Albaniens Krieg gegen Drogen:"Sie haben das Geld, wir haben den Stoff"

Albaniens Krieg gegen Drogen: 2014 beschlagnahmte die Polizei in Albanien knapp über 101 Tonnen Marihuana.

2014 beschlagnahmte die Polizei in Albanien knapp über 101 Tonnen Marihuana.

(Foto: AP)

In Albanien ist eine milliardenschwere Cannabis-Industrie entstanden, in die auch korrupte Polizisten verwickelt sind. Wie das Land dagegen kämpft - und dabei versagt.

Reportage von Elvis Nabolli, Shkodra/Tirana/Bari

Mit hereinbrechender Dämmerung wird der Weg durch die Berge immer tückischer. Mit Gjergji an der Spitze geht es zehn Minuten zu Fuß abseits der Straße hinunter in einen Buchenwald bis zu mehreren kleinen Lichtungen, wo die ersten grünen Triebe einer Cannabiszucht aus der Erde ragen.

Die Plantage liegt in der Nähe eines leeren Hauses, das seiner Familie gehört, inmitten der eindrucksvollen Wildnis der albanischen Alpen nahe der Stadt Shkodra im Norden des Landes. Um sich um sie kümmern zu können, ließ der 21-Jährige seinen Hochschulabschluss sausen.

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Elvis Nabolli arbeitet als Journalist für das albanische Nachrichtenfernsehen in der nördlichen Region Shkodra. Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations, in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network (im Folgenden: BIRN).

"Diese Pflanze braucht viel Pflege. Aber wenn wir es bis zur Ernte schaffen, verdienen wir gutes Geld", meint er. "Ich werde mein Haus in Shkodra renovieren. Und dann gehe ich nach England."

Albanien ist eine der wichtigsten Quellen für Cannabis auf dem Weltmarkt

Gjergji holt leere Fünf-Liter-Flaschen aus einem Versteck in den Büschen und füllt sie mit Regenwasser aus den Pfützen auf dem Waldboden, um die Cannabispflanzen zu gießen.

"Mehr junge Menschen sind hier oben in den Bergen und kümmern sich so wie ich um Cannabisplantagen als unten in der Stadt", erzählt er. Der Erfolg hängt jedoch von einem Faktor ab.

"Es lohnt sich nur, wenn man jemanden bei der Polizei kennt, der einen vor Razzien in der Gegend warnt. Wenn wir es bis zur Ernte schaffen, dann gehören ungefähr 200 von 2000 Pflanzen ihm." Für den korrupten Beamten bedeutet das einen Geldsegen von mehreren zehntausend Euro, sofern die Pflanzen kräftig sind und hoch wachsen.

Das ist die Basis einer milliardenschweren Industrie, die Albanien im Laufe von 25 Jahren zu einer der wichtigsten Quellen für Cannabis auf dem Weltmarkt gemacht hat, gleichauf mit Ländern wie Kolumbien, Jamaika, den Niederlanden und Paraguay.

Nachdem 2013 ein Machtwechsel stattgefunden hatte, erklärte die neue sozialistische Regierung unter dem Künstler und Politiker Edi Rama im darauffolgenden Jahr den Cannabiszüchtern mit der fünftägigen Erstürmung eines berüchtigten Drogennestes nahe der südlichen Landesgrenze zu Griechenland den Krieg.

Damals, 2014, beschlagnahmte die Polizei knapp über 101 Tonnen Marihuana, was in etwa der Gesamtmenge in den neun Jahren davor entspricht. Knapp über eine halbe Million Cannabispflanzen wurden zerstört. Im darauffolgenden Jahr waren es bereits 800 000, und in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 vernichtete die Polizei laut eigenen Angaben mehr als doppelt so viel - nämlich 2,1 Millionen Pflanzen.

Die Regierung Ramas sieht in diesen Zahlen den Beweis dafür, dass man nun, nach Jahren der Straffreiheit während der Amtszeit ihrer demokratischen Erzfeinde, im Begriff ist, den Krieg zu gewinnen.

