Seenotrettung:Deutsches Rettungsschiff will in Lampedusa anlegen

Lesezeit: 3 Min.

Das Schiff "Alan Kurdi" hat derzeit 65 Migranten an Bord. (Foto: SEA-EYE)
  • Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye hat erklärt, 65 Geflüchtete aus Seenot gerettet zu haben.
  • Das Sea-Eye-Schiff Alan Kurdi will die Geretteten nach Lampedusa bringen.
  • Italiens Innenminister Matteo Salvini erklärte, das Schiff dürfe nicht in Italien anlegen, auch nicht im Fall einer späteren Weiterverteilung der Migranten auf andere Staaten.
  • Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigte an, Deutschland sei "im Rahmen einer europäisch-solidarischen Lösung bereit, einen Teil der aus Seenot Geretteten aufzunehmen".
  • Ein italienisches Rettungsschiff, die "Alex", legte trotz eines Verbots in Lampedusa an.

Nach der Sea-Watch-3 drängt trotz des Widerstands der italienischen Regierung offenbar ein weiteres Rettungsschiff einer deutschen Hilfsorganisation darauf, in den Hafen von Lampedusa einfahren zu dürfen. Die in Regensburg ansässige Organisation Sea-Eye teilte via Twitter mit, dass ihr Schiff Alan Kurdi in internationalen Gewässern vor der Mittelmeerinsel warte. An Bord befänden sich 65 Menschen, die sie vor Libyen von einem Schlauchboot aus aufgenommen habe.

Nur vier Tage nach der Freilassung der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete aus dem Hausarrest droht damit eine neue Konfrontation zwischen Deutschland und Italien. "Wir warten in internationalen Gewässern vor Lampedusa", schrieb die Organisation aus Regensburg auf Twitter. Zunächst hatte sie angekündigt, Kurs auf den Hafen zu nehmen. Die italienische Guardia di Finanza aber sei "persönlich vorbeigekommen", um das zu verhindern.

Von den 65 Migranten, die aus dem überfüllten Schlauchboot aufgenommen worden waren, gaben Sea-Eye zufolge 39 an, noch minderjährig zu sein. Der Jüngste sei erst zwölf Jahre alt. Insgesamt 48 der Geflüchteten stammten aus Somalia in Ostafrika, zwei seien Libyer. Einer der Somalier habe erzählt, er sei schon vor drei Jahren aus seiner Heimat aufgebrochen, habe drei Monate für die Durchquerung der Wüste benötigt und einen Freund verloren, der an der libyschen Grenze erschossen worden sei.

Die libysche Küstenwache, so berichtet Sea-Eye, sei direkt nach der Rettung am Freitag zunächst nicht zu erreichen gewesen. Später habe sie dem Schiff per E-Mail einen libyschen Hafen zugewiesen, wo die Geretteten an Land gebracht werden könnten. Dies habe die Crew aber abgelehnt. "Wir werden keine Geretteten zurück in libysche Foltergefängnisse bringen", schrieb Sea-Eye auf Twitter.

Die Organisation veröffentlichte auch ihr Antwortschreiben an die libysche Marine. Darin legt sie ihren Standpunkt dar: "Es ist ausreichend dokumentiert, dass Migranten in Libyen Menschenhandel, Folter, Zwangsarbeit, sexueller Ausbeutung und willkürlicher Inhaftierung ausgesetzt sind - und Flüchtlingslager sind Raketenangriffen ausgesetzt." Sea-Eye weist in dem Brief darauf hin, dass sie sich an bestehendes Seerecht halten müsse, was besage, dass das Schiff verpflichtet sei, die Geretteten an einen sicheren Ort zu bringen.

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Italiens Innenminister Matteo Salvini erklärte schon am Freitag, das Schiff dürfe nicht nach Italien fahren - und dies auch dann nicht, wenn die Migranten danach auf andere Staaten veteilt würden. Das hatte er auch schon im Fall von Racketes Rettungsschiff Sea-Watch 3 verkündet. Eine Verschlechterung der Situation an Bord werde ausschließlich auf Deutschland als Flaggenstaat, auf den Kapitän und die Crew der Alan Kurdi zurückfallen, warnte Salvini. Zugleich drängte er Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in einem Brief, Verantwortung für das Schiff zu übernehmen.

Seehofer (CSU) forderte im Gegenzug Salvini auf, die Dauerkrise der Rettungsschiffe im Mittelmeer zu beenden. "Wir können es nicht verantworten, dass Schiffe mit geretteten Menschen an Bord wochenlang im Mittelmeer treiben, weil sie keinen Hafen finden", schrieb er in einem Brief an Salvini. Daher seien für die aktuellen Seenotrettungsfälle rasche europäische Lösungen in gemeinsamer Verantwortung nötig. "Ich appelliere daher eindringlich an Sie, dass Sie Ihre Haltung, die italienischen Häfen nicht öffnen zu wollen, überdenken", fügte Seehofer hinzu.

Wegen der gemeinsamen europäischen Verantwortung "und unseren gemeinsamen christlichen Werten" dürfe es im Einzelfall keinen Unterschied machen, durch welche Organisation Migranten aus dem Mittelmeer gerettet wurden, woher die Besatzung stammt und unter welcher Flagge das Schiff fährt.

Deutschland lehnt das von Salvini verfochtene Prinzip ab, wonach der Flaggenstaat des Schiffes prinzipiell zuständig sein soll. Seehofer macht sich weiterhin für einen europäischen Verteilmechanismus für die Migranten stark. Deutschland sei "im Rahmen einer europäisch-solidarischen Lösung bereit, einen Teil der aus Seenot Geretteten aufzunehmen", sagte er am Samstag.

Alex läuft Lampedusa an

Auch im Fall eines weiteren Rettungsschiffes droht eine Eskalation. Die Alex der italienischen Hilfsorganisation "Mediterranea Saving Humans" lief am Samstagnachmittag trotz eines Verbots von Salvini im Hafen von Lampedusa ein. Auf Bildern des Nachrichtensender SkyTG24 war zu sehen, wie der Motorsegler an einer Pier des Hafens der italienischen Mittelmeerinsel lag. Ob die Geretteten an Land gehen durften, war zunächst unklar.

Zuvor hatte Mediterranea angesichts einer als unerträglich beschriebenen Gesundheits- und Hygienesituation an Bord den "Notstand" erklärt. Die italienische Regierung hatte die Organisation aufgefordert, mit dem Rettungsschiff Malta anzusteuern. Die elfstündige Reise sei aber zu lang und gefährlich, sagte Mediterranea. Nach Angaben der Organisation befänden sich nahezu 60 Menschen an Bord, unter ihnen 41 Gerettete. Zugelassen sei das Schiff für 18 Menschen.

Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl fordert, dass Deutschland die Initiative ergreift, sodass in einem geordneten Verfahren Gerettete aufgenommen werden könnten. Bisher verharre die deutsche Regierung in einer "unerträglichen Prinzipienreiterei" und wolle möglichst alle Bootsflüchtlinge in den Erstanlandestaaten des Mittelmeers belassen, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. "Das Abdrücken der Verantwortung für Schutzsuchende auf die Grenzstaaten ist die Ursache des Boot-für-Boot-Geschacheres", fügte er hinzu. Er warnte zugleich vor der Verschiebung des Diskurses nach rechts: "Dieses Handeln Deutschlands spielt den Rechtsextremen in den südlichen Staaten in die Hände. Dabei ist das reale Problem sofort lösbar."

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