Mit hereinbrechender Dämmerung wird der Weg durch die Berge immer tückischer. Mit Gjergji an der Spitze geht es zehn Minuten zu Fuß abseits der Straße hinunter in einen Buchenwald bis zu mehreren kleinen Lichtungen, wo die ersten grünen Triebe einer Cannabiszucht aus der Erde ragen.
Die Plantage liegt in der Nähe eines leeren Hauses, das seiner Familie gehört, inmitten der eindrucksvollen Wildnis der albanischen Alpen nahe der Stadt Shkodra im Norden des Landes. Um sich um sie kümmern zu können, ließ der 21-Jährige seinen Hochschulabschluss sausen.
Elvis Nabolli arbeitet als Journalist für das albanische Nachrichtenfernsehen in der nördlichen Region Shkodra. Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations, in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network (im Folgenden: BIRN).
"Diese Pflanze braucht viel Pflege. Aber wenn wir es bis zur Ernte schaffen, verdienen wir gutes Geld", meint er. "Ich werde mein Haus in Shkodra renovieren. Und dann gehe ich nach England."
Albanien ist eine der wichtigsten Quellen für Cannabis auf dem Weltmarkt
Gjergji holt leere Fünf-Liter-Flaschen aus einem Versteck in den Büschen und füllt sie mit Regenwasser aus den Pfützen auf dem Waldboden, um die Cannabispflanzen zu gießen.
"Mehr junge Menschen sind hier oben in den Bergen und kümmern sich so wie ich um Cannabisplantagen als unten in der Stadt", erzählt er. Der Erfolg hängt jedoch von einem Faktor ab.
"Es lohnt sich nur, wenn man jemanden bei der Polizei kennt, der einen vor Razzien in der Gegend warnt. Wenn wir es bis zur Ernte schaffen, dann gehören ungefähr 200 von 2000 Pflanzen ihm." Für den korrupten Beamten bedeutet das einen Geldsegen von mehreren zehntausend Euro, sofern die Pflanzen kräftig sind und hoch wachsen.
Das ist die Basis einer milliardenschweren Industrie, die Albanien im Laufe von 25 Jahren zu einer der wichtigsten Quellen für Cannabis auf dem Weltmarkt gemacht hat, gleichauf mit Ländern wie Kolumbien, Jamaika, den Niederlanden und Paraguay.
Nachdem 2013 ein Machtwechsel stattgefunden hatte, erklärte die neue sozialistische Regierung unter dem Künstler und Politiker Edi Rama im darauffolgenden Jahr den Cannabiszüchtern mit der fünftägigen Erstürmung eines berüchtigten Drogennestes nahe der südlichen Landesgrenze zu Griechenland den Krieg.
Damals, 2014, beschlagnahmte die Polizei knapp über 101 Tonnen Marihuana, was in etwa der Gesamtmenge in den neun Jahren davor entspricht. Knapp über eine halbe Million Cannabispflanzen wurden zerstört. Im darauffolgenden Jahr waren es bereits 800 000, und in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 vernichtete die Polizei laut eigenen Angaben mehr als doppelt so viel - nämlich 2,1 Millionen Pflanzen.
Die Regierung Ramas sieht in diesen Zahlen den Beweis dafür, dass man nun, nach Jahren der Straffreiheit während der Amtszeit ihrer demokratischen Erzfeinde, im Begriff ist, den Krieg zu gewinnen.
Eine Untersuchung für das Balkan Fellowship for Journalistic Excellence skizziert jedoch ein differenzierteres Bild: Unbeirrt von diesen Entwicklungen haben sich die Züchter in abgelegene Bergregionen verstreut; Schmuggler brüsten sich mit dem Polizeischutz, den sie genießen; italienische Ermittler staunen ob der Raffinesse der albanischen Verbrecherbanden; und in Europa und den Vereinigten Staaten ringen Regierungen die Hände, angesichts des schieren Unvermögens ihres Nato-Partners, mit Ausnahme der Handlanger auch nur irgendjemanden zu verhaften oder anzuklagen.
Hartnäckige Armut untergräbt unterdessen jegliche Bemühungen, Cannabisbauern davon zu überzeugen, dass sie eine Alternative haben.
"Kriminelle Organisationen lernen schnell und können sich rasch den Top-down-Gegenmaßnahmen anpassen", so Jana Arsovska, Dozentin am New Yorker John Jay College of Criminal Justice und Expertin für organisiertes Verbrechen in den Balkanländern.
"Man braucht die Menschen und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, um dieses Problem zu bekämpfen, nicht nur die staatlichen Behörden."