Nawalny:Viele Sorgen, viele Fragen

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Ein Krankentransporter der Bundeswehr für Intensivpatienten fährt mit dem russischen Oppositionellen Nawalny zur Charité. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny wird seit Samstag in der Berliner Charité behandelt. Für seine Mitstreiter steht fest: Die Verlegung nach Deutschland wurde aus politischen Gründen herausgezögert.

Von Daniel Brössler, Berlin

Es ist Sonntagmittag, als Leonid Wolkow, ein Vertrauter von Alexej Nawalny, sich per Facebook an die Anhänger des russischen Oppositionellen wendet. "Entschuldigt", schreibt Wolkow, aber ein für den Abend geplanter Livestream müsse abgesagt werden. Eigentlich hatte er zusammen mit Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch "ausführlich über die Ereignisse der letzten Tage" berichten wollen. Man werde das nachholen, sobald man bereit sei. Zumindest am Sonntag bleiben viele Fragen - und Sorgen.

Wirklich klar ist nur, dass der im Koma liegende bekannte russische Oppositionelle seit Samstagmorgen in der Berliner Charité behandelt wird. Die Charité bestätigte zunächst nur, Nawalny "zur ärztlichen Behandlung aufgenommen zu haben". Es erfolge nun "eine umfangreiche medizinische Diagnostik". Nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie werde man die Öffentlichkeit unterrichten. Damit hat begonnen, was ein Kampf um das Leben des Kreml-Kritikers ist, aber auch um die Wahrheit.

Als am Samstag um 8.46 Uhr ein Spezialflugzeug mit Nawalny und seiner Frau Julia an Bord in Berlin-Tegel landete, lag der Zusammenbruch des Oppositionellen schon mehr als 48 Stunden zurück. Womöglich entscheidende Zeit war verloren gegangen, weil die Ärzte im sibirischen Omsk den Patienten ursprünglich nicht hatten ziehen lassen wollen, da er nicht transportfähig gewesen sei. Erst am Freitagabend kam der Sinneswandel. Nawalny könne, wie von seinen Angehörigen gewünscht, zur Behandlung nach Berlin gebracht werden. Noch in der Nacht startete das von der privaten Initiative "Cinema for Peace" gecharterte Rettungsflugzeug.

Nawalnys Frau geht davon aus, dass ihr Mann Opfer eines Giftanschlags geworden ist. Die Ärzte in Omsk hatten angeblich keine Vergiftung feststellen können und von einer Stoffwechselerkrankung gesprochen. "Ich hoffe, dass alle diejenigen, die zur Klärung dieser Frage etwas beitragen können, dies tatsächlich tun", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

"Der große Erfolg wird jetzt bei den Ärzten liegen müssen"

Über den Gesundheitszustand Nawalnys wurde zunächst nicht viel mehr bekannt, als die dürre Mitteilung von "Cinema for Peace". Nach der Ankunft Nawalnys hatte sie dessen Zustand als stabil bezeichnet und betont, das sei auch während des Fluges so gewesen. Für seine Sprecherin Jarmysch war das ein weiterer Hinweis dafür, dass die Verlegung nach Berlin ohne medizinischen Grund hinausgezögert wurde. "Ich hoffe, dass diese für nichts und wieder nichts vergeudete Zeit Alexej nicht das Leben kosten wird", meldete sich der russische Oppositionelle Ilja Jaschin zu Wort.

Die Vermutung, die Verzögerung habe verhindern sollen, dass noch Gift im Körper Nawalnys nachgewiesen werden kann, wies Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow zurück. Dass seine russischen Ärzte ihn zunächst nicht ausfliegen lassen wollten, sei eine rein medizinische Entscheidung gewesen.

Zusammengebrochen war Nawalny am Donnerstag während eines Fluges vom sibirischen Tomsk nach Moskau. Zunächst hatte er über Unwohlsein geklagt und dann das Bewusstsein verloren. Davor soll er nur eine Tasse Tee zu sich genommen haben. Die Maschine landete in Omsk, wo Nawalny ins Krankenhaus gebracht wurde. Der 44 Jahre alte Antikorruptionskämpfer ist der wohl populärste Oppositionelle Russlands und ein Mann, auf dessen Gesundheit es auch in der Vergangenheit schon Anschläge gegeben hat. Oberstes Ziel seiner Frau Julia war es daher, ihren Mann so schnell wie möglich zur Behandlung in den sicheren Westen zu bringen.

Vor dem Flug war Nawalny offenbar unter ständiger Beobachtung gewesen. Die Zeitung Moskow skij Komsomolez veröffentlichte unter Berufung auf "Sicherheitskreise" eine Art Bewegungsprotokoll. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten hatte, Nawalny in Deutschland behandeln zu lassen, nahmen Mitstreiter des Oppositionellen Kontakt mit dem Kanzleramt auf. Kontaktiert wurde auch der Gründer von "Cinema für Peace", der Filmproduzent Jaka Bizilj. Er hatte vor zwei Jahren schon Pjotr Wersilow, Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot, nach einer Vergiftung zur Behandlung in der Charité nach Berlin geholt. Auch diesmal organisierte Bizilj einen Rettungsflieger. Er habe der Crew "Anweisung gegeben, dass sie nicht ohne Nawalny zurückkehren", berichtete Bizilj am Samstag vor der Charité. Er sei froh, dass es schließlich gelungen sei, den deutschen Ärzten Zugang zu Nawalny zu verschaffen und nach Stunden der Verzögerung auch die Erlaubnis zu bekommen, Nawalny nach Berlin zu transportieren. "Der große Erfolg war nicht, dass wir ihn ausgeflogen haben", sagte Bizilj. "Der große Erfolg wird jetzt bei den Ärzten liegen müssen."

© SZ vom 24.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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