Süddeutsche Zeitung

Alexander Dobrindt:Politischer Giftzwerg oder kühler Stratege?

Das Treffen der Spitzen der Koalitionsfraktionen auf der Zugspitze ist für den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ein Heimspiel. In Berlin aber fragen sich viele, was diesen Mann zu seinen ständigen Provokationen treibt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Für Alexander Dobrindt schließt sich an diesem Montag ein Kreis. Genau an der Stelle, an der er vor mehr als zehn Jahren das erste Mal bundesweit wahrgenommen wurde, kann Dobrindt jetzt allen zeigen, dass er ganz oben in der Bundespolitik angekommen ist.

Am Mittag treffen sich die Spitzen der Koalitionsfraktionen auf der Zugspitze zu ihrer ersten Klausur seit der Bundestagswahl. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt ist der Gastgeber, Deutschlands höchster Berg liegt in seinem Wahlkreis. Zum Auftakt wollen sich Volker Kauder (CDU), Andrea Nahles (SPD) und Dobrindt gemeinsam auf der Panoramaterrasse der Bergstation präsentieren. Dank der Kulisse dürften es die Bilder von den drei Chefs in alle Nachrichtensendungen schaffen. Und so mancher wird sich daran erinnern, dass Alexander Dobrindt hier schon einmal einen Auftritt hatte.

Anfang 2007 war der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber in der CSU in Bedrängnis geraten. Eine Gruppe junger Abgeordneter wollte ihn unterstützen. Dobrindt und vier Mitstreiter fuhren auf die Zugspitze und entrollten ein Plakat "Bayerns Spitze - Edmund Stoiber". Das Bild schaffte es in die Zeitungen. Stoiber stürzte später zwar trotzdem, aber viele hatten zum ersten Mal Dobrindt vor Augen.

Dobrindt hat eine "Boygroup" um sich geschart

Inzwischen dürfte es kaum noch jemanden geben, der Dobrindt nicht kennt. Trotzdem fragen sich immer noch viele, warum er so auftritt, wie er auftritt. Auch Horst Seehofer, Andreas Scheuer oder Markus Söder kämpfen durchaus rabiat für die Interessen der CSU. Aber keiner agiert öffentlich derart unnahbar und hart wie Dobrindt. Dabei hat er seit vielen Jahren ein erstaunlich gutes Verhältnis zu Andrea Nahles. Und im persönlichen Umgang gehört Dobrindt eher zu den leisen und aufmerksamen Politikern. Trotzdem beginnt er beinahe wöchentlich ein neues Scharmützel. Dobrindt gilt als politischer Giftzwerg der großen Koalition. Will der Mann gar nicht beliebt sein?

In der CDU erklären sich einige Dobrindts ungewöhnliches Auftreten auch mit der "Boygroup", die er um sich geschart habe. Dobrindts Team sei bei den Koalitionsverhandlungen ziemlich abgeschottet aufgetreten, sagt einer aus dem Konrad-Adenauer-Haus, der dabei war. Die Mitarbeiter von SPD und CDU seien sich bei den langen Verhandlungen näher gekommen, Dobrindts Boygroup sei dagegen unter sich geblieben, habe sich gegenseitig "aufgeputscht" und an der Härte der CSU-Verhandler erfreut. Wer in so einer selbstgeschaffenen Blase arbeite, bleibe anderen fremd - erst recht, wenn man wie Dobrindt ohnehin zur Vorsicht neige und kaum jemandem vertraue, heißt es bei der CDU. Wie weit Alexander Dobrindt bei den Koalitionsverhandlungen gegangen ist, konnte man schon daran erkennen, dass nicht nur die Sozialdemokraten genervt von ihm waren, sondern sich auch gestandene Christdemokraten wie Volker Bouffier und Thomas de Maizière über ihn beklagten.

Schon als Generalsekretär hat sich Dobrindt auf einen kleinen, eingeschworenen Kreis verlassen. In dieser Zeit waren das Bernhard Schwab und Hans Michael Strepp, damals Hauptgeschäftsführer der CSU beziehungsweise Leiter des Planungsstabs. Der Erfolg gab Dobrindt recht. Am Ende des von ihm organisierten Landtagswahlkampfs 2013 hatte die CSU die absolute Mehrheit in Bayern zurückerobert.

Heute gehören zu Dobrindts Truppe seine Sprecher Sebastian Hille und Martin Susteck, aber auch Benedikt Kuhn, der den Strategiestab in der Landesgruppe leitet, oder Dobrindts Büroleiter Nikolaus Oberkandler. Dobrindt hat alle aus dem Verkehrsministerium in die Landesgruppe mitgebracht.

"Wenn Dobrindt sich abkapselt, dann vorsätzlich - nicht aus irrationalen Gründen; er will sein Ding durchsetzen, da lässt er sich durch nichts und niemanden davon ablenken", sagt ein Hierarch aus der CSU-Zentrale, der ihn lange kennt. Und seine Erfolge würden doch für ihn sprechen.

