Süddeutsche Zeitung

Konzerngeschichte:Aldi - das Supermarktmysterium vor der Haustür

Guido Knopp bemüht sich um ein Aldi-Gesamtbild - spielt dabei aber häufig mit den Klischees von Geheimniskrämerei und Knausrigkeit. Es ist ein Buch, gelungen wie eine gut abgehangene ZDF-History-Doku.

Rezension von Christoph Koopmann

Über die Brüder Theo und Karl Albrecht ist hinlänglich bekannt, dass so gut wie nichts über sie bekannt ist. Dass der Historiker Guido Knopp über sie und ihre Discounterkette Aldi ein Buch von ganzen 352 Seiten geschrieben hat, darf schon aus diesem Grund als bemerkenswert gelten. Aber man kann sich über die Themenwahl auch wundern, weil Guido Knopp bisher unter anderem Bücher über Hitler, Hitlers Helfer, Hitlers Krieger und Hitlers Frauen geschrieben hat (eine gewisse Weltkriegsfixierung ist ja auch seiner TV-Sendung ZDF History nachgesagt worden).

Man sollte aber fairerweise nicht verschweigen, dass Knopp auch mal über den Vatikan, den Südpol und sich selbst geschrieben hat. Nun also Aldi. Allein wirtschaftspsychologisch ist das natürlich nachvollziehbar: Für Geheimnisvolles wie Ufos, den Yeti und das Monster von Loch Ness interessieren sich die Leute ja auch seit Jahrzehnten mit kurioser Ausdauer. Warum sie also nicht locken mit der Verheißung, ein bisschen mehr zu erfahren über das Supermarktmysterium direkt vor der Haustür?

Dabei spielt Guido Knopp allerdings schon aufreizend häufig mit den Aldi-Klischees von Geheimniskrämerei und Knausrigkeit. Gleich zum Einstieg präsentiert er beispielsweise die Anekdote, wie sich angeblich selbst die beiden Männer, die Theo Albrecht 1971 in seinem Mercedes entführten, zunächst von ihrem Opfer den Ausweis zeigen ließen. Sein Gesicht kannte schließlich kaum jemand, außerdem soll es den Entführern verdächtig erschienen sein, dass ein Multimillionär sein Auto einfach so am Straßenrand vor der Firmenzentrale parkt und sich keinen Chauffeur leistet, sondern selbst fährt.

Die Ausführungen über die Entführung sind auch die detailreichsten des Buchs. Dieser Teil der Geschichte ist schließlich durch den Gerichtsprozess und überaus gesprächige Entführer mit am besten dokumentiert. Alles nichts Weltexklusives, aber nach wie vor ziemlich interessant. Im Grunde lässt sich das über das gesamte Werk sagen.

Asketisches Angebot, spottbillig

Es ist eben nicht der erste Versuch, die Firmengeschichte und ihre Geheimnisse zu beleuchten. Und Neues herauszufinden, gestaltet sich nun mal schwierig, wenn kaum jemand etwas erzählen mag oder erzählt hat. Die Albrecht-Brüder sind vor ein paar Jahren gestorben, die kann man nicht mehr fragen, aber selbst zu Lebzeiten wäre das ein eher aussichtsloses Unterfangen gewesen.

Ein ausführliches Interview hat Karl Albrecht immerhin mal gegeben, 2014, kurz vor seinem Tod, in der FAZ. Ansonsten großes Schweigen. So muss sich Knopp auf das wenige verlassen, das die strenge Stillschweigedoktrin bei Aldi irgendwie passiert hat, und auf das, was Ehemalige berichten. Zum Beispiel, dass Theo Albrecht in der wenigen Freizeit, die er sich genehmigte, Schreibmaschinen gesammelt haben soll und Karl jeden Dienstagnachmittag auf dem Golfplatz verschwunden sei (Handicap 9).

Als Kronzeugen dienen Knopp die einstigen Aldi-Manager Eberhard Fedtke, Dieter Brandes und Andreas Straub. Die haben zwar schon längst eigene Bücher über Aldi geschrieben, aber Knopp geht es eher ums Gesamtbild. Und so zeichnet er überaus detailliert nach, wie aus dem 1913 eröffneten, elterlichen Tante-Emma-Laden in der Essener Huestraße 89 eine der größten Supermarktketten der Welt werden konnte. Erst war es ein asketisches Angebot zu niedrigstmöglichen Preisen, später gab's sogar Champagner und Bohrmaschinen in den irgendwann mehr als 4000 Aldi-Filialen, aber immer noch: spottbillig.

Nebenbei räumt Knopp mit ein paar Mythen auf, etwa, dass das Elternhaus der Albrecht-Brüder bitterarm gewesen sei (war es nicht) oder dass sie den Lebensmitteldiscount und den Selbstbedienungssupermarkt erfunden hätten (haben sie nicht). Sie haben abgeguckt und perfektioniert, das war der Trick.

Aber sie hatten noch ein paar andere: Die Aufspaltung in zig Regionalgesellschaften Ende der Sechziger, um die Pflicht zur Offenlegung von Geschäftszahlen zu umgehen; die radikale Preispolitik, die manchen Lieferanten in den Ruin trieb; die auf Druck, Zwang und Kontrolle ausgelegte Führungskultur. Auch diese eher uncharmanten Seiten des Supermarktwunders Aldi behandelt Guido Knopp ausführlich.

Mancher Vergleich holpert ziemlich

Was die Mythenklärung betrifft: Die sagenumwobene Trennung in Aldi Nord und Süd 1961 versucht er natürlich ebenfalls zu beleuchten. Ihm zufolge ist es Quatsch, dass die Albrechts sich im Streit um die Einführung von Kühltruhen oder den Zigarettenverkauf getrennt hätten. Es hätte viel eher am sehr unterschiedlichen Führungsstil der beiden gelegen, dass sie entschieden: besser jeder für sich.

Wenn Knopp aber die Errichtung der Berliner Mauer 1961 beschreibt und im selben Atemzug die "andere deutsche Teilung" bei Aldi ("Sie kam ganz ohne Zäune, Wachtürme und Grenzkontrollen aus"), kann man sich schon fragen, ob das sein musste. Die Expansion über Belgien nach Frankreich vergleicht er mit dem Schlieffenplan, der 1914 denselben Weg für die deutschen Truppen vorsah. So viel zur Weltkriegsfixierung. Apropos holprige Vergleiche: Weil der Discounter als "einfach, vernünftig und zuverlässig" gelte, kommt Knopp zu dem Schluss, Aldi sei "der Berti Vogts unter den Supermärkten".

Trotzdem ist Guido Knopp, den man natürlich niemals den "Berti Vogts unter den Historikern" nennen würde, ein Buch gelungen wie eine gut abgehangene ZDF-History-Doku. Schon für Knopps Geschichtsfernsehen galt ja: Hat man irgendwie alles schon mal gehört, aber hinterher fühlt man sich trotzdem schlauer. Und darum geht's schließlich.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2021/gal
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