piraten amüsierten, und die nun Teil ganz ähnlicher Dynamiken sind und ähnlich hilflos reagieren. Ein kleiner Facebookpost des oben erwähnten Vizekanzlers zur Griechenlandkrise reicht heute schon aus, um einen tagelangen, unkontrollierten Streit in seiner Partei auszulösen.

Dass die Wut und die Unkontrollierbarkeit, die in derartigen Debatten zum Ausdruck kommen, kein reines Online-Phänomen sind, sich soziale Medien und Straße da perfekt ergänzen, zeigt wiederum die AfD mit ihren Verbindungen in Richtung Pegida und Co. Der fremdenfeindliche und laute Diskurs in den sozialen Medien (wenn man von Diskurs sprechen möchte) findet so ähnlich eben auch auf Demonstrationen und Parteitagen statt. Doch seine Macht ist arg beschränkt auf pöbeln, meinen und stören. Die Entwicklung von AfD und Pegida zeigt, dass es schwer ist, daraus eine dauerhafte Struktur zu entwickeln, die echten politischen Einfluss ermöglicht.

Das müsste diejenigen freuen, die sich nach einem Blick auf Facebook oder Twitter vor der Macht des digitalen Mobs fürchten.

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