Eine Untersuchung für das Balkan Fellowship for Journalistic Excellence skizziert jedoch ein differenzierteres Bild: Unbeirrt von diesen Entwicklungen haben sich die Züchter in abgelegene Bergregionen verstreut; Schmuggler brüsten sich mit dem Polizeischutz, den sie genießen; italienische Ermittler staunen ob der Raffinesse der albanischen Verbrecherbanden; und in Europa und den Vereinigten Staaten ringen Regierungen die Hände, angesichts des schieren Unvermögens ihres Nato-Partners, mit Ausnahme der Handlanger auch nur irgendjemanden zu verhaften oder anzuklagen.

Hartnäckige Armut untergräbt unterdessen jegliche Bemühungen, Cannabisbauern davon zu überzeugen, dass sie eine Alternative haben.

"Kriminelle Organisationen lernen schnell und können sich rasch den Top-down-Gegenmaßnahmen anpassen", so Jana Arsovska, Dozentin am New Yorker John Jay College of Criminal Justice und Expertin für organisiertes Verbrechen in den Balkanländern.

"Man braucht die Menschen und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, um dieses Problem zu bekämpfen, nicht nur die staatlichen Behörden."

Der Krieg begann in Lazarat

Der Krieg begann in Lazarat, einem Dorf im Süden Albaniens, wo sich im Laufe von 15 Jahren eine europaweit einzigartige Cannabisindustrie entwickelt hatte. Das schwer bewaffnete Dorf war für etwa die Hälfte der Cannabisproduktion Albaniens verantwortlich, d.h. ca. 900 Tonnen jährlich, was einem geschätzten Straßenwert in Europa von 4,5 Milliarden Euro entspricht.

Die Einwohner von Lazarat, die Cannabis ungeniert in ihren Hinterhöfen und auf ihren Feldern anbauten, stimmten regelmäßig für die Demokratische Partei, die zuletzt von 2005 bis 2013 an der Macht war.

Der neue Regierungschef Rama ordnete den Sturz der Cannabisindustrie des Dorfes nach knapp einem Jahr seiner Amtszeit an - nur wenige Tage bevor die Europäische Union darüber entscheiden sollte, ob man Albanien den begehrten Status eines Beitrittskandidaten zuerkennen wollte oder nicht, was dem Land mehr EU-Mittel bringen würde.

Etwa 800 Polizeibeamte, darunter Sondereinsatzkräfte in Panzerfahrzeugen, zogen im Juni fünf Tage lang eine enge Schlinge um das Dorf und gerieten unter Beschuss jener, die entschlossen waren, ihre Ernte zu verteidigen, während sie sich nach und nach zurückzogen und über die Berge flohen. Etwa 130000 Cannabispflanzen gingen in Flammen auf, vier Drogenlabors wurden zerstört und 80 Tonnen Marihuana beschlagnahmt. Dutzende Personen wurden verhaftet.

Laut Rama habe die Polizei "das 20 Jahre alte Tabu einer Zone des Verbrechens, die sich selbst als eigenständige Republik deklarierte und zu einem Schandfleck für Albanien geworden war," zerschlagen. Für seinen Innenminister Saimir Tahiri habe dies die Entschlossenheit der Regierung demonstriert, "den Rechtsstaat in ganz Albanien durchzusetzen".

Über zwei Jahre später sitzen allerdings nur zehn Personen in Haft, in erster Linie, weil sie auf Polizisten geschossen und Cannabis gezüchtet hatten.

"Die albanische Gesellschaft basiert auf einem Sippen- bzw. Freundschaftssystem"

Diese Männer galten weithin als Handlanger einer Operation des organisierten Verbrechens von industriellem Ausmaß, dessen Rädelsführer sich ungehindert davongemacht hatten oder nie vor Ort gewesen waren, wobei Letzteres wahrscheinlicher ist.

In einem von der EU im November veröffentlichten Fortschrittsbericht zu Albaniens Beitrittsgesuch finden die "beachtlichen Drogensicherstellungen und die Zerstörung von Cannabispflanzen" lobende Erwähnung. Allerdings wird auch auf die nach wie vor geringe Anzahl an Verurteilungen hingewiesen. Ermittlungen und Strafverfolgungen würden "die Drogenlieferkette nicht weit genug hinaufreichen."

