US-Kongress:Jung, links und nicht zum Spielen aufgelegt

Democratic congressional candidate Alexandria Ocasio-Cortez speaks at her midterm election night party in New York City

Alexandria Ocasio-Cortez spricht auf ihrer Wahlparty im November.

(Foto: REUTERS)

Alexandria Ocasio-Cortez ist noch nicht im Amt und bringt bereits den Politikbetrieb in Washington durcheinander - dabei lässt die 29-jährige Abgeordnete nicht nur konservative Trolle schlecht aussehen.

Von Beate Wild, Austin

Alexandria Ocasio-Cortez ist nicht nach Washington gekommen, um Rücksicht zu nehmen - nicht auf den politischen Gegner, nicht auf hämische Journalisten und auch nicht auf Gepflogenheiten der eigenen Partei. Wie konsequent die junge Demokratin ihren Kurs verfolgt, war während der einwöchigen Orientierung für alle neuen Kongressabgeordneten zu besichtigen.

Ocasio-Cortez machte gleich klar, dass sie sich nicht langsam in bestehenden Strukturen hocharbeiten möchte. Bereits durch ihren Vorwahl-Sieg gegen Amtsinhaber Joe Crowley, der immerhin 20 Jahre für die Demokraten im Repräsentantenhaus saß, hätte das Partei-Establishment gewarnt sein können. Die Vertreterin der "Democratic Socialist", dem linken Flügel der Demokraten, will schnell etwas bewegen - vor allem in ihrer Partei, und das in Richtung radikalerer Lösungen für die amerikanische Misere.

Sie werde auch als Politikerin weiter mit Aktivisten zusammenarbeiten, kündigte sie an. Und sie setzt auf neue Strategien: Radikale Offenheit und Transparenz. Beides zelebriert sie - wo sonst - vorwiegend im Internet. Weit über eine Million Anhänger hat sie bei Instagram, mehr als 1,5 Millionen auf Twitter. Alles, was Ocasio-Cortez während der Orientierungswoche erlebte, teilte sie live und direkt mit ihren Followern - und kritisierte gleich, dass einer der Workshops von der Investmentbank Goldman Sachs veranstaltet wurde.

Live-Fragestunde und nebenbei Nudeln kochen

"Wo ist die Arbeiterklasse?", fragte sie vorwurfsvoll. Und als eine Gruppe Demonstranten das Kongress-Büro von Fraktionsführerin Nancy Pelosi besetzte, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren, machte Ocasio-Cortez spontan mit.

Mit solchen Auftritten ist Ocasio-Cortez gerade dabei, neben besagter Pelosi zur bekanntesten Demokratin zu werden. Wenn sie in Livevideos Fragen - nicht nur zu politischen Themen - beantwortet, steht sie dabei schon einmal in der Küche und kocht nebenher Nudeln. Titel der Veranstaltung: "Live Cook + Q&A" (Live-Kochen und Fragerunde). In den sozialen Netzen folgen ihr mehr Leute als den anderen 60 Kongress-Neulingen zusammen. "Liebenswert" und "erfrischend" sei es, der 29-Jährigen zuzuschauen, so der Tenor ihrer Follower.

Ihre Nahbarkeit entwickelte sich bereits kurz nach ihrer Kandidatur-Ankündigung im April 2017 zum wichtigen Faktor. Ihre Botschaft wurde weit über die Grenzen ihres Wahlbezirks, den New Yorker Stadtteilen Bronx und Queens, gehört. Eine Millennial, die andere Millennials veranlasst, sich für Politik zu interessieren. Und nebenbei Prominente wie Filmstar Leonardo DiCaprio dazu bringt, ein Social-Media-Filmchen zum Klimawandel mit der New Yorker Aktivistin zu posten.

Diese Prominenz hat ihr auch Kritik eingebracht, vor allem im konservativen Lager. Gerne behaupten ihre Gegner, die 29-Jährige sei nicht die materiell gebeutelte Kellnerin, als die sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert, sondern in Wahrheit durchaus wohlhabend. Als Beleg dafür wird dann die schicke Kleidung der Politikerin angeführt - dabei gehört die einfach zum Dresscode Washingtoner Volksvertreter.

Von der Kellnerin zur Kongressabgeordneten

Vor kurzem twitterte Eddie Scarry, konservativer Journalist des Washington Examiner, ein Foto der 29-Jährigen und schrieb dazu: "Ich sag euch was: dieses Jacket und dieser Mantel sehen nicht aus, als würden sie einem Mädchen gehören, das sich abkämpfen muss". Kurz darauf schlug Ocasio-Cortez auf Twitter zurück. Als der Journalist daraufhin seinen Tweet löschte, trat sie noch einmal nach: "Oh, denkt Eddie Scarry etwa, er kann seine Frauenfeindlichkeit ohne eine Entschuldigung löschen?"

