Alexander von Humboldt:Er wird als Vorbild dringend gebraucht

Der zweite Entdecker Amerikas - 250 Jahre Alexander von Humboldt

Der zweite Entdecker Amerikas: Der zeitgenössische Stich zeigt Alexander Freiherr von Humboldt (2.v.r) mit den deutschen Dichtern Johann Wolfgang von Goethe (r) und Friedrich Schiller (l), sowie Wilhelm (2.v.l) in Jena.

(Foto: dpa)

Der universalistische Naturforscher Alexander von Humboldt verstand die Welt als unteilbares Ganzes. In einer Zeit, in der Fakten dreist geleugnet werden, fehlt das sehr.

Ein Kommentar von Kia Vahland

Mit Nationalhelden tun sich Deutsche gewöhnlich schwer. Frühere Staatsmänner scheiden oft als Vorbilder aus, zu obrigkeitsstaatlich, zu antidemokratisch. Also die Dichter und Denker der Goethezeit? Ja, aber die wurden von den Nationalsozialisten missbraucht. So musste der weltreisende Naturforscher Alexander von Humboldt für Hitlers brutale Expansionspolitik herhalten. Den Mann der späten Aufklärung aber wollen die Deutschen sich nun nicht länger nehmen lassen. Der Dichter Hans Magnus Enzensberger bewirbt seine Schriften; Biografien und Romane über Humboldt sind Bestseller. Und das wichtigste Museumsprojekt der Nation, das Berliner Humboldt-Forum, heißt nach Alexander und dessen Bruder Wilhelm.

Anlässlich des 250. Geburtstags Alexanders an diesem Samstag reiste kürzlich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Humboldts Spuren nach Ecuador. Der 1769 geborene Berliner hat es zum neuen deutschen Vorbild gebracht: ein Kosmopolit, ein nimmermüder Fragensteller, der die Welt verstehen wollte, vom Bergbau über Botanik und indigene Sprachen bis zur Klimakunde.

Humboldt ist dabei vor allem Sehnsuchtsfigur. Das Wissen, das der Universalist in seinem Leben aufsog, verteilt sich längst auf Hunderte Disziplinen. Niemand könnte noch behaupten, die Geologie, die Biologie und Chemie, die Ethnologie, die Altamerikanistik, die Meteorologie zu überblicken. Viel mehr Wissen als damals ist gesichert und vor allem ist viel mehr allgemein zugänglich, nicht nur in den inzwischen öffentlichen Bibliotheken, Archiven, Museumsdepots, sondern auch im Internet. Nur: Wirkt dieses Wissen auch besser als früher, ist die Welt dadurch vernünftiger geworden?

Zweifel sind angebracht. Die Autorität der Expertise schwindet. Während des Mittelalters galten die Kenntnisse der Kirche, machtbewusste Könige unterwarfen sich diesem sakrosankten Wissensstand. Renaissancefürsten schmückten sich mit Hofphilosophen, später prägten Wissenschaftler die Staatsräson. Heute leugnet der US-Präsident die Erderwärmung, obwohl ihm fast alle Fachleute widersprechen. Forscher warnen, wie verheerend das Artensterben ist, wie Kriege ganze Gesellschaften traumatisieren, welche Risiken Atommüll birgt. Nichts davon bleibt geheim. Abhilfe aber ist keine in Sicht. So immens das Wissen gewachsen ist, so unverständlich ist seine Entwertung.

Deswegen können sich gerade alle auf Alexander von Humboldt einigen. Nicht, weil er ist wie wir, sondern weil er im Gegenteil nicht trennte zwischen Verstehen und Handeln, Natur und Mensch, Ratio und Leidenschaft, Ökonomie und Ökologie. Das ist heute unerreicht.

Frei von den Widersprüchen seiner Epoche war der Forscher dabei nicht

Alles floss ein in seine Utopie einer immer besser werdenden Welt. Humboldt erkannte, wie Abholzung den Boden zerstört und Knechtschaft die Humanität; er wusste, dass der Mensch vom Klima abhängig ist und dieses aber nicht sein ganzes Wesen, gar einen vermeintlichen Volkscharakter prägt - weswegen ein Europäer in den Tropen zurechtkommt und eine Afrikanerin in den USA. Er erkannte, dass die Vulkane in Italien ebenso Feuer spucken wie die in Südamerika, dass Steine Steine sind und Menschen Menschen, egal wo sie sich befinden. Vom Handel, von Kommunikation, auch von technischem Know-how versprach er sich Inspiration und grenzenlosen Fortschritt.

Frei von den Widersprüchen seiner Epoche war der Forscher dabei nicht. Er zollte den Naturkenntnissen südamerikanischer Ureinwohner Respekt, probierte ihre Baumrindenrezepte und entwendete doch ihre heiligen Gebeine. Ganz Aufklärer wetterte er gegen das Überlegenheitsgehabe der Missionare und befand: "Das geheiligte Recht der Gleichheit wird die Menschen glücklicher und besser machen." Trotzdem quartierte er sich einmal bei einem Sklavenhändler ein. Ist er deswegen, wie er neuerdings auch manchmal gesehen wird, ein typischer Vertreter des Kolonialismus, ein weißer alter Mann von begrenztem Horizont?

Welch ein Gegengift könnte diese mit Leidenschaft gepaarte Akribie heute sein

In diesem Vorwurf schwingt die Anmaßung mit, die Jetztzeit wäre der Vergangenheit moralisch absolut überlegen, was sie, siehe Erderwärmung und Artensterben, nicht ist. Humboldt war Visionär und Mann seiner Zeit zugleich. Wer ihn vorschnell aburteilt, beraubt sich der Chance, von seinem Universalismus zu lernen und diesen nach heutigem Wissen und Gewissen zu erweitern.

Seine Begeisterung für die Insekten, Blätter, Flüsse des Regenwaldes etwa: Welch ein Gegengift könnte diese mit Leidenschaft gepaarte Akribie heute sein, im Einsatz gegen den Geist maximaler Ausbeutung, der Amazonien lodern lässt. Wie viel stärker wäre eine derart umfassende Naturkunde, würde sie sich, mehr als es Humboldt möglich war, auch aus dem Wissen der Indigenen speisen. Mit den Bäumen sterben sonst bald auch sie und ihre Ideen einer beseelten Natur, in der alles mit allem zusammenhängt und Destruktion und Verachtung sich rächen, während es sich lohnt, Energien auch von Andersdenkenden auf- und ernstzunehmen.

Ein solch wirklich vernetztes Wissen, gepaart mit Verantwortungsgefühl für das Weltganze, müsste politische, ökonomische, lebensweltliche Folgen haben. Es müsste die identitäre Ideologie entkräften, die behauptet, einzelne Länder könnten sich abschotten, weil sie ihre Privilegien verdient hätten. Es müsste das Wirtschaften dem Primat der Verträglichkeit unterwerfen, müsste Ansprüche stellen, die gehört und umgesetzt werden, von Bürgern wie Politikern. Das wäre radikal.

Vielleicht wollen die Deutschen, wenn sie von Humboldt träumen, endlich ein Vorbild haben, das man bewundern kann - wie die Italiener Leonardo da Vinci oder die französischsprachige Welt Jean-Jacques Rousseau. Vielleicht aber wollen manche von ihnen auch mehr: einen tatkräftigen, wissensgetränkten Universalismus, wie ihn Alexander von Humboldt verkörpert.

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