"Polizei und Staatsanwaltschaft gelingt es nicht, die kriminellen Banden hinter dem Drogenanbau und -handel ausfindig zu machen, und eine effiziente gerichtliche Weiterverfolgung in Strafprozessen ist selten sichergestellt", heißt es in dem Bericht.

Der Fortschrittsbericht des vergangenen Jahres hatte darauf aufmerksam gemacht, dass Finanzermittlungen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche und die Beschlagnahmung von Vermögenswerten "nur unzureichend genutzt" wurden. Zwischen 2010 und 2015 wurden dem Bericht zufolge tatsächlich weniger als 35 Personen der Geldwäsche überführt.

Expertin Arsovska gegenüber BIRN: "Die albanische Gesellschaft basiert auf einem Sippen- bzw. Freundschaftssystem; man wird verhaftet, wenn man weder bei der Polizei noch in der öffentlichen Verwaltung Freunde hat."

"Auch wenn die Regierung vorgibt, das Drogenproblem zu 'bekämpfen', so gibt es gleichzeitig Schwerverbrecher/Drogenhändler, die ungeschoren davonkommen und einer Haftstrafe entgehen."

Der US-amerikanische Botschafter in Tirana, Donald Lu, äußerte sich im September zu diesem Problem und erklärte einer Gruppe von Journalismusstudenten, dass sowohl die derzeitige als auch die vorherige Regierung "ein Problem mit dem Rauschgifthandel haben und es Politiker gibt, die von ihren Verbindungen zu Drogenhändlern profitiert haben".

"Wir wissen, dass es mehrere Parlamentsmitglieder und Bürgermeister in Albanien gibt und es auch Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters gegeben hat, die wegen Drogenhandels in EU-Mitgliedsstaaten verurteilt wurden", mahnte er seine Zuhörer.

BIRN bat um ein Interview mit dem Innenministerium und sandte per E-Mail Fragen bezüglich des Problems der Polizeikorruption und der Anschuldigungen, der Staat habe die Drahtzieher hinter der Cannabisindustrie nicht ins Visier genommen, bekam jedoch keine Antwort. BIRN ersuchte ebenfalls um Stellungnahme seitens der Staats- und Grenzpolizei, erhielt aber auch hier keine Reaktion.

"Ohne Verbindungen zu Polizei und Politik ist niemand so forsch"

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Cannabiszüchter in Folge des harten Durchgreifens in Lazarat auf andere Gebiete ausgewichen sind, um die Nachfrage zu befriedigen; sie kultivieren ihre Pflanzen vermehrt auf öffentlichen Böden - in Wäldern oder auf entlegenen Berghängen - und weniger auf Privatbesitz. Dies erschwert es der Polizei nach eigenen Angaben, Plantagen aufzuspüren und zu ermitteln, wem diese gehören.

In einer internen Analyse des Büros des albanischen Generalstaatsanwalts, die den albanischen Medien im Juni auszugsweise zugespielt wurde, heißt es: "In den letzten Jahren hat sich der Cannabisanbau über das ganze Land und in jeder Region verbreitet."

Einem BIRN vorliegenden Auszug aus dem Bericht zufolge würden "Hanfbauern Flächen öffentlichen Eigentums nutzen, hauptsächlich in Wäldern und auf Weideland oder in der Nähe von Wasserquellen und weit weg von Wohngebieten."

Ein Sprecher des Generalstaatsanwalts Adriatik Llalla, der 2012 vom Parlament unter der vorherigen demokratischen Regierung auf diesen Posten berufen wurde, reagierte nicht auf eine Anfrage von BIRN, die Existenz des Berichts und dessen Ergebnisse zu bestätigen.

"Die diesjährige Situation lässt sich aufgrund des enormen Zuwachses an Anbaugebieten nicht mit den vergangenen Jahren vergleichen", sagt Hivzi Bushati, der ehemalige Polizeichef des Sonderkommandos für Nordalbanien, der entlassen wurde, als die Sozialisten die Macht übernahmen und jetzt Mitglied der oppositionellen Demokraten ist.

"Ohne Verbindungen zu Vertretern der Polizei und Politik ist niemand so forsch und unerschrocken, Tausende Cannabispflanzen im ganzen Land zu züchten", erzählt er BIRN in einem Kaffeehaus in Shkodra.