Als sie der ehemalige Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee, auf Twitter kritisierte, erwiderte sie trocken: "Überlassen Sie die falschen Aussagen Sarah Huckabee [seiner Tochter und Pressesprecherin des Weißen Hauses, Anm. d. Red.]. Sie ist darin viel besser. Außerdem, Sie sind schon seit mehr als zehn Jahren kein Gouverneur mehr in irgendeinem Bundesstaat."

Progressive US-Medien feiern Ocasio-Cortez, was manchmal erstaunliche Vergleiche zeitigt. Erinnert sie mit ihren schwarzen, im Nacken zusammengebundenen Haaren und ihrem roten Lippenstift nicht an die Malerin und linke Aktivistin Frida Kahlo, fragen schon mal Online-Frauenmagazine wie Refinery29. Und Lifestyle-Zeitschriften wie Teen Vogue oder New York Magazine legen den Leserinnen begeistert ihren Lippenstift (Farbton "Beso", spanisch für Kuss) ans Herz.

Dem Vergleich mit Frida Kahlo würden auch konservative Kanäle wie Fox News zustimmen, war die mexikanische Malerin doch überzeugte Kommunistin. Der Nachrichtensender begleitet Ocasio-Cortez mit beinahe fanatischer Aufmerksamkeit und macht sie zum Symbol dafür, dass die Demokraten den Verstand verloren haben. Eine Linksextremistin sei sie, ja eine Neo-Kommunistin mit dem Ziel, die USA in ein zweites Venezuela zu verwandeln.

Als Polit-Neuling bietet die 29-Jährige auch genügend Angriffsfläche. Etwa als sie bei einer Frage nach Israel von "der Besetzung Palästinas" sprach. Und ihre Behauptung, im Pentagon gingen wegen eines Buchhaltungsfehler 21 Billionen Dollar ab (genug, um eine Krankenversicherung für alle zu finanzieren), erwies sich ebenfalls als Falschinformation.

Wichtiges Projekt ist der "Green New Deal" gegen den Klimawandel

Dennoch entspricht der Aufstieg der Latina, deren Eltern aus Puerto Rico stammen und die in der Bronx aufgewachsen ist, durchaus dem amerikanischen Traum: Von der Einwanderertochter und Kellnerin zur Kongressabgeordneten, eine solche Karriere ist selten in der Politik, die inzwischen vorwiegend eine Sache der Gutbetuchten ist.

Allerdings täuscht diese Erzählung darüber hinweg, dass Ocasio-Cortez keine völlige Quereinsteigerin ist. 2011 hat sie ihren Abschluss in Wirtschaft und Internationalen Beziehungen an der Boston University gemacht. Sie war Praktikantin beim inzwischen verstorbenen Senator Ted Kennedy und hat Bernie Sanders 2016 im Wahlkampf unterstützt. Sanders inspirierte auch ihre politische Agenda: Wie Sanders fordert Ocasio-Cortez eine Krankenversicherung für alle Amerikaner, ein gebührenfreies Universitätsstudium, einen gesetzlichen Mindestlohn und die Abschaffung der Grenzschutzbehörde ICE.

Ihr wichtiges Projekt ist aber der "Green New Deal", ein Maßnahmenpaket gegen den Klimawandel. Der von ihr wiederbelebte Plan sieht vor, die USA bis 2035 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umzustellen. Vergleichbar sei das nur mit dem Marshall-Plan nach dem zweiten Weltkrieg, diktierte sie Reportern in die Blöcke. "Wir müssen wieder in die Entwicklung, Herstellung, Bereitstellung und Verteilung von Energie investieren, diesmal jedoch mit grüner Energie", so Ocasio-Cortez.

Einige progressive Abgeordnete unterstützen das Vorhaben. Ihre Forderung, dafür ein 15-köpfiges Komitee im Repräsentantenhaus zu installieren, stößt allerdings auf deutlich reservierte Reaktionen.

Darin zeigt sich der Zwiespalt, der Ocasio-Cortez begleiten wird. Mit ihrem Star-Appeal und Charisma kann sie die Botschaft der Demokraten einem Massenpublikum nahebringen. Doch eigentlich möchte sie eine radikalere Politik als die Fraktion und sich von der Parteimitte abgrenzen. Ego, Idealismus, Radikalismus und der Zwang zur parteilichen Geschlossenheit treffen aufeinander. Und 2020 wartet nichts anderes als eine Schicksalwahl, in der die Demokraten das Weiße Haus zurückerobern wollen.

Ein Verdienst kann ihr in dieser Hinsicht niemand mehr nehmen: Sie hat der nach dem Wahlsieg Donald Trumps paralysierten Partei einen kleinen Euphorieschub verpasst. Und wie 2016 schon Bernie Sanders spricht sie die so dringend benötigten Millennials an - nur ist Ocasio-Cortez selbst eine von ihnen.

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