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Al-Qaida nach Osama bin Ladens Tod:Twittern für den Terror

Lesezeit: 4 min

Nach dem Arabischen Frühling und Bin Ladens Tod ist al-Qaida geschwächt, aber noch lange nicht am Ende. Das Terrornetzwerk profitiert nicht nur von der Instabilität und Unsicherheit, die der Arabische Frühling erzeugt hat. Es nutzt auch die Mittel der Aufständischen: Twitter und Facebook.

Bruce Hoffman, Washington

Was den internationalen Terrorismus betrifft, war die Tötung Osama bin Ladens zweifellos das bedeutendste Ereignis der vergangenen Jahre. Ähnlich folgenreich war für al-Qaida aber der arabische Frühling, der seit Februar 2011 die politische Landkarte des Nahen Ostens und Nordafrikas komplett verändert. Diese beiden unterschiedlichen Ereignisse deuteten viele Beobachter als das Ende oder zumindest den Anfang vom Ende der al-Qaida.

Tot ist das Netzwerk aber noch lange nicht. Zwar haben die meist gewaltfreien Demonstranten des arabischen Frühlings erfolgreich verhasste Despoten gestürzt und damit etwas erreicht, was nach der Doktrin von al-Qaida nur mit Gewalt und Dschihad erreicht werden kann. Die Bedrohung durch Terroristen ist aber geblieben, sie hat in der gesamten Region sogar zugenommen.

Die Kern-al-Qaida, also die Gruppe in Afghanistan und Pakistan, die Bin Laden einst führte, wurde zwar durch seine Tötung und die anhaltenden amerikanischen Drohnenangriffe geschwächt. Gleichzeitig wurden aber einstige Filialen wie al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqap) immer stärker. Zudem hat der arabische Frühling zwar die Regierungen im Herzen des Nahen Ostens und in Nordafrika verändert, für Staaten am Rande der Region hatte der Aufstand jedoch nur geringe Folgen - und wenn, dann waren es meist negative.

In Jemen beispielsweise hat al-Qaida klar profitiert, während die chronisch schwache Zentralregierung gelitten hat. Aqap ist es sogar gelungen zu expandieren. Die Islamisten haben im arabisch-ostafrikanischen Raum große Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht, neue Anhänger und Unterstützer gefunden und ihre Anschläge über die Grenzen der Arabischen Halbinsel hinaus ausgedehnt. Die Vertreibung aus Somalias Hauptstadt Mogadischu suggeriert, dass die Al-Qaida-Filiale al-Shabaab einen herben Rückschlag erlitten hat, doch hat die Gruppe den südlichen Teil des Landes noch immer in ihren Fängen - jenes Gebiet, in dem eine schreckliche Dürre das Leben von Hunderttausenden bedroht.

Al-Qaida profitiert vom Arabischen Frühling

Die Instabilität und Unsicherheit, die der arabische Frühling erzeugt hat, bieten dem Terrornetz und seinen Verbündeten die Möglichkeit, sich neu zu formieren und zu reorganisieren. Die Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Länder, die am stärksten von den monatelangen Protesten betroffen waren, werden sich künftig wahrscheinlich wenig auf al-Qaida und andere transnationale Bedrohungen konzentrieren können. Sie haben mit internen Problemen genug zu tun.

Bin Ladens Tötung hat im Westen die Hoffnung genährt, dass al-Qaida schon bald Vergangenheit sein könnte. Der Versuchung, den Sieg über den Terror zu verkünden, sollte man dennoch widerstehen. Zu oft schon wurden in den vergangenen zehn Jahren verfrüht solche Nachrufe geschrieben. Die Geschichte hat außerdem gezeigt, dass die Tötung von Anführern, also die Enthauptung einer Gruppe, eine weitgehend wirkungslose Waffe ist. Bin Ladens Tod hat al-Qaida sicherlich geschwächt, doch das Ende eines einzelnen Mannes bedeutet nicht das Ende einer ganzen Bewegung.