Die Regierung bestreitet, dass die Cannabisproduktion zugenommen hat und Polizeibeamte darin verwickelt sind. Sie weist auch Anschuldigungen der oppositionellen Demokraten zurück, sie mache mit den Schwarzhändlern gemeinsame Sache.

"In der Öffentlichkeit entsteht der falsche Eindruck, dass die Größe der Cannabisanbauflächen zunimmt", sagt Altin Qato, der stellvertretende Generaldirektor der albanischen Staatspolizei bei einer Pressekonferenz im August. "Dem ist aber nicht so, die Polizei ist einfach besser darin geworden, die illegalen Plantagen aufzuspüren und Maßnahmen durchzusetzen."

Das Innenministerium verfüge über keine Hinweise, die Polizeibeamte belasten würden. "Wenn wir Hinweise hätten, würden wir die Verdächtigen verhaften, weil Kollaborateure gleichermaßen zu verurteilen sind wie Züchter." Später, im September, so Qato, seien acht Polizeibeamte entlassen und gegen 21 Ermittlungen aufgenommen worden wegen des Verdachts, ihre Zuständigkeitsbereiche nicht ordnungsgemäß kontrolliert zu haben.

Albanien ist ein fruchtbares Land für Cannabis

Mit durchschnittlich 218 Sonnentagen im Jahr und mehr als ausreichender Wasserversorgung aus den Bergen ist Albanien ein fruchtbarer Boden für Cannabis.

Der kommunistische Diktator Enver Hoxha, der Albaniens Grenzen während der vier Jahrzehnte paranoider stalinistischer Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg abgeriegelt hatte, verbot den Albanern 1946 den Anbau von Cannabis. Zuvor war die Droge für den Freizeitkonsum und als Beruhigungsmittel für Kinder frei im Handel erhältlich gewesen.

Unter Hoxha übernahm der Staat die Kontrolle und baute die Pflanze für den industriellen Export auf dem Gelände der heutigen Fakultät für Landwirtschaft in Kamza an, einer Gemeinde der Region Tirana.

"Es handelte sich um hochwertiges Cannabis", berichtet Ahmet Osja, der letzte Landwirtschaftsminister der Regierungspartei vor dem Fall des Kommunismus 1991-92 gegenüber BIRN. "Die Schweizer schätzten seine hohe Qualität aufgrund der guten Lichtverhältnisse. Es wurde für Arzneimittel, Heilkräuter und zur Herstellung von Tauen und Seilen verwendet."

Das Ende des Kommunismus leitete ein Jahrzehnt ausgeprägter Instabilität ein, mit Unruhen im eigenen Land und bewaffneten Konflikten im benachbarten ehemaligen Jugoslawien. Waffen gehörten zum Alltag, die Politik war zutiefst polarisiert und kriminelle Banden florierten. Albanien, Nato-Mitglied seit 2009, ringt nach wie vor mit dem Erbe der 1990er-Jahre und der Macht fest verwurzelter organisierter krimineller Netzwerke, die sich weit nach Westeuropa erstrecken.

Forscherin Arsovska glaubt, dass die kurzlebigen Bemühungen aufeinanderfolgender albanischer Regierungen seit dem Zusammenbruch des Kommunismus im Kampf gegen den Drogenhandel "mehr aus Ruhmes- und Publicitygründen" erfolgt seien, oft motiviert durch die "Zuckerbrot-und-Peitsche"-Politik der EU gegenüber den Balkanländern, die danach streben, einmal Teil der Gemeinschaft zu werden.

"Generell mangelt es an zuverlässigen, langfristigen institutionellen Vereinbarungen, um das organisierte Verbrechen in Albanien zu bekämpfen", so Arsovska. "Das organisierte Verbrechen lebt in Symbiose mit den staatlichen Institutionen."

"Eine flexible Anpassung ausgehend von einer Analyse der Möglichkeiten, die Antidrogenpolitik der Regierung zu umgehen, ist einer der Gründe, warum es in Kolumbien und Albanien noch immer eine illegale Drogenindustrie gibt, obwohl beide Regierungen einige der Kernorganisationen, darunter die Medellin- und Cali-Kartelle [kolumbianische Drogenkartelle] und die Lazarat-Gruppen zerschlagen haben."