Auch diesmal ist Dobrindt nicht als Verlierer vom Platz gegangen. Er war zusammen mit Seehofer Chefverhandler der CSU bei den Gesprächen über eine neue Koalition. Dabei hat er für Seehofer oft und erfolgreich den Terrier gegeben. Die Flüchtlingspolitik hat Dobrindt für seine Partei am Ende sogar praktisch im Alleingang verhandelt - und sich dabei fast vollständig durchgesetzt. Auch in den ersten Wochen der neuen Regierung hat er noch keine Niederlage einstecken müssen. Seehofer hat Dobrindt deshalb in einer CSU-Vorstandssitzung beinahe euphorisch gepriesen. In der Bundesregierung heiße es immer öfter: "Da wird der Dobrindt nicht mitmachen, da brauchen wir gar nicht erst damit anfangen", sagte Seehofer. Das zeige die Stärke des Landesgruppenchefs und dessen Bedeutung für die CSU.

Von außen betrachtet hat Dobrindts Boygroup manchmal etwas Missionarisches. Das sei aber auch kein Wunder, findet Dobrindt, wenn man ihn darauf anspricht. Er polarisiere deutlich mehr als andere; wer für ihn arbeite, habe es gegenüber Andersdenkenden deshalb nicht einfach. Um das hinzunehmen, müsse man von der gemeinsamen Mission überzeugt sein. Er rede deshalb viel mit seinem Team, der Zusammenhalt sei tatsächlich sehr eng.

Aber all das erklärt bestenfalls den Stil, mit dem Dobrindt auftritt - aber noch nicht die Positionen, für die er ficht. Was treibt Dobrindt dazu, beinahe wöchentlich mit neuen Provokationen um den rechten Rand zu werben? Er hat erklärt, es gebe keine einzige Form des Islam, die zu Deutschland gehöre. Er hat eine "konservative Revolution" gefordert. Und jetzt beklagt er, dass es in Deutschland eine "aggressive Anti-Abschiebe-Industrie" gebe.

Er zeigte mit Schaubildern auf, wie viel Raum die Union rechts entstehen lasse

Wer mit CSU-Abgeordneten spricht, bekommt immer dieselbe Einschätzung: Dobrindt mache derlei nicht aus einer Laune heraus, bei ihm sei alles Kalkül. Seine Provokationen habe er sich nach langem Abwägen zurechtgelegt. Ihm gehe es um den Erfolg der CSU, Ärger mit den Koalitionspartnern oder gesellschaftliche Kollateralschäden nehme er dafür in Kauf. Natürlich hofft Dobrindt aber auch, dass ihm seine ständigen Attacken und seine Bereitschaft, den Unbeliebten zu geben, in der eigenen Partei irgendwann vergolten werden. Bisher fehlt ihm ja noch eine Hausmacht. Den Bezirksvorsitz in seiner Heimat Oberbayern versperrt ihm Ilse Aigner.

Dobrindt hatte bereits in seiner Zeit als Generalsekretär vor einer zu starken Fokussierung auf die Mitte gewarnt. In Wildbad Kreuth zeigte er mit Schaubildern auf, wie viel Raum die Union rechts entstehen lasse. Dobrindt glaubt, dass viele - auch in der CDU - die Verhältnisse bei wichtigen Themen immer noch falsch einschätzen. Dass sich jetzt sogar die Mehrheit der bayerischen SPD-Anhänger in einer Umfrage für Söders Kreuz-Vorstoß ausgesprochen hat, wird ihn in dieser Ansicht bestärken.

Dobrindt glaubt, dass auch wegen seiner deutlichen Botschaften viele Bürger, die sich von den etablierten Parteien verabschiedet haben, der CSU jetzt wenigstens wieder zuhören. Es gebe wieder einen Gesprächskanal, findet er. Jetzt müsse man es schaffen, über diesen Kanal die verlorenen Wähler auch wieder von der CSU zu überzeugen. Dobrindt verweist darauf, dass die Umfragewerte für die CSU wieder steigen, die Partei liege bei 41 bis 44 Prozent. Der Weg stimme. Und bis zur Landtagswahl habe man ja noch Zeit.

Die Werte für die CSU sind angesichts der Umstände tatsächlich nicht schlecht. Bisher sieht es allerdings so aus, als ob das rigide Auftreten Dobrindts und seiner CSU zwar die Amtskirchen verärgert, liberale Muslime verprellt, Ressentiments gegenüber Europa verstärkt und manches mehr - die AfD aber trotzdem nicht eindämmt. Die Rechtspopulisten liegen in der jüngsten Umfrage zur Landtagswahl immer noch bei zwölf Prozent. Auch in Dobrindts eigenem Wahlkreis am Fuß der Zugspitze ist die Bilanz der CSU nicht gerade berauschend. Dort wurde die AfD bei der Bundestagswahl sogar zweitstärkste Partei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3969770
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.05.2018/khil
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.