Süddeutsche Zeitung

Alarm-Brief an Parteikollegin Dağdelen:Gysis Kampf mit der Drama-Queen

Die umstrittene Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen hat Fraktionskollegen indirekt als Kriegsbefürworter kritisiert. Fraktionschef Gysi wirft ihr "Entsolidarisierung" und Rufschädigung vor. Doch Dağdelen hat mächtige Freunde.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Sevim Dağdelen ist für manchen Linken, was für einen Stier das rote Tuch ist: ständige Provokation, ohne eine Chance sie loszuwerden.

Dağdelen sitzt für den Linken-Landesverband NRW im Bundestag. In ihrer Landesgruppe konzentrieren sich jene Linken, die vom Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter gerne als "Spinner" bezeichnet werden. Dağdelen ist in dieser Gruppe so etwas wie die Wortführerin.

Wer nicht für sie ist, ist wahlweise Kriegstreiber, Teil einer Mörderbande, Faschist oder Imperialist. Diese Vorwürfe treffen auch schon mal Parteifreunde. Am 1. September hat sie es mal wieder zu weit getrieben. Zumindest in den Augen ihres Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi. Mittags saß sie im Bundestag. Sondersitzung zu den Waffenlieferungen in den Irak. Ihre Fraktion hat einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt.

Gefordert wird darin neben einem klaren Nein zu Waffenlieferungen eine stärkere Rolle der UN. Die Bundesregierung habe den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen "erneut anzurufen", damit dieser "über die notwendigen Maßnahmen gemäß der Charta der Vereinten Nationen entscheidet, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren". Klingt harmlos. Könnte aber bedeuten, dass ein von der UN mandatierter Waffengang gegen die Terrormiliz Islamischer Staat durchaus auf Zustimmung der Linken treffen könnte. Mit der kleinen Einschränkung, dass ein solches Mandat derzeit höchst unwahrscheinlich ist.

Dağdelen stellt sich gegen die eigenen Kollegen

Dağdelen aber ist gegen Waffengänge. Immer und überall. In ihrer persönlichen Erklärung zur Abstimmung klingt das noch so: "Ich stimme heute auch gegen alle Versuche, eine neue US-Intervention im Irak unter dem Deckmantel der Einrichtung einer UN-Schutzzone oder anderer militärischer Maßnahmen, die vom Sicherheitsrat mandatiert werden sollen, zu legitimieren. Der Nahe Osten braucht keine neue US-Intervention - auch keine mit UN-Mandat."

Am Abend des 1. September wird sie konkreter. Zu konkret, wie Gysi findet.

Es ist Weltfriedenstag. Dağdelen spricht auf einer Friedensdemonstration in Hamburg. Die UN-Passage im Linken-Antrag scheint ihr noch schwer im Magen zu liegen. So schwer, dass sie persönlich wird: Sie "bedauere", dass auch einige in der Linken anfangs Waffenlieferungen gefordert hätten. Das hat unter anderem Gregor Gysi getan.

Gysi geht das zu weit

Sie finde aber vor allem den Antragsvorschlag "meiner Kollegen Stefan Liebich, Michael Leutert, Katrin Kunert, Jan Korte und Frank Tempel" zur Frage der Vereinten Nationen "schlichtweg falsch". Diese forderten "de facto einen UN-mandatierten Kampfeinsatz für die Bundeswehr im Irak mit Tausenden von Soldaten". Mit anderen Worten: Kriegstreiber sind in ihren Augen offenbar auch die genannten Fraktionskollegen. So lässt sich diese Passage jedenfalls (miss-)verstehen.

Gregor Gysi reagierte. In einem persönlichen Brief an die "Liebe Sevim" schreibt er ihr am 9. September, also gut eine Woche nach dem Auftritt in Hamburg, dass sich der Fraktionsvorstand mit der Rede befasst habe. "Einmütig" sei die Kritik an ihren Äußerungen zu der "Fraktionsgenossin" und den "Fraktionsgenossen" ausgefallen. In dem genannten Antrag habe mit "keiner Zeile" die Forderung nach einem "Kampfeinsatz für die Bundeswehr im Irak mit Tausenden von Soldaten" gestanden. Das sei "niemals" das Begehren gewesen.

Dass sie die Fraktionskollegen namentlich erwähnt und mit nicht erhobenen Forderungen in Verbindung gebracht habe, "ist auch ein hoher Grad der Entsolidarisierung". Die "Empörung bei den Betroffenen" sei auch deshalb so groß, weil diese sich jetzt überall für etwas verteidigen müssten, was sie nicht gefordert hätten. Das werde als "grob unfair" eingeschätzt. Mit so einem Verhalten "schädigst Du auch den Ruf unserer Partei und unserer Fraktion".

Gysis Forderungen an Dağdelen sind eindeutig. Er bittet sie, sich "bei den Betroffenen zu entschuldigen, diese Äußerungen nicht zu wiederholen und sie im Internet zu löschen. Mit solidarischen Grüßen, Gregor Gysi". Der Brief liegt Süddeutsche.de vor. Eine Bitte um Stellungnahme ließ Dağdelen bislang unbeantwortet.

Mächtige Freunde

Gysi hat sich damit mindestens zum zweiten Mal schriftlich von Dağdelen distanziert. Im Frühjahr erst hat er seine Parteifreundin gemeinsam mit den Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger in die Schranken gewiesen. Sie hatte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt im Bundestag indirekt eine "Verbrecherin" genannt.

Dağdelen hat ihre jüngsten Vorwürfe gegen die eigenen Leute zwar bisher offenbar nicht wiederholt. Aber ansonsten scheint sie auch diese Rüge durch den Fraktionschef kalt zu lassen. Eine Entschuldigung steht wohl noch aus, wie aus der Fraktion zu hören ist. Und die beanstandete Passage ihrer Rede ist sogar auf ihrer eigenen Seite im Netz noch nachzulesen.

Sie weiß: Hinter ihr steht der gesamte Landesverband NRW. Der ist groß und einflussreich. Sie wird geschützt von einem nicht minder mächtigen Mitglied des NRW-Landesverbandes: Sahra Wagenknecht, einst Galionsfigur der Kommunistischen Plattform und heute stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. Wagenknecht will bald zur Fraktionschefin aufsteigen. Auf ihre Mitstreiterin Dağdelen aber lässt sie nichts kommen. Wagenknecht soll sie sogar als ihre Nachfolgerin im Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden in Gespräch gebracht haben. Es wurde dann Janine Wissler.

Für Wagenknecht allerdings könnte die Treue zu Dağdelen noch ein Problem werden. Wenn sie in den Fraktionsvorsitz aufsteigen will, braucht sie auch die Unterstützung der Reformer. Und die sind gerade weder auf Dağdelen noch auf Wagenknecht sonderlich gut zu sprechen.

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