Dem World Factbook des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA ist zu entnehmen, dass es "in Albanien eine eingeschränkte Opium- und eine wachsende Cannabisproduktion" gibt und ethnisch-albanische Drogenhandelsorganisationen "in Europa aktiv sind und sich ausdehnen".

"Ab hier verwenden wir Tiere als Transportmittel"

In Hoti, einem entlegenen Bergdorf an der Grenze zwischen Albanien und Montenegro, deutet ein Schmuggler auf einen schmalen, von Büschen und Bäumen verdeckten Weg.

"Ab hier verwenden wir Tiere als Transportmittel", erklärt er.

"Sobald man sich geeinigt hat, ist die Aufgabe der Polizei einfach. Sie haben nicht mehr die Berge auf dem Radar, sondern überwachen die Gegend in Richtung Skutarisee und geben uns Bescheid, wenn die Straße frei ist, damit wir die Ware sicher an ihren Bestimmungsort schicken können."

"Für den Transport von einem Kilogramm Hanf zahlen wir 50 Euro - das deckt die albanischen und die montenegrinischen Transporteure ab -, ein weiterer Anteil geht an die Polizei, weil es unmöglich ist, irgendetwas ohne ihre Zustimmung zu transportieren", erzählt der Schmuggler BIRN. Transporteure würden Esel verwenden, die mit 50 bis 100 Kilo beladen sind.

"Normalerweise werden nur jene festgenommen, die im Alleingang handeln oder die ihre Kontaktpersonen bei der Grenzpolizei nicht gebührend bezahlen", so der Schmuggler.

In Hoti nimmt einer dieser "Transporteure" in einer Ecke der Terrasse eines Straßencafés Platz. Er sagt, sein Name sei Gezim. "Hier hat jeder Ohren, aber alle tun es", meint er.

Bis zu sieben Jahre Haft stehen auf den Anbau oder Transport von Albanien

Wie andere Transporteure ist er mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut und hat Beziehungen zur Polizei.

"Bis jetzt haben wir maximal 100 Kilo an einem Tag geschafft, die Bezahlung ist immer gleich, 50 Euro pro Kilo. Normalerweise sind wir nachts oder am frühen Nachmittag unterwegs, wenn die Leute beim Essen sind oder schlafen."

"Wenn du das tun willst, dann musst du mit jenen sprechen, die an der Macht sind. Sonst landest du für lange Zeit hinter Gittern."

Nach albanischem Gesetz wird der Anbau oder Transport von Cannabis mit drei bis sieben Jahren Haft bestraft. Gehört man einer organisierten Gruppe an, drohen fünf bis zehn Jahre. Rädelsführer dürfen mit Freiheitsstrafen zwischen sieben und 15 Jahren rechnen.

Von Hoti nach Montenegro finden die Drogen ihren Weg auf dem Landweg über die durchlässigen Grenzen der ehemaligen jugoslawischen Republiken, durch Serbien, Bosnien oder Kroatien, und gelangen schließlich in den Schengen-Raum der EU, zunächst nach Ungarn oder Slowenien.

Andere Schmuggler wählen die direktere Route auf dem See- oder Luftweg von den Westküsten Albaniens zur apulischen Küste in Süditalien. Etwas mehr als 200 Kilometer trennen das albanische Durres von der italienischen Hafenstadt Bari.

"Marihuana aus Albanien wird häufig mit schnellen Motorbooten, auf dem Landweg durch Montenegro, Kroatien und Slowenien oder in kleinen Piper-Flugzeugen transportiert", berichtet ein Ermittler der Guardia di Finanza, der italienischen Finanzpolizei, die für die Bekämpfung von Finanzkriminalität, Schmuggel und Drogenhandel zuständig ist.

"Bei der letztgenannten Methode werfen Schwarzhändler große Mengen an Rauschgift einfach in Apulien ab, wo ihre Helfer am Boden auf sie warten", erzählte der Ermittler BIRN in Bari - unter der Voraussetzung, namentlich nicht genannt zu werden, da er nicht befugt sei, mit Journalisten zu sprechen.