Al-Qaida gewann immer schon vor allem die entrechteten, desillusionierten und marginalisierten Jugendlichen. Es gibt keinen Beleg, dass diese Hitzköpfe, an die sich die Botschaften von al-Qaida stets richten, im arabischen Frühling verschwunden sind. Vielmehr dürfte ihre Ungeduld wachsen - und viele, die auf die Straße gegangen sind, werden sich schon bald vom wirtschaftlichen und politischen Fortschritt ausgeschlossen fühlen. Für al-Qaida könnten sie zu einem Reservoir neuer Rekruten werden.

Man sollte sich auch bewusst machen, dass sich seit dem türkischen Befreiungskrieg in den 1920er Jahren keine Revolution im Nahen Osten mehr als Motor für Mäßigung oder Demokratisierung erwiesen hat. Auch der arabische Frühling wird der Region nicht einfach Frieden, Wohlstand und Demokratie bringen - jeder Aufstand der vergangenen Monate hat seine Eigenheiten und besonderen Hintergründe. Historisch gesehen hatte der Westen schon Probleme, wenn es nur eine Revolution in einem einzigen Land gab. In der heutigen komplexen und sich ständig ändernden Gemengelage dürfte jegliche Einflussnahme schwierig werden - und wirkungslos bleiben.

Al-Qaida wird sich weiter spalten. Und genau das wird die neue Herausforderung werden. Denn es besteht die Gefahr, von unterschiedlichsten Bedrohungen an unterschiedlichen Orten - und das womöglich auch noch alles zur gleichen Zeit.

Soziale Netzwerke für den Dschihad

In dieser Hinsicht sollten sich die westlichen Staaten Sorgen machen, dass al-Qaida oder andere Dschihad-Gruppierungen dieselben sozialen Netzwerke nutzen, die es schon während des arabischen Frühlings ermöglicht haben, möglichst schnell möglichst viele Menschen zu mobilisieren. So haben sich die Taliban mittlerweile zwei eigene Twitter-Accounts eingerichtet (@alsomood & @alemarahweb); die Gruppe al-Shabaab nutzt Facebook. Die Miliz richtet sich damit explizit an junge Somali-Amerikaner in den Vereinigten Staaten. Im vergangenen Herbst weihte al-Shabaab seinen eigenen Twitter-Account ein. All diese Kanäle könnten von den Terroristen genutzt werden, um zeitgleiche Anschläge in mehreren Hauptstädten weltweit zu organisieren.

Die tragischen Ereignisse in Toulouse haben gezeigt, dass man auch die einsamen Wölfe und Einzelkämpfer nicht aus den Augen verlieren darf. Sie könnten von al-Qaida und verbündeten Gruppen ermutigt werden, auf eigene Faust Anschläge zu begehen, um Polizei- und Sicherheitsdienste abzulenken. Während sich die Behörden dann auf diese Vielzahl kleinerer Attentate konzentrieren, könnte al-Qaida seine Pläne für einen spektakulären Angriff unentdeckt fortführen.

Schlussendlich kann man sagen, dass al-Qaida ohne festen Zufluchtsort nur schwer überleben kann. Tatsächlich ist das der Grund, warum das Terrornetzwerk in den vergangenen Jahren so viel Energie investiert hat, um seine Verbündeten und einstigen Filialen in Pakistan, Jemen und Somalia zu stärken.

Al-Qaida hat eine vernetzte transnationale Bewegung geschaffen. Statt einer einzigen monolithischen Organisation wie noch vor zehn Jahren, gibt es heute mehrere al-Qaidas, nicht nur eine: Jede von ihnen hat unterschiedliche Fähigkeiten und stellt auf ihre Art eine Bedrohung dar. Statt einer Strategie für den Kampf gegen die eine al-Qaida sind nun mehrere Strategien für den Kampf gegen mehrere al-Qaidas nötig.

Bruce Hoffman, 57, ist ein weltweit anerkannter Terrorismus-Experte. Er ist Direktor des Center for Security Studies an der Georgetown University in Washington D.C. Übersetzung: Frederik Obermaier

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Quelle:
SZ vom 29.03.2012
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