Süddeutsche Zeitung

Albanien:Alles andere als Eigenwerbung

Die verpatzte Kommunalwahl wirft ein Schlaglicht auf den Zustand der Demokratie des Landes.

Von Peter Münch, Wien

Als wichtigstes Ergebnis der Kommunalwahlen wird aus Albanien gemeldet: Es gab keine Gewalt. Die Bürger konnten am Sonntag in relativer Ruhe zu den Urnen gehen, doch diese Ruhe rührte an den meisten Orten auch daher, dass kaum einer der 3,5 Millionen Wahlberechtigten seine Stimme abgeben wollte. Die Opposition hatte zum Boykott aufgerufen, die Wahlbeteiligung lag landesweit bei nur 21,6 Prozent. Dies ist die Folge eines tief greifenden Konflikts zwischen den regierenden Sozialisten (PS) von Ministerpräsident Edi Rama und der Demokratischen Partei (PD) von Llulzim Basha, der das Land an den Rand einer Staatskrise geführt und einen dunklen Schatten auf seine EU-Beitrittshoffnungen geworfen hat.

Das Gezerre um die Kommunalwahlen wirft ein Schlaglicht auf den Zustand der albanischen Demokratie. Seit Mitte Februar boykottieren die Abgeordneten der Opposition das Parlament. Auf den Straßen kommt es fast wöchentlich zu Protesten, die immer wieder in Gewalt ausarten. Gefordert wird der Rücktritt von Premier Rama, dem die Opposition Korruption, Wahlmanipulation und Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorwirft.

Anfang Juni hatte Staatspräsident Ilir Meta dann mit Verweis auf das aufgeheizte politische Klima die für den 30. Juni angesetzten Kommunalwahlen per Dekret abgesagt. Ohne Beteiligung der Opposition, die bereits zuvor ihren Boykott erklärt hatte, seien "keine echten, demokratischen und repräsentativen Wahlen möglich", argumentierte er. Als neuen Wahltermin nannte er den 13. Oktober. Premier Rama aber erklärte das Dekret für nichtig, auch die Wahlkommission beharrte auf dem ursprünglichen Termin.

Rama setzte schließlich ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten in Gang, den er bei dessen Wahl 2017 noch unterstützt hatte. Das dafür letztlich zuständige Verfassungsgericht ist allerdings seit gut einem Jahr beschlussunfähig, weil die meisten Richter ihres Amtes enthoben wurden oder zurücktraten. Der Grund: Die EU hatte auf eine Justizreform gedrungen, bei der Richter und Staatsanwälte auf die Herkunft ihres Vermögens und auf Beziehungen zur organisierten Kriminalität überprüft wurden. Der Richterschwund belegt, wie stark die Korruption Albanien durchdrungen hat. Auch dies ist eine Folge der politischen Dauerkrise in dem Balkanstaat, der 1991 erst mit Verspätung zu den Osteuropäern den Kommunismus abgeschüttelt hatte. Zuvor war das Land jahrzehntelang abgeschottet und in stalinistischer Manier vom paranoiden Staatschef Enver Hodscha geführt worden. Seit dem Ende der Diktatur wechseln sich Sozialisten und Demokraten in der Regierung ab, bauen ihre Machtstrukturen auf einem klientelistischen System auf und pflegen eine destruktive Feindschaft zum jeweils anderen politischen Lager.

Laut Umfragen wünschen sich 95 Prozent der Bevölkerung eine Mitgliedschaft in der EU

Einig sind sich die Antagonisten nur im Wunsch nach einer festen Westanbindung ihres Landes, das seit 2009 Mitglied der Nato ist. Seit 2014 wird Albanien auch als EU-Beitrittskandidat geführt. Laut Umfragen wünschen sich 95 Prozent der Bevölkerung eine Mitgliedschaft in der EU. Nicht zuletzt wegen der politischen Wirren der vergangenen Monate liegt der eigentlich für diesen Sommer geplante Beginn von Beitrittsverhandlungen jedoch auf Eis.

Die Abhaltung freier Wahlen gehört zu den Primärforderungen der EU an die Beitrittskandidaten, und mit dieser Kommunalwahl dürfte Albanien keine Eigenwerbung in dieser Sache betrieben haben.

Vorab hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch einmal eindringlich an die Opposition appelliert, den Boykott aufzugeben und eine politische Einigung anzustreben. Vergeblich - in 35 der 61 Wahlbezirke standen ausschließlich Kandidaten der Sozialisten auf dem Wahlzettel, in den übrigen Bezirken hatten sie es lediglich mit Kandidaten kleinerer linker und Mitte-rechts-Parteien zu tun.

Der weitgehend friedliche Ablauf am Wahltag war wohl dem Einsatz von rund 12 000 Polizisten geschuldet. In den Tagen vor der Wahl hatte es noch Berichte über Angriffe und Brandanschläge auf Wahllokale gegeben, mit denen die Stimmabgabe dort verhindert werden sollte. Am Wahltag selbst randalierte ein Bewaffneter in einem Wahllokal der Hafenstadt Durres. In der Hauptstadt Tirana beschränkte sich der Protest auf lautstarke Boykott-Aufrufe in den Straßen.

Hinterher propagierten sowohl Regierungschef Rama als auch Oppositionsführer Basha einen erfolgreichen Tag für ihre Parteien. Basha sieht sich durch die geringe Beteiligung im Boykottkurs bestätigt, er bezeichnete die Wahl als "illegal und Verstoß gegen die Verfassung". Rama fühlt sich dadurch bestärkt, dass er die Abhaltung der Wahlen durchgesetzt hat. Er spricht von einer "historischen Lehre" für alle Parteien. Die Konfrontation dürfte indes weitergehen.

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SZ vom 02.07.2019
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