Die von den Schmugglern bevorzugten Piper-Flugzeuge sind leichte, einmotorige Doppelsitzer, die bis zu etwa 500 Kilo transportieren können und eine Reichweite von bis zu 1600 Kilometern haben.

Aus einem Bericht der italienischen Zentraldirektion für Rauschgiftbekämpfung aus dem Jahr 2015 geht hervor, dass die Schmuggler "geheime Routen quer über die Adria" nutzen. Italiens nationale Antimafiabehörde erwähnt ebenfalls in einem Bericht aus dem Jahr 2015, dass eine der beliebtesten Taktiken der Schmuggler darin bestehe, Drogen unter anderen Waren in "umgebauten Anhängern, Lieferwagen oder Pkws" zu verstecken, die den Hafen von Bari passieren.

Den Zahlen der Guardia di Finanza zufolge wurden 2014 etwas mehr als drei Tonnen Cannabis im Hafen beschlagnahmt. Diese Zahl verringerte sich 2015 auf 1,8 Tonnen, jedoch wurde an einem einzigen Tag im Juli 2016 ein zehn Meter langes Boot gestoppt, in dem man 1,2 Tonnen Cannabis mit einem geschätzten Marktwert von 12 Millionen Euro fand.

2006 verhängte Albanien unter dem demokratischen Ministerpräsidenten Sali Berisha ein Verbot für private Schnellboote. Die Regierung nahm damit die Schlepper und Drogenhändler ins Visier - in dem Versuch, die EU zu überzeugen, die Visabestimmungen für Albaner zu lockern. Kurz vor der Parlamentswahl, bei der Berisha seinem Kontrahenten Rama unterlag, lief das Moratorium aus und ist seitdem nicht mehr erneuert worden.

In Ermangelung eines eigenen Überwachungssystems traf Albanien im August 2012 mit Italien eine Vereinbarung, der zufolge die italienische Polizei Luftaufnahmen von Gebieten macht, in denen Cannabis angebaut wird. Die Bilder werden an die Universität von Neapel geschickt, wo Experten die Anzahl der Cannabispflanzen ermitteln.

Laut Angaben der Guardia di Finanza wurden 2014 auf Überwachungsflügen 815 Plantagen mit geschätzten 165 000 Cannabispflanzen identifiziert, wobei nur etwa 15 Prozent des albanischen Hoheitsgebiets überfolgen wurden. 2015 entdeckte man 1200 Plantagen mit ungefähr 243 000 Pflanzen, ebenfalls auf einem Gebiet, das 15 Prozent der Landesfläche ausmacht.

Warum man sich nicht wundern sollte

"Wenn die Polizei mehr Pflanzen zerstört, vergrößern sie (die Bauern) nur die Anbaufläche", meint der renommierte albanische Kriminalreporter Artan Hoxha.

Hoxha hat jahrelang über die Drogenkriminalität in Albanien berichtet. 2015 erhielt er eine Todesdrohung via SMS von einer in Holland registrierten Telefonnummer.

"Dieses Jahr ... um es der Polizei noch schwerer zu machen, sie anzugreifen, haben sie (die Drogenschmuggler) mehr Plantagen angelegt und über das ganze Land verstreut", erzählt er BIRN. "Das macht es der Polizei unmöglich, alles zu zerstören."

"Die albanische Polizei verfügt weder über die nötige Größe noch die Ausrüstung, um im ganzen Land operieren zu können. Diejenigen, die verhaftet werden, sind zumeist unorganisierte Einzelpersonen oder arme Dorfbewohner; ein Großteil der Plantagen bleibt bestehen."

Dem EU-Fortschrittsbericht 2015 zufolge ist das Niveau der Ausrüstung und Logistik der Polizei besorgniserregend. Die Polizei mache "wenig Gebrauch" von strategischen Werkzeugen zur Informationsbeschaffung, die ihr aufgrund einer operativen Vereinbarung mit Europol, der Strafverfolgungsbehörde der EU, zur Verfügung stehen.

"Die geringe Kompetenz der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft, komplexe Kriminalfälle aufzudecken und zu untersuchen, bedeutet, dass man auf einfache Ermittlungen, die mit Festnahmen auf frischer Tat enden, beschränkt ist. Es gibt also kein umfassendes Konzept für Ermittlungen und Strafverfolgung."

Die albanische Staatspolizei verfügt bei einer Bevölkerung von etwa 2,7 Millionen Menschen über rund 10 000 Beamte, die durchschnittlich etwa 350 Euro im Monat verdienen. Der Durchschnittslohn in Albanien ist nur geringfügig höher und liegt bei 370 Euro im Monat. Nahezu jede fünfte Erwerbsperson ist arbeitslos, die Landwirtschaft ist der größte Arbeitgeber.

Schmuggler haben kaum Schwierigkeiten, Willige für den Anbau von Cannabis zu finden - gleiches gilt für Polizeibeamte, die bereit sind, ein Auge zuzudrücken.

Expertin Arsovska gegenüber BIRN: "Die Verflechtung von Politik und Kriminalität, genährt durch Korruption, ermöglicht es dem organisierten Verbrechen zu wachsen und zu gedeihen."

Bestechung habe eine "lange Tradition" und sei gemeinhin akzeptiert, sagt sie.

"Wenn man sich die Situation in Afghanistan ansieht", so Arsovska, "kann man den Bauern schwer vorschreiben, den Anbau von Schlafmohn zu stoppen, wenn man ihnen keine gute Alternative anbieten kann. Damit das Angebot zurückgeht, sollte eine alternative Einnahmequelle ebenso rentabel sein und weniger riskant . Es ist schwierig den Leuten zu sagen, sie sollen nicht mehr mit Straftätern zusammenarbeiten, wenn sie keine besseren Möglichkeiten haben, um Geld zu verdienen, oder wenn sie einfach Angst vor Vergeltung haben."

Gjergji, in den Bergen über Shkodra, formuliert es so:

"Sie [die Käufer] haben das Geld, wir haben den Stoff. So einfach ist das", sagt er. "Ein Kilo Cannabis lässt sich für 800 bis 1000 Euro verkaufen. Sie verstehen also, wie wichtig das ist."

"Wir wollen leben und wir brauchen Geld. Nicht jeder von uns wird davonkommen, aber ich hoffe, ich schaffe es."

Übersetzung: Barbara Maya

Der Fall des Klemend Balili

Regierungskritiker haben den Fall des Klemend Balili, einem 44-jährigen albanischen Geschäftsmann und ehemaligen Leiter für Transporte des Ministeriums für Transport, in der Region Saranda im Süden Albaniens als Beweis für das Klima der Straflosigkeit und der geheimen Absprachen der Regierung mit Schwarzhändlern aufgegriffen.

Im Mai 2016 war die US-amerikanische Drogenbehörde DEA an einer Operation beteiligt, bei der griechische Polizeikräfte ungefähr 687 Kilo ursprünglich aus Albanien stammendes Marihuana beschlagnahmten. Dazu kamen 451 Kilo im Jänner 2014 und beinahe 700 Kilo im April 2015 - so die Bilanz einer zweijährigen Großfahndung, die einen einzigen Händelerring im Visier hatte.

Laut Angaben der griechischen Polizei haben die Schwarzhändler Marihuana auf Schnellbooten von Albanien nach Griechenland transportiert und anschließend Scheintransportfirmen gegründet, um die Ware an andere europäische Länder zu senden. Griechische und albanische Medien konnten den Hauptverdächtigen Balili identifizieren.

Das Portal Balkan Insight berichtete, dass Balilis Name auf einem griechischen Haftbefehl vom 9. Mai aufscheint. Er wurde aus dem Staatsdienst entlassen, ist aber weiterhin auf freiem Fuß.

Albaniens oppositionelle Demokraten bezichtigten die Regierung, ihn vor der Verhaftung bewahrt zu haben, was diese leugnet; die Familie von Balili verfügt laut Angaben von Balkan Insight und albanischen Medienberichten über mannigfaltige politische Verbindungen.

In einem auf dem Nachrichtenportal newsbomb.al aus Tirana am 11. Mai geposteten Zitat weist Balili die Vorwürfe zurück und bezeichnet sie als politisch motiviert.

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